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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Mutter Maria und dergleichen mehr, ein Examen, bei welchem die Dialektik Borri’s immer den Sieg davon trug.

Endlich sagte der Kaiser: „Euch steht in Rom eine Verantwortung bevor. Möge sie von keinen üblen Folgen begleitet sein. Nun aber höre ich, Ihr gebt Euch mit chymischen Heilungen ab; darüber möchte ich Euch lieber hören, als über theologische Dinge. Was habt Ihr von meinem Zustande gehört?“

„Nichts als die Vermuthung: Ew. Majestät sollen Gift bekommen haben. Um aber meine Ansichten darüber aussprechen zu können, müßte mir der Leibarzt Ew. Majestät die Ordination vorlegen, ich könnte mich dann bestimmter äußern.“

Auf Befehl des Kaisers ward nach dem Leibarzt gesendet. – Allein mit dem Kaiser geblieben, heftete der Arzt seine forschenden Blicke auf die zusammengefallene Gestalt des Kaisers, befühlte dann die Haut des Leidenden und ließ endlich seine Augen die Wände entlang, bis zur Decke des Zimmers schweifen, musterte sodann alle Gegenstände mit großer Aufmerksamkeit und blickte schließlich wieder zur Zimmerdecke empor, unverwandten Blickes mit zusammengezogenen Augenbrauen, als wollte er sich hineinbohren in die Blumen und Schnörkel, welche, in reicher Stuccaturarbeit ausgeführt, den Plafond des kaiserlichen Zimmers bedeckten. Die Augen des Kaisers folgten ängstlich den Blicken und Bewegungen Borri’s. Der arme Kranke stöhnte leise. Er erwartete den Ausspruch des Arztes, eine Vermuthung, einen Trostspruch.

„Nun, Borri,“ keuchte er. „Was meint Ihr?“

„Meine Vermuthung,“ entgegnete der Arzt mit fester Stimme, „ist fast zur Gewißheit geworden. Ew. kaiserliche Majestät haben Gift bekommen.“

„Heilige Mutter, erbarme Dich!“ schrie der Kaiser.

„Ich muß, wie gesagt, auch den Leibmedicus sprechen. Doch glaube ich, er wird meine Ansicht theilen. Ebenso kann ich auch mit Bestimmtheit die Heilung Ew. Majestät voraussagen. Es ist noch Zeit dazu.“

„Und woraus schließt Ihr auf Vergiftung? Meine nächste Umgebung speiset mit mir fast aus derselben Schüssel. Bemerkt Ihr an meinem Körper Etwas?“

„Mein Kaiser,“ sprach Borri, „nicht der Körper Ew. Maj., sondern die Luft Ihres Wohn- und Schlafzimmers ist vergiftet. Sobald der Leibmedicus gekommen ist, wollen wir Anstalten treffen, daß Ew. Majestät andere Zimmer beziehen.“

„Wie wollt Ihr das wissen, da ich Nichts davon verspüre?“

„Ew. Majestät sind zu stark an den giftigen Dunst gewöhnt, als daß Sie es bemerken könnten.“

„Und wo sollte dieser Dunst herkommen?“

Der Arzt ging langsam und feierlich auf die vergoldeten Gueridons zu, auf welchen dreiarmige Leuchter mit brennenden Kerzen standen. Er nahm die Leuchter herab, trat an den Tisch des Kaisers und stellte sie zu den andern Leuchtern. Zwölf brennende Kerzen befanden sich dicht bei einander.

„Woher der Dunst kommt?“ fagte Borri, seine Hand ausstreckend. „Von Ihren Wachskerzen, Majestät. Sehen Sie nicht das rothe Feuer der Flamme?“

In diesem Augenblicke trat der Kammerherr ein.

„Das Feuer ist lebhaft,“ entgegnete der Kaiser, „scheint mir aber nicht ungewöhnlich.“

„Sie bemerken den feinen, weißen Dunst nicht, der den natürlichen Wachskerzen nicht eigen ist?“

„Meine Augen sind so schwach. Seht Ihr es, Kammerherr?“

Der Gerufene mußte bejahend antworten.

„Ihre Augen,“ sagte Borri verächtlich, „sind besser als Ihr Gehirn, Herr Kammerherr.“

Der Leibarzt des Kaisers erschien.

„Ihr kommt recht,“ rief der Kaiser. „Hier dieser Cavagliere behauptet, die Luft meines Zimmers sei vergiftet. Habt Ihr die Ordinaten bei Euch?“

„Hier, Majestät; sie sind vom ersten Tage Ihrer Unpäßlichkeit an geführt,“ sagte der Leibarzt.

Borri durchsah die Papiere. Er fand die Verordnungen vollständig richtig und umsichtig. Der Leibarzt, erfreut über diese Anerkennung, ließ sich Borri’s Argwohn mittheilen.

