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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Schultern fest, drückte mich auf meinen Sitz nieder und sagte: „Dageblieben, edler Unbekannter! Sie sehen aus wie ein anständiger Mensch und als ob Sie ein Glas Guten nicht verschmähten. Ich aber habe einen Trinkspruch auszubringen, und Sie müssen mithalten.“ Es lag so viel Gutmüthigkeit in den lachenden Zügen des Sprechenden, daß ich die etwas derbe Art, zurückgehalten zu werden, nicht übel nehmen konnte und blieb.

Der Kellner brachte den bestellten Wein, die Gläser wurden gefüllt, und Egidius hob das seinige empor, indem er rief: „Angestoßen, Kinder, der König soll leben!“ Man trank, hier und da verwundert, zögernd, doch Egidius rief: „Wieder eingeschenkt und schaut mich nicht so dumm an. Ihr möchtet wissen, wie ich darauf komme, diesen Trinkspruch auszubringen. Ich bemerke an Einigen von Euch leises Kopfschütteln, ich weiß auch, daß Einige von Euch demokratische und republikanische Gelüste hegen, aber „ich werde nächstens unter Euch treten und fürchterlich Musterung halten.““ Die letzten bekannten Worte Karl Moor’s sprach er mit blitzenden Augen, mit drohendem Gesichte und mit solcher Donnerstimme, daß ich unwillkürlich zusammenfuhr. Lautes Gelächter antwortete ihm von der andern Gesellschaft. „Wer lacht da?“ rief Egidius im Tone des Odoardo Galotti, „ich glaube, ich war es selbst.“ Die letztern Worte sprach er mit so eigenthümlichem innern Schauder, daß Alle einen Augenblick still wurden, dann fuhr er fort: „ich bringe es auch noch ein Mal, der König soll leben, denn –“ fuhr er mit einem eigenthümlich schaurigen Geflüster fort: „Se. Majestät haben heute zum zweiten Male geruht – meine Schulden zu bezahlen.“

Ein donnerndes Gelächter, ein lustiges Hochrufen folgte diesen Worten. „Es mag ein anständiges Sümmchen gewesen sein.“ rief neckend ein alter Herr mit weißem Kopfe.

„Hm, hm,“ sagte Egidius, „hinten standen drei Nullen, die vordere Zahl habe ich vergessen, geht Euch auch nichts an.“

„War nicht eine kleine Strafpredigt bei der guten Nachricht?“ sagte der alte Herr.

Egidius schüttelte seine wilden Locken, daß sie nach hinten fielen und das Gesicht ganz frei ließen, er kroch in sich zusammen, seine Mienen nahmen einen unübertrefflichen Ausdruck von Dummheit und Hochmuth an, und mit feinem Tone lispelte er: „Mein lieber Egidius, Se. Majestät wollen noch ein Mal Sie aus Ihrer betrübten Lage reißen, lassen Sie aber auffordern, von Ihrer Verschwendung abzustehen, denn wenn Sie wieder in Schulden geriethen, würden Sie sich die allerhöchste Ungnade Sr. Majestät zuziehen.“

Alles lachte, und ich erstaunte, denn Egidius hatte einen bekannten Kammerherrn des Königs auf das täuschendste nachgeahmt. Ein Anderer aus der Gesellschaft nahm das Wort und sagte: „Das war Hülfe in der Noth, nicht wahr, Egidius?“

Dieser erwiderte: „Hülfe? Ja! Noth? Nein!“

„Keine Noth?“ fragte der Andere, „ich weiß doch, daß Sie bis über die Ohren d’rin steckten, daß Wechsel auf Sie liefen und Ihnen der Schuldthurm drohte. Was hätten Sie thun wollen, wenn der König nicht half?“

„Durchgehen,“ sagte Egidius ruhig, „„ein jeder Wechsel schreckt den Glücklichen,“ und mich hätte er von hier weggeschreckt. Es giebt noch viele Theater in Deutschland, und Egidius ist überall willkommen, „die Blinden in Genua kennen meine Tritte.““

„Die Gläubiger würden Sie überall verfolgt haben,“ sagte ein Dritter.

„Verfolgt, aber nicht erwischt,“ sagte Egidius. „Ehe man mich anderwärts hätte fassen können, mußten eine Menge Formalitäten erfüllt werden, Requisitionen von einem souveränen Staate zu dem andern, daß ich Zeit genug hatte, an einem andern Orte ein Jährchen zu bleiben – und im schlimmsten Fall wieder durchzugehen. Ehe man in Deutschland nur überall herumkommt, hat man sein Leben vollendet – und dem letzten Wechselarrest sechs Fuß tief unter der Erde entgeht doch kein Mensch.“

„Was schwatzt ihr so obenhin über die mögliche Entfernung des Egidius?“ sprach ernst ein junger Mann mit blondem Lockenhaar, „sein Verlust wäre unersetzlich für die ganze Stadt und für uns in’s Besondere. Also zum dritten Male ein Hoch dem Könige, der ihn uns erhalten hat!“

