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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

verzeichnet, sie hatte keinen Theil an dem Ganzen! Herr, dies Gesagte hat oft und vielfach an meiner Brust genagt, warum nur konnte ich es nie vergessen? Wo mag die Frau nur sein?“

Der Banquier schwieg; er hatte den Kopf auf die Hand gestützt und starrte gedankenvoll vor sich nieder.

Nordheim überließ ihn einige Zeit seinem Sinnen. „Sie kamen später zu neuem Wohlstande,“ sagte er dann, „Sie siedelten hierher über, Ihr Name hat an der Börse einen guten Klang; wenn die Sandow jetzt käme, würden Sie derselben noch das kleine Capital vorenthalten?“

Wallbot reichte seinem Gaste die Hand. „Werden Sie Rechtsanwalt, Herr,“ sagte er lachend, „an Praxis kann es Ihnen nie fehlen! Wüßt’ ich nicht, daß die kleine Alexandrine Ihr Herz gefangen hält, ich würde meinen – – na, ich schweige schon, werden Sie nicht roth!“

Und auf’s Neue einen Blick nach dem Bilde werfend, rief er: „Die Elise war dazumal schon ein talentvolles Kind, und nun sehe ich es klar: es sind die Züge der Mutter, die ich dort erblicke. Wie konnte nur Herz und Auge so in mir gefangen gehalten sein! Aber kommen Sie, Herr, die Sandow ist hier. Nicht das Capital allein soll sie haben, auch – – Doch was rede ich, was sich von selbst versteht! Kommen Sie, Herr, sind Sie der Frau, der Tochter Fürsprecher gewesen, müssen Sie auch der meine sein. Lassen Sie uns gehen!“ Mit diesen Worten schritt er zur Thür. Nordheim folgte. –

Alexandrine aber saß während dieser Zeit ihr Köpfchen so recht schwer auf die Hand gestützt; sie wollte gern fröhlich sein und konnte es doch nicht. Das kleine Herz war ihr so übervoll, sie hätte aufjauchzen mögen vor innerer Freude, vor überseliger Lust und mußte doch zugleich sich zusammennehmen, daß nicht die Thränen ihr aus den Augen stürzten.

Die Mutter, die ab- und zugegangen war, sah ihr Töchterlein träumend sitzen. Es kam ihr seit Kurzem so ganz anders vor, so sinnend, so daß sie oftmals sich selber fragen mußte: ist dies meine Alexandrine oder nicht? Jetzt ging sie hin, legte ihren Arm um der Tochter Nacken und zog sie sanft, mütterlich zu sich hinan.

Alexandrine, wie aus tiefem Träumen aufblickend, sah das Auge der Mutter fragend auf sich ruhen. – Das Herz war ihr so übervoll, und in diesem Augenblicke es gleichsam wie ein Unrecht bereuend und empfindend, daß sie der Mutter ein Geheimniß noch vorenthalten habe, konnte sie sich nicht halten, sie mußte ihre Arme um die Mutter schlingen, mußte ihr Köpfchen an ihre Brust bergen und ihr unter aufjauchzender Freude mit feuchtverklärtem, weinendem Auge ihre Liebe gestehen.

War diese der Mutter ein Geheimniß gewesen? Gewiß nicht. Sie hatte der Tochter Sinnen und Träumen längst verstanden, sie hatte den Wohllaut bemerkt, der in der Stimme Nordheim’s lag, wenn er zu Alexandrinen sprach.

Freudig hielt sie die Tochter umschlungen. Aber diese preßte ihre Arme nur fester und immer fester um den Hals der Mutter und lachte und weinte wieder. Der Damm war gebrochen, das Herz strömte ihr über.

„Werde ich ihn glücklich machen?“ rief sie, „werde ich denn sein Herz ganz ausfüllen? Ich bin so nichtig, so unbedeutend, und er, er steht so fest, so gediegen, so hoch über mir! O Mutter, und dennoch liebe ich ihn so sehr! Ich hab’ es ja selber nie gewußt und geahnt, was Nordheim mir ist. Aber als ich der Malerin gedachte, als er mir so begeistert von ihrem Talente sprach, als ich seine Worte über sie las, da fühlte ich es, wie der Boden unter mir mehr und mehr versank, fühlte es, wie glücklich ihn ein so hochbegabtes, schönes Mädchen machen müsse, wie diese ebenbürtig an seiner Seite stehen würde, eine Gehülfin, eine Mitarbeiterin seines Strebens, fühlte, wie ich nichts, nichts dagegen einzusetzen hätte, als meine Liebe. Konnte ich da fröhlich sein und kann ich’s noch?“

Die Mutter lächelte und streichelte ihrem Liebling die Wange. „Tröste Dich!“ sagte sie freundlich. „Ist nicht die Liebe das Höchste, was ein Menschenherz einzusetzen hat? Kannst Du Schöneres, Besseres einem Manne darbringen, als ein Herz voll Liebe?“

Sie vermochte nichts mehr zu sagen. Es klopfte.

