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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Erfahren Sie, mein Freund,“ erwiderte der Procurator, „daß die Kisten eine Anzahl geweihter Wachskerzen enthalten, deren Flammen von nun an in den Zimmern des kaiserlichen Herrn leuchten sollen. Erhält er doch Alles, dessen er sich bedient, aus den Händen der Unsrigen, die es geweiht haben für seinen Dienst. Theilen Sie den mit der Einrichtung der Zimmer betrauten Dienern mit, daß kaiserliche Majestät dem hochwürdigen Beichtvater, Pater Müller, zu erkennen gegeben haben, wie Sie neben andern geweihten Gegenständen auch solche Kerzen in Ihren Zimmern zu brennen wünschen. Es soll also von jetzt ab aus diesem Vorrathe genommen werden.“

Nachdem der Procurator sich überzeugt, daß die Kisten in gehöriger Art und Weise abgeliefert worden, entfernte er sich mit seinem Begleiter. Noch an demselben Abende brannten in dem Gemache Kaiser Leopold’s geweihte Kerzen, welche von nun an immer in Gebrauch blieben.

Acht Tage später erkrankte der Kaiser heftig. Trotz der gesegneten Lichter überfiel ihn ein Siechthum, dessen kein Arzt Herr werden, dem keine Fürbitte Stillstand gebieten konnte.

„Die ungarischen Malcontenten haben dem Kaiser Gift beigebracht,“ hieß es in Wien. „Der Nadasdy hat’s gethan, der schon den Niclas Zriny umgebracht hat.“[1]


Auf der Landstraße, welche Schwechat mit Wien verbindet, fuhr eine leichte Reisekalesche. Der Kutscher trug einen breitkrämpigen Hut und hatte ein paar Pistolen in seinem Ledergürtel stecken. Rechts und links neben dem Fuhrwerk ritten kaiserliche Dragoner. An den Hüften der Reiter kirrten die Pallasche, über den Sattelknopf hatten sie ihre gespannten Carabiner gelegt. Diese Begleitung deutete den Vorübergehenden an, daß sich im Innern des Fuhrwerks ein Gefangener von Wichtigkeit befinde.

Der zweisitzige Reisewagen führte zwei Männer nach Wien, von denen der Jüngere die Uniform der kaiserlichen Leibgarde trug. Sein Antlitz verrieth auf den ersten Blick den Südländer und bildete durch den lebensfrohen Ausdruck, welcher auf demselben sich zeigte, einen scharfen Contrast zu der Schwermuth, die in den Zügen des neben ihm sitzenden älteren Mannes ausgeprägt war. Der Letztere, dessen Person die militärische Bedeckung galt, war in schwarzen Sammet gekleidet. Ein langer, mit kostbarem Pelzwerk verbrämter Mantel aus feinem Tuch bedeckte seinen Körper vollständig. Auf dem Haupte trug er eine enganliegende Kappe, unter deren Rändern sich graue Locken hervorstahlen. Das geistvolle, edle Gesicht hatte jene gelbliche Farbe angenommen, die dem Elfenbein eigen, wenn es Jahrhunderte alt geworden ist, die Farbe der Denker oder der Dulder. Große schwarze Augen funkelten neben der Adlernase, und ein langer Bart fiel auf die Brust herab. Der Officier war der Rittmeister Luigi Scotti von der kaiserlichen Leibguardia, sein Gefangener der gelehrte, angefeindete Adept, Arzt und Philosoph Giuseppe Franceseo Borri.

Es war ein merkwürdiger Mann, dieser Borri. Aus adeligem Geschlecht stammend, hatte er sich mit glühendem Eifer den Wissenschaften zugewendet. Seine Vaterstadt Mailand verließ er, um die ewige Stadt Rom zu besuchen. Hier, an der für solche Beschäftigung gefährlichsten Stätte, arbeitete er emsig an seiner Vervollkommnung in den geheimen Künsten der Chemie. Borri suchte, wie die meisten gelehrten Hitzköpfe seiner Zeit, den Stein der Weisen. Wenn er bis zum Grauen des Morgens vor seinem Heerde im Laboratorium stand, wenn die Retorten glühten, wenn die seltsamsten Mischungen, in Fluß gerathen, auf und nieder wogten in den wunderlich geformten Gefäßen, dann leuchtete die Freude aus den bleichen Zügen Borri’s, und wenn er nach langen Mühen eine chemische Analyse zu Stande gebracht, dann warf er sich beglückt auf das Lager und entschlummerte, um im Traume weiter zu arbeiten. Aber die erregte Phantasie des Gelehrten schweifte hinaus aus den engen Wänden des Laboratoriums; sie heftete sich an Dinge und Fragen, die nicht mit einzelnen Experimenten zu beseitigen waren. Sein reger Geist flog auch in das Gebiet der Theologie und der Kirche und rief ihm zu: „Der Papst ist nicht der Hohepriester, wenn er an seiner Stirne nicht das Gotteszeichen trägt.“

Im Traum und Wachen verfolgten ihm diese Zweifel und ließen ihm keine Ruhe, bis sich diese Marter zu Erscheinungen und Visionen steigerte. Endlich hielt er sich berufen, diese Zweifel einem Priester mitzutheilen und furchtlos zu sprechen. Er hielt Reden gegen die Herrschaft des Papstes und stützte sich dabei einestheils auf übernatürliche Eingebungen, während er auf der andern Seite wieder seine chemischen Experimente in die erste Reihe stellte und bewies, daß die heilige Dreieinigkeit, die Menschwerdung Christi und dergleichen aus den Grundsätzen der Scheidekunst hergeleitet werden müßten.