Man stieß an, es wurden neue Flaschen gebracht, die Männer wurden erregter, das Gespräch immer lebendiger, Anekdoten wurden erzählt, witzige, geistreiche Bemerkungen flogen hin und her, die Seele der ganzen Gesellschaft aber war Egidius. Dinge, die so unbedeutend sind, daß ein Anderer sie gar nicht mittheilen würde, erzählte er mit einem Ausdruck in Ton und Mienen, daß sie lautes Gelächter oder auch Schauder erregten. Er wußte Jeden zu necken und auf keine Neckerei die Antwort schuldig zu bleiben, er traf mit jeder Bemerkung den Nagel auf den Kopf. Mit einem Worte, er sprühte von Geist und Leben. Endlich brachen wir auf. Es war fünf Uhr Morgens. Ich kann mich nicht besinnen, daß mir jemals die Stunden so verflogen sind. –

Neun Jahre später weilte ich einige Tage in einer kleinen Residenzstadt Thüringens. Es war großer Markt in dem Orte und während desselben regelmäßig Theater. Eine reisende Gesellschaft, die die großen Städte der umliegenden Länder besuchte, spielte in der Residenz und wurde vom Fürsten immer ansehnlich unterstützt. Die Gesellschaft war gut, sie hatte tüchtige Kräfte und leistete mehr als manches stehende Theater. An ihrer Spitze stand ein in der Geschichte des deutschen Theaters rühmlich bekannter Mann. Das ganze Unternehmen war ein durchaus anständiges, nicht zu vergleichen mit den kleinen reisenden Truppen, die zuletzt in Dörfern die Kunst mißhandeln.

Auf dem Theaterzettel fand ich den Namen Egidius. Ich erstaunte und fragte meinen Wirth, ob das derselbe Egidius sei, der früher an den großen Hoftheatern zu D., B., W. und K. gewesen. Es war derselbe. Mich überschlich ein eigenthümliches Bedauern. Den Mann, den ich in D. im sprudelndsten Lebensgenuß kennen gelernt hatte, der Liebling von Fürsten und dem Publicum der größten Städte – war ein wandernder Schauspieler geworden! Und war diese Gesellschaft auch eine anständige, so konnte eine Stellung bei ihr doch keinen Vergleich aushalten mit einer bei großen stehenden Theatern. Das Einkommen eines Schauspielers bei einer kleinen Gesellschaft erreicht nicht den vierten Theil von dem eines Hofschauspielers. Egidius war an reichen Lebensgenuß gewöhnt, wie mochte er sich fühlen, da ihm die Mittel dazu entzogen waren!

Er spielte an dem Abend. Ich sah ihn, ich sah ihn noch zwei Mal. Unvergeßlich wird mir der Eindruck seiner Vorstellungen bleiben. Er war ein Meister im vollsten Sinne des Wortes. Niemals war er Egidius, der schön spielte, er war immer die Person, die er darstellte. Man kannte ihn in den verschiedenen Rollen kaum wieder. Jeder Ausdruck des Mienenspiels stand ihm zu Gebote, jedes Ausdrucks durch das Wort in Stimme und Tonfarbe war er Herr. Er rührte bis zu Thränen und erregte das brausendste Gelächter. Dabei besaß sein Spiel eine Feinheit, eine Schicklichkeit, wie man sie selten sieht. Niemals ging er über die Grenze, welche die künstlerische Schönheit vorschreibt, niemals übertrieb er. Der Mann, den ich zuerst in toller, ausgelassenster Laune gesehen hatte, war auf der Bühne der feinste, anständigste Schauspieler.

Ich traf nicht mit ihm zusammen während meines Aufenthalts in R–, geradezu aufsuchen mochte ich ihn nicht. Meine Bekanntschaft in D. mit ihm war ja nur eine flüchtige gewesen, ich konnte kaum vermuthen, daß er mich wieder erkenne. Am Abend vor meiner Abreise kam ich bei dem Nachtessen mit einem Manne in’s Gespräch, der viel vom Theater redete und mit Allem, was dasselbe betraf, genau bekant war. Ich fragte ihn nach Egidius, von dem er mit begeistertem Lobe gesprochen hatte, und nach dessen Verhältnissen. Er erzählte mir, was ich halb und halb wußte, daß Egidius bei mehreren der ersten Hoftheater angestellt gewesen, daß mehrmals für ihn Schulden bezahlt worden waren, daß er aber fortwährend neue gemacht habe, bis die Last derselben ihn fortgetrieben. So war er von einem Theater zum andern gekommen, von größeren zu kleineren, und überall von Gläubigern verfolgt, endlich zu dieser reisenden Gesellschaft. „Es ist merkwürdig,“ schloß der Mann seine. Mittheilungen, „Egidius ist eigentlich kein Wüstling im schlimmsten Sinne des Worts. Er liebt den Wein, ohne ein Trinker zu sein, man sieht ihn nicht leicht betrunken. Er spielt, ohne ein Spieler zu sein, denn er sucht das Spiel nie, geht ihm aber nicht aus dem Wege, wenn er es findet, weil ihm die Aufregung Vergnügen macht. Er ist kein Cato in der Liebe, aber doch auch kein Ausschweifling. Ich glaube, er hat nie ein weibliches Wesen unglücklich gemacht, außer seine Frau, die, schon wenige Jahre nach ihrer Verheirathung von ihm geschieden, seit Jahren bei ihren Verwandten lebt. Zu einem Ehemann, der doch wenigstens etwas häuslichen Sinn besitzen muß, sei es noch so wenig, paßt er

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