Frau von Werner trat ein, unangemeldet, rasch, entschieden, erregt, und darum nicht fühlend und bemerkend, daß sie vielleicht niemals mehr zur Unzeit gekommen, als eben jetzt. Aber, wie gesagt, sie sah und fühlte nichts. Sie dachte nur an sich selbst, wie sie dies stets während ihres ganzen Lebens zumeist gethan. Auch jetzt rief sie sogleich nach ihrem Eintreten: „Wie schön, wie gut, daß ich Sie treffe, meine liebe Frau Waldow! Sie müssen mir Ihre kleine Alexandrine schon für eine Stunde erlauben! Es ist eine wahrhaft lächerliche Geschichte, aber das hat man davon, wenn man sich mit den Armen in Berührung bringt. Ich würde mich ärgern, wenn’s nicht eben zu toll, zu absurd wäre. Nein, denken Sie sich, meine liebe keine Alexandrine, Sie entsinnen sich noch der fatalen Geschichte bei der Weihnachtsbescheerung. Nichts für ungut. Aber Herr Nordheim hat durch sein unzeitiges Eingreifen mir einen recht fatalen Streich gespielt! Freilich, er konnte vorher nicht wissen, daß es so kommen würde. Aber denken Sie sich meinen Aerger, meinen Verdruß, die Stadt ist voll davon, man hat Alles erkundet, erforscht, die Fama hat es vergrößert, in’s Unendliche ausgesponnen. Die Schwester jenes Kindes ist Malerin. Ihr neuestes Bild hängt bei Sohr. Nordheim hat’s gelobt; er hat die Malerin dort getroffen, und alle Welt läuft hin, es zu sehen, um sich dabei die dumme, lächerliche Geschichte mit der Schwester zu erzählen! Die Malerin ist en vogue – ich blamirt. Aber die Sache muß ein Ende nehmen! Bitte, Alexandrine, nehmen Sie Hut und Mantel und lassen Sie uns zu der Malerin gehen. Ich muß diese Geschichte todt machen, ich darf nicht zögern. Rasches Handeln ist richtiges Handeln!“

Alexandrine glühte auf, und die Mutter wie um Beistand und Hülfe anflehend, rief sie: „Ich, ich soll mit? Ich weiß nicht – –“

„Wo die Person wohnt, werden Sie doch nicht sagen wollen?“ fiel Frau von Werner ein. „Sie und Nordheim sind Eins! Oder wie, hätte er vielleicht für gut befunden, nichts zu sagen?“ Mit diesen Worten suchte sie das eingeschüchterte junge Mädchen gleichsam bis auf das Herz auszuforschen, sie zugleich fragend anschauend.

Alexandrine wußte vor Schreck und Verlegenheit nicht zu antworten, doch die Mutter kam ihr zu Hülfe und sagte entschieden: „Allerdings wissen wir durch Herrn Nordheim, wo die Dame mit ihrer Mutter wohnt, und wir hatten bereits die Absicht ausgesprochen, dort einen Besuch zu machen, wenn auch nicht heute.“

Frau von Werner schien die letzteren Worte gar nicht beachtet oder gänzlich überhört zu haben. Unruhig ging sie im Zimmer auf und nieder. „Bitte, Kind,“ sagte sie endlich, „machen Sie sich fertig, ich muß hin! Unangenehmes muß man so rasch als möglich beseitigen. Ueberdies verlangt mich nach Gewißheit! Es wäre ridicül, wenn Alles einträfe! Bitte, was sehen Sie mich an, liebe Frau Waldow? Es hilft nun einmal nichts, Vergangenes zu vertuschen. Ich fürchte, die Sandow und ich sind alte Bekannte. Sie wissen, mein Mann tagte mit als Abgeordneter in Frankfurt. Er war Thor genug, mit dem Rumpfparlament nach Stuttgart zu gehen, und wurde in Folge dessen seines Adels für verlustig erklärt und zu einer entehrenden Strafe verurtheilt. Er entzog sich derselben durch die Flucht. Sollte ich es wie die Sandow machen, und mit in’s Exil laufen? Dummheit! Sollte ich dem Staate das Vermögen lassen und in der Fremde am Hungertuche nagen? Einfalt! Mein Sohn soll Carriere machen. Ich machte Gebrauch von dem, was das Gesetz gestattet, ich ließ mich scheiden und nenne mich wieder nach meinem Geburtsnamen, nach dem Namen meiner Ahnen: von Werner. Meinem Sohne, dem Lieutenant, wurde es gestattet, den Namen seiner Mutter zu führen. Für ihn ist und muß der Vater todt sein. Ich rettete meine Ehre und mein Vermögen. That ich unrecht?“

Alexandrine und ihre Mutter schwiegen; sie fühlten durch diese Worte sich eisig kalt berührt. Endlich sagte Letztere: „Und die Familie wäre Ihnen von früher her bekannt?“

Frau von Werner hielt in ihrem Gehen inne und sagte gedehnt: „Ich fürchte – ich war mit einer Sandow bekannt. Sie hatte damals nur eine Tochter; das Kind, die Marie, müßte in der Fremde geboren sein – so ein rechtes, echtes Elendskind! Aber kommen Sie, Alexandrine.“ rief sie wieder, ihre Rede kurz abbrechend, „es ist horribel, daß ich dem Kinde eine Armenjacke schenken mußte! Aber, mein Gott, warum folgte die Frau auch ihrem Manne! Kommen Sie, ich muß für die Frau Etwas thun, der Leute wegen!“

Alexandrine hörte das Letztere nicht mehr. Es drängte sie selbst, die Familie jetzt kennen zu lernen. Die Mutter lobte ihren Entschluß. „Recht, Kind, geh’,“ sagte sie leise. „Der Besuch wird,

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