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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

des Contractes seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit dem ihm übertragenen Dienste zu widmen.

Hamburg, den ...ten 18...

Passagegeld bis Santos

für Erwachsene ........

"     Kinder unter 10 Jahren à .......

hier bezahlt.“


Sollte man nun glauben, daß irgend ein Mensch, der nur einfach lesen und denken kann, einen solchen „Contract“ unterschreiben würde? – Aber derartige Leute können auch nicht denken, und Thatsache ist, daß sich sämmtliche Familien auf das allein hin, was ihnen in diesem Papier geboten wurde, entschlossen auszuwandern und ihr Gepäck voraus in die Welt hineinschickten. In diesem „Contract“ verpflichteten sie sich zu Allem, und ihnen selbst wurde auch nicht einmal das Nothdürftigste garantirt. Wer z. B. steht solchen Auswanderern dafür, die sich leichtsinniger Weise verpflichten, ihre ihnen geschenkte Ueberfahrt auf Theil abzuarbeiten, daß sie nicht einem Herrn überantwortet werden, der eben im Begriff ist, eine neue Plantage anzulegen? Geschähe das, so könnten sie Jahre lang Bäume und Büsche ausroden und dann Kaffeebäume pflanzen und nach fünf bis sechs Jahren furchtbarer Arbeit erst darauf rechnen, wirklich zu verdienen, denn daß sie für ihre Arbeit bezahlt werden sollen, steht nicht in dem Contract, nur ein Antheil an dem Verdienst ist ihre, und wenn nichts verdient wird, geht ihre Arbeit, nutzlos für sie selber, fort.

Selbst der peruanische Sclave – denn trotzdem daß in Peru die Sclaverei aufgehoben ist, existirt sie noch hie und da unter einer etwas veränderten Form – hat nur vier Tage in der Woche für seinen Herrn zu arbeiten, und drei sind für ihn selber. Diese armen Deutschen machen sich verbindlich, „während der Dauer des Contractes ihre ganze Zeit und Aufmerksamkeit dem ihnen überwiesenen Dienst zu widmen.“ – Also kein Tag in der Woche gehört ihnen, nicht einmal der Sonntag, wenn ihr „Herr“ nicht will.

Aber wie lange dauert ein solcher Contract? Das ist eine Frage, die ihnen kein Mensch beantworten kann und die ganz von der Ehrlichkeit ihres Herrn abhängt. Will er sie aber hinhalten – wie das oft und oft geschehen ist – so kann er zehn und zwanzig Jahre und noch länger dauern, und Vater und Mutter und Kinder können darüber zu Grunde gehen.

Die gewaltsam aus einem Procerie-Vertrag befreiten Menschen, die ich in Brasilien sprach, waren zehn volle Jahre bei ihrem Herrn als Sclaven gewesen und, seinen Büchern nach, ihm noch bis über die Ohren verschuldet. Es hatte sich aber zufällig herausgestellt, daß er seine Bücher falsch geführt, daß er nicht den halben Preis eingetragen, den er für seinen Kaffee bekommen, daß er ihnen, was die Unglücklichen nun einmal zum Leben nothwendig brauchten, zu unverschämten Preisen berechnete, und anderes mehr, und den Gerichten wurden solche Beweise gegeben, daß sie zuletzt nicht mehr umhin konnten, die nur für ihre Passage zehn Jahr in Sclaverei gehaltenen Menschen zu befreien.

Diese Colonieen liegen meist alle weit im Inneren – selbst die, wohin die Wasunger Auswanderer geschafft werden sollten, lag nach Aussage des Agenten selbst vierzehn Tagereisen weit von der Küste entfernt. Dorthinein muß also Alles auf Maulthieren befördert werden, was selbst die einfachsten Bedürfnisse enorm vertheuert. Kleider, Branntwein, Tabak, Schuhwerk etc. muß der Arbeiter aber von seinem Herrn in der Zeit, in welcher er für ihn arbeitet, entnehmen, und wer will den Pflanzer controliren, wenn er dem armen Teufel fünfzehn oder zwanzig Thaler für ein paar Hosen ansetzt?

Ich sage nicht, daß das immer geschieht, aber es kann geschehen, und der Deutsche, der überhaupt im Ausland vollkommen schutzlos dasteht, ist nach Unterzeichnung eines solchen Contractes vollständig und rettungslos in der Gewalt seines Herrn und hat später Niemanden weiter anzuklagen, als seine eigene Dummheit, die ihn blind und toll in ein solches Dienstverhältniß hineinspringen ließ.

Außerdem weiß er noch nicht einmal, wie tief er in Schulden sinkt, bis er nur an Ort und Stelle kommt, denn die Transportkosten werden ihm gewissenhaft annotirt. Die Seereise läßt sich leicht berechnen, aber von dem Moment an, wo er den fremden Boden betritt, ist es vollständig unmöglich auch nur eine annähernde Berechnung fortzuführen. In dem Hafen angekommen, bleibt es nämlich total ungewiß, ja sogar sehr unwahrscheinlich, daß die nöthigen Maulthiere sogleich bei der Hand sind, eine solche Anzahl von deutschen Auswanderern mit ihren unpraktischen riesenhaften Koffern und Kisten zu befördern. Vielleicht hat außerdem die Regenzeit gerade eingesetzt, und die Wege sind grundlos.

