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verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ein Bild.
Novelle von F. Brunold.
(Schluß.)

Nordheim durcheilte in Hast die Straßen der Stadt nach seiner Wohnung zurück, um seine Recension in Bezug der Copie von Elisens Hand zu sichten und im Einzelnen umzuändern. Er hatte nicht seine Ansichten, nachdem er die persönliche Bekanntschaft der Künstlerin gemacht, geändert, dieselben waren vielmehr noch fester in ihm geworden, als dies vordem der Fall; während aber vor Stunden mehr herablassendes Wohlwollen, mehr Güte und Nachsicht die Feder geführt, hatte jetzt die fester gewordene Ueberzeugung von dem wirklichen Vorhandensein künstlerischen Talents die Worte durchwärmt, die Kritik durchsichtet und geläutert.

Nachdem dies geschehen, wurden die Blätter zur Redaction befördert, um Tages darauf durch die Zeitung in alle Welt zu fliegen. Es ist ein eigenes Gefühl, sein Geschriebenes nach wenigen Stunden bereits gedruckt, von Tausenden gelesen zu wissen. Und wenn dies Gefühl bei dem Schriftsteller von Profession sich mit der Zeit auch mehr und mehr abstumpft, so taucht es dennoch immer wieder bei einzelnen Gelegenheiten mehr denn je hervor. Auch Nordheim empfand, nach schlafloser Nacht, dies Gefühl nach langer Zeit wieder einmal in verstärktem Maße. Elisens Erscheinen, die Art und Weise ihres Handelns und Redens, hatte einen eigenthümlichen Eindruck auf ihn gemacht. Er mußte unausgesetzt an sie denken, während doch auch zugleich das Bild Alexandrinens sich, wie verletzt fühlend, immer wieder zwischen die Gedanken drängte. Elise war schöner, voller, Alexandrine lieblicher. Erstere braun gescheitelt, die Andere blond gelockt; Jene schmerzbewußt, nicht ohne Bitterkeit, aber stolz, lieber darbend, als sich beugend, wenn auch echter Weiblichkeit nicht entbehrend; Diese kindlich, vertrauend, sich anschmiegend, unbewußt, ohne Ahnung, daß es anders sein könne. Elise trug ihr Gefühl tief verschleiert in der Brust, Alexandrine ließ es, gleich einem Schmetterling, im Sonnenlichte des Tages um Rosen gaukeln.

Es war Tag geworden, die Stunden des Vormittags waren bald vorüber. Es wurde ihm zu eng im Zimmer. Die Gedanken kamen und gingen in ihm auf und nieder. Es hielt ihn nicht länger, er mußte zu Alexandrinen; er mußte sehen, was sie thu’ und treibe, ob sie wirklich so lieblich sei, wie er sie, im Vergleich zu Elisen, in seinen Träumen und Vorstellungen gefunden.

Und er kam. – Aber wie doch wieder so ganz anders fand er sie, als er sie sich gedacht! Hatte denn aus der Rosenknospe, die an seiner Seite gleichsam täglich mehr und mehr erblüht war, sich wirklich seit gestern ein wunderliebliches Mädchen entwickelt? Oder waren seine Augen nur bisher gehalten gewesen? – Es war Alexandrine – und doch wieder eine Andere! –

Sie saß nicht fern des Fensters und las. Es war die Zeitung, welche sie vor sich hatte. Aber wie blickte sie so wehmüthig ernst, so schmerzlich fremd, fast fragend auf, als er eintrat! Er kam so froh, so freudig erregt und fühlte sich beglückt, als er sie lesend fand, in dem Gedanken, daß sie wohl seine Kritiken lese, sich also mit ihm beschäftige – und nun, nun fand er sie scheu, zurückhaltend, wie er sie noch nie gesehen, wie er sie noch nie gefunden. Es war etwas Fremdes zwischen sie getreten, von dessen Dasein er bisher noch keine Ahnung gehabt hatte.

Die Mutter war nicht zugegen, sie war ausgegangen, und dennoch wollte kein heiterer Fluß in die Rede kommen; Alexandrinens Antworten blieben einsylbig, gedrückt, Nordheim fühlte es, und sich keiner Schuld bewußt und doch von dem Drückenden des Augenblicks gepreßt, ergriff er endlich ihre Hand, und ihr in das Auge sehend, rief er: „Alexandrine? was ist’s! was haben Sie nur?“

Sie sah ihn fragend an und drängte mühsam mit Gewalt die Thränen zurück. „O nichts!“ sagte sie scheinbar gelassen, „mir ist nichts! – Ich bin ja ruhig!“ Aber mit diesen Worten war es auch, als ob der Thränenstrom den Damm durchbrochen habe, als sei es nicht möglich, sich länger zu halten: sie weinte laut!

Nordheim war erschüttert; er legte seinen Arm sanft um ihren Leib, er zog sie unwillkürlich näher zu sich heran; er beugte mit der andern Hand ihr Gesicht zu sich herüber und sagte, ihr sanft die Wangen streichelnd, wie man einem lieben, weinenden Kinde zu thun pflegt: „Alexandrine, Sie schienen so ruhig, als ich kam, Sie lasen – und nun?“

Sie glühte auf, sie wollte nicht mehr weinen und wollte sich erheben. „Ich bin ein Kind!“ sagte sie, „was geht es mich an! Ich weine auch nicht.“ Dabei aber rannen die Thränen auf’s Neue, und sie mußte sich setzen und ihr Angesicht in beide Hände bergen.

Nordheim hob die Hände sanft von ihren Augen. „Was geht Sie nichts an, Alexandrine?“ frug er. Und dabei lächelte er schalkhaft, schelmisch, denn in seiner Brust hatte das Geheimniß ihrer Schmerzen zu keimen begonnen. „Hat meine unschuldige Recension Sie gekränkt?“ fragte er. „Schmerzt es Sie, wenn ich ein anderes junges Mädchen lobe, das der Stütze, der Hülfe, der Anerkennung bedarf?“ Und ohne eine Gegenrede abzuwarten, legte er ihr Köpfchen sanft auf seine Schulter, sah ihr leuchtend in das Auge, indem er sie fest umfing – und rief und sagte nichts, als nur den Namen „Alexandrine!“ Es mußte in dem Tone, mit dem der Name gesprochen wurde, wohl ein eigener mächtiger Wohllaut, ein Zauber liegen, wie sie es noch nie empfunden, gefühlt oder gehört hatte; sie konnte nicht anders, sie mußte glückselig, aufglühend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1863, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_337.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)