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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

der hohen Geistlichkeit, eben Ihrer Wissenschaften wegen, haben; denn sogar der Nuntius des Papstes zählt zu Ihren Gegnern.“

„Dann,“ entgegnete Borri, „erkenne ich die wahrhafte Ursache meiner Gefangennehmung.“

Scotti theilte dem Gelehrten ferner mit, daß der Kaiser Leopold seit längerer Zeit an einem schleichenden Uebel leide, dessen kein Arzt Herr werden könne.

„Man sagt,“ fuhr der Rittmeister fort, „der Kaiser habe Gift bekommen.“

„Sollten seine Aerzte das nicht bemerkt haben?“ sagte Borri, „und könnten sie alsdann das Gift nicht aus dem Körper jagen? Mich würde eine solche Aufgabe nicht in Verlegenheit setzen, sobald ich mich von dem Vorhandensein des Giftes überzeugt haben würde. Der Kaiser wäre in diesem Falle der Erste nicht. Vielleicht bin ich berufen, den, der mich verfolgt und gefangennehmen läßt, zu heilen. Mein lieber Landsmann, eröffnen Sie dem Kaiser, daß, wenn er wirklich Gift erhalten habe, so wollte ich ihn davon befreien, um zu zeigen, daß ich keiner Rache wegen der mir durch meinen Arrest geschehenen Beleidigung fähig bin.“

Scotti versprach, dem Kaiser von der möglichen Hülfe Nachricht zu geben.

Am 28. April Mittags kamen die Reisenden in Wien an. Borri’s Gefängniß befand sich im Gasthofe zum Schwan. Zehn Tage vorher waren in eben diesem Hause zwei Hauptführer der Verschwörung, Peter Zriny und Frangipani, eingeschlossen gewesen. Sie hatten sich nach Wien begeben, um sich dem Kaiser freiwillig zu stellen. Jetzt saßen sie zu Neustadt in enger Haft. Es liefen einige Menschen zusammen, als Borri vor dem Thore des Gasthauses ausstieg. Im Ganzen aber erregte seine Ankunft wenig Aufmerksamkeit, da die Einbringung ungarischer Gefangener bereits ein alltägliches Schauspiel für die Bewohner Wiens geworden war.

Borri ward mit großer Höflichkeit behandelt, „Herr Arrestant“ von den wachthabenden Soldaten angeredet und in das beste Zimmer geführt. Allein gelassen und eingeschlossen warf der ermüdete Gelehrte sich auf das einfache Ruhebett und verfiel in tiefen Schlummer. Er mochte bereits mehrere Stunden geschlafen haben, als ihn das Klirren der Thürschlösser weckte. Er richtete sich empor. Es war schon finster geworden. Die Thür öffnete sich, und Borri sah seinen Landsmann Scotti, der in einen Mantel gehüllt war und eine Blendlaterne trug, eintreten.

„Geschwind,“ begann der Rittmeister, „machen Sie sich fertig.“

„Soll ich schon ein Verhör bestehen?“

„Nein. Der Kaiser will Sie sprechen. Ihr Ruf als Arzt ist ihm bekannt. Bei meinem Rapporte nahm ich die Gelegenheit wahr, dem hohen Kranken Ihr Anerbieten mitzutheilen. Der Herr hofft auf Sie, mußte aber die Nacht abwarten, da er nicht will, daß Etwas davon in’s Publicum komme, denn Sie sind ihm als einer der hartnäckigsten Ketzer geschildert worden.“

„Hätte mich mein Gewissen der Ketzerei beschuldigt,“ sagte lächelnd Borri, „so hätte mich der Kaiser nicht gefangen. Meine innere Ruhe, mein Eifer, das Elend meiner Mitmenschen zu erleichtern, geben mir die Kraft, meine Verhaftung ruhig zu ertragen. Gehen wir. Meinen Dank, Scotti, für Ihre Empfehlung, mit der Sie aber sicherlich auch dem Kaiser einen Dienst erweisen.“

Arm in Arm wandelten die Beiden durch die dunkeln Gassen, bis sie vor der Hofburg angelangt waren. Hier übergab Scotti seinen Gefangenen dem Kammerdiener, der den Arzt durch eine lange Reihe von Zimmern bis in das kaiserliche Vorgemach geleitete, woselbst er ihn niederzusitzen bat; der Kaiser werde ihn rufen lassen.

Borri befand sich nicht allein. Verschiedene Personen führten eine lebhafte Unterhaltung. Der Gelehrte hatte die sein Haupt bedeckende Capuze zurückgeschlagen und zeigte sein intelligentes, edles Gesicht offen. Er bemerkte, daß er der lebhafte Gegenstand der Unterredung zweier Geistlicher war, welche sich die Ursache seiner Anwesenheit nicht zu erklären vermochten.

Nach Verlauf einer Viertelstunde trat ein Kammerherr des Kaisers in das Gemach, ersuchte die Anwesenden höflichst, sich zu entfernen, und gab Borri einen Wink, ihm zu folgen. Sie durchschritten wieder einige Zimmer und blieben vor einer mit Sammet beschlagenen Thüre stehen. Der Hofherr öffnete, hob den schweren Vorhang zurück und winkte dem Arzte einzutreten. Borri befand sich im Cabinet des Kaisers.