Die Jesuiten, bei denen er als Jüngling studirt hatte, verfolgten ihn heftig. Sie erlangten seine Verhaftung durch das Inquisitions-Tribunal. Borri flüchtete aus Rom nach Mailand und von da nach Straßburg. Während dessen ward sein Bildniß zu Rom am 3. Januar 1661 durch die Hand des Henkers verbrannt, sein Name an den Galgen geschlagen. Seine Schüler wurden eingekerkert. In Straßburg nicht geduldet, ging Borri nach Amsterdam. Hier war er sicher. Er hatte allerdings den Stein der Weisen gefunden, denn die umfassendsten Studien hatten einen großen Arzt aus ihm gemacht. Borri konnte die Menge kaum befriedigen, welche von ihm geheilt sein wollte. Das Geld floß ihm in großen Summen zu und erlaubte ihm, ein glänzendes Haus zu machen. Seine chemischen Versuche hatten ihm namentlich ein dunkles Gebiet der Natur erschlossen; Borri war ein genauer Kenner der Gifte, ihrer Wirkungen und deren Heilung. Nachdem er viele, fast an’s Wunderbare grenzende Curen vollendet, namentlich Augenleiden geheilt hatte, ging er nach Hamburg. Hier machte er die Bekanntschaft der Königin Christine. Wenige Monate später ward er nach Kopenhagen berufen. Er setzte auch hier alle Welt in Staunen durch seine Gelehrsamkeit. Eine Bedienten-Kabale stürzte ihn. Nach dem Tode des Königs Friedrich III. verließ er den Norden Europas, um sich nach der Türkei zu begeben. Er kam am 10. April 1670 zu Goldingen an der schlesischen Grenze in das Haus eines Edelmannes, entschlossen, von hier aus seine Reise nach der Türkei durch Mähren und Polen fortzusetzen.

Hier gerieth Borri in die Hände der kaiserlichen Gewalt.

Eines Tages befand sich in dem kaiserlichen Gemache der Hofburg zu Wien der päpstliche Nuntius in angelegentlichem Gespräch mit Kaiser Leopold begriffen. Es galt der ausgebrochenen Empörung in Ungarn. Gerade als der Priester mitten im heftigsten Redeflusse sich befand, als er gegen die Aufständischen donnerte, ward dem Kaiser eine neue wichtige Depesche überbracht. Sie enthielt Berichte von den Vorgängen. Ein langes Verzeichniß von Personen, die compromittirt waren, lag dabei. Der Secretair las die Nachrichten, dann las er die Namen. Alle ließen den Nuntius gleichgültig. Endlich kam ein Name an die Reihe, bei dessen Nennung der Priester unwillkürlich in die Höhe fuhr. Franz Borri stand auf der Liste der Verdächtigen; es sollten Anzeichen vorhanden sein, nach denen der Arzt in unmittelbarer Verbindung mit den Malcontenten stehe.

„Borri,“ rief der Nuntius mit Zähneknirschen, „Borri ist zu fangen? Majestät, sofort in Verhaft mit ihm! Es ist einer der gefährlichsten Sendlinge. Er wußte sich dem rächenden Arme des heiligen Officiums zu entziehen. Sein Fang ist ein doppelter Gewinn, für Thron und Kirche.“

Leopold hätte nie, am allerwenigsten aber im jetzigen Augenblicke, dem Andringen eines Priesters widerstanden, und so ward der Rittmeister Scotti in besonderer Mission nach Goldingen gesendet, um Borri zu verhaften.

Am 22. April erschien der Hauswirth Borri’s mit verlegener Miene im Speisesaale und kündigte dem Arzte das Eintreffen eines kaiserlichen Commissärs an, der Befehl habe, ihn zu arretiren. Offenbar hatte der Wirth die Rolle des Verräthers gespielt, wenn er auch vorgab, daß Borri’s Aufenthalt und Name durch Reisende nach Wien gemeldet sei. Der Rittmeister, ein Landsmann Borri’s, aus Florenz gebürtig, behandelte den Verhafteten mit größter Artigkeit und theilte ihm mit, daß er in Verdacht stehe, Verbindungen mit einem der Oberhäupter der Verschwörung, Stephan Tököly, zu haben. Borri nahm Abschied von seinem falschen Freunde, stieg mit dem Rittmeister in die bereitgehaltene Kutsche, die Escorte, zwei Dragoner, setzte sich in Trab, und fort ging es auf Wien zu. –

Die Unterhaltung der beiden Reisenden ward wesentlich dadurch gefördert, daß sie Landsleute waren und sich in italienischer Sprache ihre Mittheilungen machen konnten. Im Verlaufe des Gespräches äußerte Scotti:

„Lieber Freund, mich dünkt, Sie müssen große Feinde unter

  1. Zriny wurde auf der Jagd erschossen, wahrscheinlich von dem sehr übelberüchtigten Nadasdy.
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