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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

hatte kein einziges der bisher abgehaltenen Volksfeste aufzuweisen; man mußte also einen selbständigen, ganz neuen Plan entwerfen.

In voller Würdigung dieser Umstände und mit rühmlicher Hingabe und Umsicht nahm der Turnrath des Leipziger Turnvereins die vorläufigen Beratungen schon Anfang vorigen Jahres auf, in der Absicht, seine Vorschläge einem später zu gründenden großen Festausschuß, gebildet aus angesehenen und einflußreichen Bürgern der Stadt Leipzig und Freunden der Turnsache, vorzulegen. Denn der Turnrath war, wie er selbst ausgesprochen, von vornherein der Ueberzeugung, daß die ihm unmittelbar zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte nicht hinreichen würden, das Fest so zu gestalten, daß es den Erwartungen der Turnerschaft wie der Stadt Leipzig gleicherweise genüge. Diese Erwartungen gingen ja nicht auf ein Fest hinaus, wie es eine einzelne Gesellschaft einigen Gästen, sondern wie es ein großes bürgerliches Gemeinwesen der gesammten Jugend der Nation giebt. So versammelten sich denn am 17. Januar d. J. auf Einladung des Turnraths über 150 Männer, die sich einmüthig bereit erklärten, dem Gelingen des Festes ihre Kräfte zu widmen. Damit waren die Festvorbereitungen in ein neues, wichtiges Stadium ihrer Entwickelung getreten, die Lösung der schwierigen Aufgabe um ein Bedeutendes gesicherter.

Nach dem von der constituirenden Versammlung einstimmig angenommenen Organisationsplan bestand der nun gebildete Gesammtfestausschuß aus einem Centralausschuß und sieben Specialausschüssen. Wir wollen die Zusammensetzung und die Aufgaben derselben hier kurz andeuten, um ein übersichtliches Bild von der Art und Weise zu geben, wie die mannigfachen Vorarbeiten zum Feste vertheilt sind. Voraus bemerken wir, daß jeder der Unterausschüsse sich selbstständig zu organisiren, sein eigenes Bureau zu wählen und das Recht hat, sich nach Bedürfniß durch eigne Wahl zu ergänzen. Also:

Der Centralausschuß bestehend aus 6 Mitgliedern, und zwar Bürgermeister Dr. Koch, Stadtrath E. Sander, Stadtverordnetenvorsteher Dr. Joseph, Turnvereinsvorstand Kaufmann P. Bassenge, Vorsitzender, Banquier A. Mayer (Firma Frege u. Co.), Advocat F. v. Zahn II. – hat die oberste Leitung sämmtlicher Festanglegenheiten und vertheilt die Geschäfte an die Specialansschüsse nach Maßgabe ihrer Bestimmung; er wird von allen Ausschußbeschlüssen vor deren Ausführung in Kenntniß gesetzt.

Dem Finanzansschuß (14. Mitglieder, Vorsitzende Bürgermeister a. D. Berger und Kaufmann J. C. Cichorius) sind angewiesen: Die Beschaffung der erforderlichen Gelder, Aufstellung eines allgemeinen Budgets, Druck, Ausgabe und Verkauf der Fest- und Eintrittskarten, Einrichtung eines auf dem Festplatze anzulegenden Wechselcontors, Berichtigung sämmtlicher Rechnungen, Stellung der allgemeinen Schlußrechnung.

Dem Bauausschuß (22 Mitglieder, Vorsitzende Stadtrath R. Härtel und Baudirector Dost) fällt die Herstellung und Beseitigung sämmtlicher durch das Fest nöthig werdender baulicher Einrichtungen und unbeweglicher Decorationen zu.

Der Wirthschaftsausschuß (20 Mitglieder, Vorsitzende Advocat P. v. Zahn I. und Stadtrath W. Felsche) hat die Verträge mit den Wirthen abzuschließen, die Aufsicht über die Wirthe und die allgemeine Aufsicht in der Festhalle.

Der Wohnungsansschunß (55 Mitglieder, Vorsitzende Adv. J. Tscharmann und Adv. Th. Winter) hat die Aufsuchung und Prüfung der für die Gäste erforderlichen Wohnungen, die Verhandlungen mit den Verkehrsanstalten, den Empfang der ankommenden Gäste und die Ausgabe der Wohnungszettel zu besorgen.

Dem Turnausschuß (17 Mitglieder, sämmtlich Turnlehrer und Vorturner; Vorsitzende Director Dr. Lion und Kaufmann O. Faber) kömmt die Ausstattung des Festturnplatzes mit den nöthigen Geräthschaften, die Vorbereitung des allgemeinen und besonderen Leipziger Schauturnens, die Verkündigung und Aufrechterhaltung der Turnordnung, die Anordnung und Aufstellung der turnerischen Festzüge zu.

Der Festordnungsausschuß (33, Mitglieder, Vorsitzende Goldarbeiter J. Müller und Adv. Dr. H. Mayer) hat die Beschaffung der beweglichen Decorationen (Festzeichen, Vorturnerbinden, Schärpen, Standarten, Preiskränze etc.), die Besorgung eines Locals für die Begrüßungsfeierlichkeit und den Turntag, Veranstaltung etwaiger Lustbarkeiten auf dem Festplatze, die Anordnung der Festlichkeiten am vierten Tage des Turnfestes.