Das Gemach, an sich düster, ward durch zwölf Kerzen erhellt, welche auf silbernen Leuchtern, von denen jeder in drei Arme auslief, brannten. Verschiedene große Gemälde, meist Scenen aus dem Leben der Heiligen darstellend, zierten die Wände. Neben diesen Bildern befanden sich auf Consolen allerlei Kuriositäten. Zur Seite eines kleinen Arbeitstisches stand ein sehr großer Betstuhl, über welchem ein prächtig gearbeitetes Crucifix hing. Die Fenstervorhänge waren geschlossen. Das Halblicht, welches trotz der Beleuchtung im Zimmer herrschte, gestattete dem eingetretenen Arzte anfangs nicht, die Gegenstände genau zu unterscheiden. Nach und nach traten sie deutlicher hervor, und Borri erblickte einen kleinen Mann, der neben dem Arbeitstische, in einem Armstuhl sitzend, einige ungeduldige Bewegungen machte. Es war der Kaiser Leopold. Der kranke Herr trug einen grünseidnen Schlafrock, auf dem Kopfe eine Mütze, die in eine Art von Augenschirm auslief. Seine Füße waren mit Decken umwickelt. Das Gesicht zeigte eine Bleifarbe und war sehr eingefallen.

„Dort sitzen Seine Majestät,“ sagte der Kammerherr zu Borri in italienischer Sprache. Der Arzt trat einen Schritt vor und verbeugte sich.

„Ihr seid der mailändische Cavagliere?“ begann der Kaiser mit einer Stimme, die vor Frost zu zittern schien, obwohl der Kamin eine behagliche Wärme ausströmte.

„Zu dienen, Ew. Majestät!“

„Mir thut’s leid, Euch als Gefangenen hier zu sehen, aber Ihr seid es gegenwärtig nicht.“

„Ohne gefangen zu sein, würde ich nicht das Glück gehabt haben Ew. Majestät zu sehen.“

„Von Eurer Wissenschaft habe ich viel Nützliches gehört, wiewohl Ihr in anderer Hinsicht ein gefährlicher Mann sein sollt!“

„Beides glaube ich Ew. Majestät gern. Denn in der Welt folgt die Verfolgung immer dem Lobe nach.“

„Weswegen gebt Ihr Euch mit Religionssachen ab? Ueberlaßt das der Geistlichkeit.“

„Ich halte die Religion für einen großen Schatz. Warum sollte ich mich nicht mit ihr beschäftigen?“

„Ihr seid katholisch?“

„Ja, Majestät.“

„Habt aber, wie man mir sagt, Eure Religion schon einige Mal geändert, und sollt Stifter einer neuen sein.“

„So sagen meine Feinde, welche auch zugleich die Feinde Ew. Majestät sind.“

„Wie meint Ihr das?“

„Nur Diejenigen, welche weder Religion noch Menschenliebe kennen, haben mich hierhergebracht. Weil die Leute, welche dem freien Gedanken Fesseln anlegen wollen, immer die Feinde Gottes sind, so können sie nicht die Freunde Ew. Majestät sein, von der ich so Etwas nicht erwarte.“

Hier machte der Kammerherr die Bemerkung: „Dem Cavagliere steigt die Inspiration in das Gehirn!“

„Wer ist der Mensch,“ rief Borri mit verächtlichem Achselzucken, „der sich erdreistet von Inspiration zu sprechen?“

„Es ist mein Kammerherr,“ sagte begütigend der Kaiser. „Er hat zuweilen launige Einfälle.“

„Er möge sie in meiner Gegenwart hinunterschlucken,“ entgegnete der Arzt mit strengem Tone. „Es verdrießt mich schon genug, dergleichen Leute in der Umgebung Ew. Majestät zu sehen.“

„Nicht so empfindlich, mein guter Cavagliere,“ rief Leopold. „wollte ich mich über alle dergleichen Bemerkungen ärgern, wäre ich längst in die Grube gefahren.“

„Ich schweige nie, Majestät, wenn es gilt, meine Ansicht auszusprechen. Bevor ich also das Glück habe, weiter mit Ew. Maj. sprechen zu dürfen, stelle ich die Bedingung: daß jener Mensch schweige.“[1]

Der Kaiser winke dem Kammerherrn mit der Hand. Dieser trat zurück.

Von der bigotten Richtung Leopold’s zeugte diese Unterhaltung am deutlichsten. Statt den Arzt über seinen Zustand, der offenbar gefährlich war, zu befragen, ließ sich der Kaiser zunächst mit dem Philosophen, d. h. Ketzer, in religiöse Plänkeleien ein. Das Gespräch drehte sich nun um Borri’s schon oben angeführte Behauptungen in Betreff der heiligen Dreieinigkeit. Leopold prüfte die theologischen Kenntnisse des Arztes, seine Ansichten über die

  1. Wörtliche Unterredung des Borri mit Leopold I. u. d. Bericht des Cardinals Passionei.
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