Wochen, ja Monate lang liegen die Auswanderer solcher Art dann oft in einem ungesunden Hafenort, ehe sie befördert werden können, und zehren indessen auf ihre eigenen Kosten, denn was sie brauchen, gehört natürlich Alles mit zur Reise und wird ihnen allerdings gegeben, aber auch berechnet und vermehrt von Tag zu Tag ihre Schuldenlast. In diesem speciellen Fall that die meiningische Regierung wirklich Alles, was ihr noch zu thun übrig blieb, ja mehr, als wohl noch irgend eine Regierung gethan hat, denn gewaltsam zurückhalten konnte sie die Auswanderer nicht. Sie sandte aber auf eigene Kosten einen Beamten nach Hamburg, um sich dort mit den Behörden in Vernehmen zu setzen und den armen Teufeln wenigstens jede Sicherstellung zu geben, die bei einem solchen Privatcontracte möglich war. Dort stellte es sich auch heraus, daß es die Auswanderer in diesem Fall, wie es schien, mit ordentlichen Leuten zu thun hatten, und auch der Expedient, Aug. Bolten, ein Mann sei, der sich von allen nicht reellen Geschäften fern halte. Es wurde mir geschrieben, daß seine Betheiligung an diesem Unternehmen schon eine Gewähr dafür gebe, daß man es nicht mit einem der schmutzigen Geschäfte zu thun habe, die mit Recht in der letzten Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätten.

Was aber wußten die Auswanderer in Wasungen davon, mit wem sie es dort zu thun bekamen, wem sie in die Hände geliefert wurden, als sie ihr Gepäck nach Hamburg schickten und ihm selber folgten und sich dadurch den Rückweg in die Heimath vollständig abschnitten? Eben so leichtsinnig werden aber noch in jedem Monat, in jeder Woche fast in Deutschland ähnliche Contracte abgeschlossen, ähnliche Trupps von Unglücklichen auf’s Gerathewohl in die Welt hinausgeschickt, nur zu oft dem Elend preisgegeben, und nicht eher wird dem ein Ende gemacht werden, bis man nicht daheim die Auswanderungsagenten selber durch Cautionen zwingt, für Alles das, was sie den Auswanderern versprochen, auch mit ihrem eigenen Vermögen einzustehen. Daß dann die meisten dieser Herren zu Grunde gehen würden, ist vorauszusehen, aber einem großen Krebsschaden unserer socialen Verhältnisse wäre jedenfalls damit abgeholfen.

Die Sendung der meiningischen Regierung hatte aber auch noch außerdem einen directen Erfolg für die Auswanderer, denn während dieselben, diesem Contract nach, nach irgend einem Punkt der Provinz San Paulo geworfen, irgend einem der dortigen Pflanzen- oder Sclavenhalter überliefert werden konnten, erwirkte der Bevollmächtigte für sie die Uebersiedelung nach der Plantage eines Mannes, auf der sich schon Verwandte von ihnen befanden, die sich, ihren Briefen nach, wohl befanden, und machte es ausdrücklich zur Bedingung, daß die ihnen etwa erwachsenden Kosten einer unverschuldeten Verzögerung im Hafenplatz nicht angerechnet werden durften.

Ganz unmöglich ist es, von hier aus durch einen Contract die Stellung der Arbeiter zu ihren Brodherrn zu regeln, denn die anscheinend klarsten und einfachsten Aufstellungen lassen sich, wenn der Wille dazu da ist, leicht umgehen oder gerade in das Gegentheil verkehren. Ich habe ein ähnliches Beispiel schon früher in der Gartenlaube erwähnt, wo den Arbeitern von einem dortigen Pflanzer ein Stück Land zu eigener Bearbeitung zugesichert war, das sie im Urwald angewiesen bekamen, und das sie, als sie es urbar gemacht und zwei Jahre benutzt hatten, wieder hergeben mußten, um auf’s Neue, angeblich für sich, in Wirklichkeit aber für ihren Herrn, eine neue Strecke auszuroden. Es soll übrigens jetzt von der brasilianischen Regierung ein Gesetz erlassen sein, das diese Arbeiterverhältnisse regelt, und sobald ich es bekommen kann, werde ich es Ihnen mittheilen.

Meiningen ist noch außerdem den anderen Regierungen darin mit einem guten Beispiel vorangegangen, daß allen Agenten bei Vermeidung der Concessionsentziehung untersagt ist, Auswanderer auf derartige Procerieverträge zu befördern, und das ist vor der Hand das einzige Mittel, diesem Unwesen zu steuern, so lange nicht von einer deutschen Centralgewalt deutsche Auswanderer geschützt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_362.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)