Dem Festpolizeiausschuß (25 Mitglieder, Vorsitzende Adv. Max Rose und Prof. Dr. Winter) endlich sind zugewiesen die Besorgung der angemessen erscheinenden ärztlichen Hülfe und die feuerpolizeilichen Vorkehrungen auf dem Festplatze, die Handhabung der allgemeinen Sicherheitspolizei und der Ordnung daselbst, sowie die polizeiliche Unterstützung sämmtlicher Ausschüsse.

Man sieht auf den ersten Blick, daß der Haushalt des Festausschusses mit Geschick angelegt ist und Nichts zu wünschen übrig läßt. Selbstverständlich bestehen nun innerhalb der einzelnen Unterausschüsse so und so viele größere und kleinere Commissionen. Tüchtige Kräfte sind reichlich vorhanden und entsprechend vertheilt; so ist es fast selbstredend, daß die Spitzen der Kaufmannschaft ihren besten Wirkungskreis im Finanzausschuß, Architekten, Baubeflissene und Maler im Bauausschuß, Turnlehrer im Turnausschuß, Schriftsteller und Künstler im Festordnungsausschuß, Aerzte und Beamte im Festpolizeiausschuß gefunden haben.

Seit ihrer Gründung am 17. Januar herrschte reges Leben in der großen, vielgegliederten Körperschaft. Selten verging wohl ein Tag, an dem nicht irgend einer der acht Ausschüsse oder irgend eine Untercommission berathen hätte. Herüber und hinüber floß der Meinungsaustausch, und nicht selten bedurfte es angestrengter, wenn auch friedlicher Debatten, um über diesen oder jenen zweifelhaften Punkt in’s Klare zu kommen. Da waren es Hunderte von Kleinigkeiten, die reiflich erwogen werden mußten; wollte man doch nicht nur ein glänzendes, sondern auch ein in jeder Beziehung vollendetes und solides Fest vorbereiten. – Eine der Hauptfragen bildete das Budget, das, bevor an größere Ausgaben zu denken war, möglichst genau festgestellt und von den städtischen Behörden genehmigt sein mußte – ein schwieriger Punkt, von dessen Entscheidung das Wohl und Wehe des ganzen großartigen Unternehmens abhing. Anfang April d. J. konnte dies Budget dem Stadtrathe und den Stadtverordneten vorgelegt werden und einstimmig wurde in beiden Instanzen eine Summe von 75,000 Thlrn. verwilligt; ja es wurde sogar ein Antrag des Stadtverordneten Bassenge, des Vorsitzenden des Centralausschusses, wonach dessen Mitglieder für etwaige Ueberschreitungen jener Summe persönlich zu haften sich bereit erklären sollten, abgeworfen! – (Nach den Budgetanschlägen würde nach Abzug allermuthmaßlichen Einnahmen ein Deficit von ca. 29,000 Thlrn. bleiben.)

Unter den allgemeinen Festkosten stehen in erster Linie die Ausgaben für die baulichen Einrichtungen auf dem Festplatze. Dieser Platz, circa fünfhundert Schritt von der Stadt vor dem Zeitzer Thore, zwischen der Chaussee nach Connewitz und der baierischen Eisenbahn gelegen, wurde schon zu Anfange vorigen Jahres von der Stadt für die Zwecke des Turnfestes eingeräumt. Daß man gerade dieses Ackerfeld und nicht einen der näheren Wiesengründe im Westen und Südwesten der Stadt zum Festplatze ausersehen, erklärt sich aus den häufigen Ueberschwemmungen, denen die letzteren im Sommer ausgesetzt sind. – Auf die nach der baierischen Bahn zugekehrte Seite des 1½ Million Quadratfuß haltenden Platzes kömmt die Festhalle zu stehen. Bestimmt, einen Mittelpunkt für den geselligen Verkehr der ganzen Festgenossenschaft abzugeben, mußten ihre räumlichen Einrichtungen auf das gleichzeitige Unterkommen von Tausenden berechnet sein; andererseits mußte dem äußeren Eindruck Rechnung getragen werden – und dies war, wollte man nicht das Festbudget mit unerschwinglichen Summen belasten, eine schwierige Klippe. Den in jeder Beziehung ansprechenden und zweckmäßigen Entwurf, der nunmehr bestimmt zur Ausführung kömmt, verdankt der Bauausschuß seinem thätigen Mitglied Architekten Lipsius. Die Festhalle, die den Bauunternehmern an 70,000, dem Festausschuß nach Rückgabe der Baumaterialien 28,000 Thaler kostet, bildet ein längliches Rechteck von 60 Ellen Breite und 324 Ellen Länge; zwei an den Breitseiten angebrachte vieleckige Ausbauten (Polygonen) geben der Halle eine Gesammtlänge von vierhundert Ellen. In seiner Längenrichtung besteht das Gebäude aus einem Mittelschiff (30 Ellen breit, bis zum Dach 28, bis zum First 34 Ellen hoch) und zwei Seitenschiffen (je 15 Ellen breit und 16½, bez. 20 Ellen hoch). Die Vorderfaçade[1] wird durch einen großen Mittelbau ausgezeichnet, der die Hauptzugänge zur Halle weithin sichtbar macht. Dieser Mittelbau trägt zwei Thürme von 55 Ellen Höhe, zwischen denen sich auf

geschmackvollem Fußgestell eine Germania erhebt. An jedem der

  1. Sonderabdrücke unserer Abbildung können durch die Expedition der „Gartenlaube“ bezogen werden.           D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_347.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)