„Sehen Sie,“ rief Borri. „Doctor, sehen Sie den feinen, schnellaufwirbelnden Dampf? Jetzt betrachten Sie die Zimmerdecke. Sehen Sie den Absatz, welchen der Dunst dort oben schon abgelagert hat?“

„Ich sehe Alles und beuge mich vor Ihrem Scharfblick, Cavagliere,“ sagte der Doctor. „Ich gestehe Ew. Majestät, daß ich seit einigen Tagen bereits Verdacht schöpfte.“

„Brennen Majestät überall solche Kerzen?“ fragte Borri. „Es wäre wichtig, zu wissen, ob im Gemache der Kaiserin auch derlei Lichter benutzt werden.“

Der Kammerherr mußte zwei brennende Kerzen aus dem Zimmer der Kaiserin holen. Man verglich die Flammen. Die Lichter des Kaisers brannten in düsterrother, unruhiger Flamme, ein feiner Dunst, der gleich einem Schleier den oberen Theil der Kerze einhüllte, ward durch häufige Funken zerrissen, welche von dem Dochte abspritzten und gleich elektrischen Entladungen knisterten. Die Kerzen aus den Zimmern der Kaiserin brannten ruhig, wie jede gewöhnliche Wachskerze.

„Hier steckt das Gift,“ rief Borri triumphirend, seine weiße, verknöcherte Hand auf einen Leuchter des kaiserlichen Zimmers legend. „Soll ich jetzt Ew. Majestät zeigen, daß diese Kerzen ein feines Gift auswerfen?“

„Ohne Weiteres.“

Borri schloß die Thüre des kaiserlichen Gemaches. Er und der Leibarzt löschten sogleich die verdächtigen Kerzen. Dann traten Beide in einen Winkel, nahmen eine silberne Schüssel und begannen über derselben das Wachs der Kerzen von dem Dochte abzulösen. Sobald letzterer bloßgelegt war, theilte Borri dem Kaiser seine Ansichten mit. Leopold ließ den Kammerdiener rufen und befahl, daß der ganze Vorrath von Lichtern in sein Zimmer geschafft werde. Sie wurden aus dem Schranke im Vorzimmer genommen. Ihr Gewicht betrug noch dreißig Pfund. Borri zeigte dem Kaiser sogleich eine auffallende Erscheinung: jede Kerze war oben und unten mit einem goldnen Kränzchen eingefaßt, offenbar um sie nicht zu verwechseln. – Eine genaue Untersuchung ward vorgenommen. Sie ergab, daß die Dochte der für das kaiserliche Zimmer bestimmten, besonders gezeichneten Kerzen reichlich mit Arsenik getränkt waren. Es ward ein Hund eines Küchenjungen herbeigeschafft, in ein Seitencabinet gesperrt, und es wurde ihm eine Schüssel mit Fleisch vorgesetzt, zwischen welches man kleingeschnittene Stückchen der aus den Kerzen gezogenen Dochte gemischt hatte.

Unterdessen brachte man den Kaiser in andere Gemächer. Auf Befehl des Monarchen mußte Jeder das tiefste Stillschweigen über die ganze Begebenheit beobachten. Borri und der Leibarzt gingen in die Schloßapotheke, entfernten hier alle Gehülfen und bereiteten eigenhändig ein Gegengift für den Kaiser. Borri analysirte sofort die Bestandtheile der getünchten Dochte und erhielt aus ihnen einen reichhaltigen Niederschlag von Arsenik. Er hatte angeordnet, daß man ihn rufen möge, sobald der Hund Unruhe zeige, die Wirkung des Giftes war aber so schnell, daß Borri den Hund schon todt fand, als er zum Kaiser zurückkehrte. Beide Aerzte begannen die Heilung des Kaisers noch an demselben Abende. Borri’s Medicin bestand besonders in schweißtreibenden Mitteln, er wendete diese Cur stets bei Vergiftungen an.

Leopold hatte kaum sein Zimmer geändert, als er auch den Befehl gab, den Lieferanten der Wachskerzen zu arretiren. Als solcher ward der Jesuiten-Procurator ermittelt – aber – nicht mehr in Wien angetroffen.[1] Borri blieb auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers in der Nähe und behandelte den Monarchen, dessen Besserung täglich zunahm. Der Leibarzt unterstützte den Gelehrten auf’s Beste, und am 19. Mai konnte der Kaiser bereits wieder ausfahren.

Fortwährend hatte er Unterhaltungen mit Borri, der ihm genauen Bericht über das medicinische Verfahren erstatten mußte. Der Arzt hatte die Wirkungen des Giftes und dessen Quantum auf das Schärfste ermittelt und sogar die an der Decke befindliche Ablagerung chemisch untersucht. Er behielt zwei Kerzen als Beweise zurück, die übrigen wurden zu den Analysen verwendet. Das Gewicht der Kerzen betrug 24 Pfund, das der getünchten Dochte 3½ Pfund, woraus Borri schloß, daß die Giftmase 2¼ Pfund betragen müsse. Als der Kaiser diese Resultate vernahm, äußerte er: „Da hätten sie mich in einigen Monaten ad Patres schicken können.“ Borri speiste am kaiserlichen Tische und ward sehr ausgezeichnet, zum nicht geringen Aerger seiner geistlichen Feinde, die indessen des Kaisers Wankelmuth gut genug kannten, um zu wissen, daß ihnen ihr Opfer dennoch nicht entgehen merde. Dieselbe Ansicht herrschte unter den Eingeweihten am Hofe. Scotti betrachtete

  1. Bericht des Cardinals Passionei.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_356.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2019)