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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ein Bild.
Novelle von F. Brunold.

Frau von Werner, als Präsidentin des Frauenclubs für hülfsbedürftige Kinder und verschämte Arme, hatte bereits vor Wochen ihren alljährlichen Aufruf zur Beisteuer milder Beiträge zum Besten eines Weihnachtsbaums ergehen lassen. Sie war zu diesem Behufe nicht allein selbst sehr thätig gewesen, viel in die Häuser reicher Bekannter gegangen, wo sie um milde Gaben gebeten, sondern sie hatte es selbst nicht an Theekränzchen, Lotterien und dergleichen fehlen lassen; so daß wirklich ein Bedeutendes zu genanntem Zwecke eingekommen war, von dem man sich eine reiche Weihnachtsfreude armer Kinder glaubte versprechen zu können – wenn die böse Welt auch meinte, daß die Frau Präsidentin keinen Deut zu dem Ganzen beigesteuert habe. – Mag dies auch der Fall gewesen sein, so mußte man doch den Eifer, die Ausdauer dankend anerkennen, mit der sie sich der Sache gewidmet hatte.

Heute am Tage vor dem heiligen Abend war nun endlich der Tag der Bescheerung, der Vertheilung der Geschenke und milden Gaben an die Kinder herangekommen. Es hatte eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft sich in dem Saal eingefunden, elegante Damen, wie auch eine Anzahl junger Männer. Erstere waren ungemein thätig, hie und da an dem Weihnachtsbaum, der mitten im Saale auf einem großen Tische stand, auf welchem zugleich die einzelnen Geschenke für die im Vorzimmer harrenden Kinder lagen, Dies und Jenes noch zu ordnen, hier ein Lichtlein gerade zu rücken oder dort einen abgefallenen Aepfel wieder anzubinden; während dessen dieser oder jener der jüngeren Herren sich die ausgelegten Geschenke besah, wobei er nicht unterließ, der nahestehenden Dame, um deren willen er vielleicht nur anwesend war, spöttische Bemerkungen in Bezug des Ausliegenden zuzuflüstern. Genug, man schien zusammengekommen zu sein, um ein Stündchen, statt durch Concert oder Schauspiel, auf andere Weise einmal hinzubringen, bis endlich Frau von Werner, als Präsidentin, dem allgemeinen Scherzen, dem Frohsein freundlich lächelnd ein Ende machte, indem sie sagte: „Bitte, meine werthen Damen, wir werden beginnen müssen. Die Kinderchen zügeln nicht länger ihre Ungeduld; die Freude, die Erwartung in ihnen ist zu groß. O mein Gott, wie schön ist doch solch ein Fest! Welche Freude liegt im Geben! Können wir anfangen?“

Und als nach diesen Worten die Anwesenden sich lächelnd und scherzend auf die eine Seite des Saales zurückzogen, wurden auf den Wink der Präsidentin rasch die Lichter des Baumes angezündet, worauf von einem der Herren die Thür geöffnet wurde und die Schaar der Kinder, Knaben und Mädchen, scheu, schüchtern eintrat. Kein froher, heiterer Kinderjubel machte sich bemerkbar; kein freudiges „Ach!“ ertönte von ihren Lippen; die Hände gefaltet, standen sie mit niedergeschlagenen Augen, eng gedrückt vor dem Tische.

Ein geistliches Lied wurde gesungen, dann hielt Frau Präsidentin Werner eine Rede, in der viel von Barmherzigkeit, Güte, Liebe und Milde die Rede war, während andererseits der kindlichen Dankbarkeit ein weites Feld eröffnet wurde.

Und nun endlich begann die eigentliche Vertheilung der Gaben an die betreffenden Kinder. Es wurden deren Namen nach und nach aufgerufen, worauf die zugehörige Bescheerung von einer der jüngeren Damen verabreicht wurde. Es ging hier zu, wie es bei den meisten Vertheilungen der Art zugeht: die Kinder traten vor, empfingen ihre Gaben, wobei sie mehr auf diejenigen sahen, die Andere erhalten hatten, als auf die eigenen – und traten, Dank stotternd, in den Kreis zurück.

So war es auch hier. Die Kinder empfanden, gegenseitig sich und die empfangenen Gaben anschauend, mehr Neid als Freude, und eine innige Zufriedenheit war bei den Wenigsten zu bemerken.

Jetzt aber wurde der Name eines Mädchens gerufen, ohne daß die Gerufene Miene machte vorzutreten; und als nach nochmaligem Aufruf die zunächststehenden Kinder die Betreffende hervor zu zerren und zu stoßen begannen, schrie das Mädchen, ein etwa fünfjähriges, hübsches, blondgelocktes Kind, hervorstürzend und sich die Hände, wie im tiefsten inneren beschämt und verletzt, vor das Gesicht haltend: „Ach Gott! ach Gott! so sind wir also doch so arm; nun werden wir auch noch in’s Armenhaus kommen!“ Und mit diesen Worten hub das Kind so recht jämmerlich zu weinen und zu schluchzen an, daß selbst die andern Kinder scheu und befangen auf das Mädchen blickten und nicht wagten, es noch weiter vor bis an den Tisch zu stoßen.

Frau Präsident Werner jedoch empfand diese unzeitige Störung sehr übel. Sie gab der zunächst stehenden jungen Dame einen Wink und sagte: „Bitte, Fräulein Waldow, geben Sie der kleinen Närrin ihre für sie bestimmte Jacke und dann lassen Sie den Trotzkopf laufen! Man muß solchen rohen, ungebildeten Kindern Manches zu Gute halten.“

Ehe dieser Befehl indeß zur Ausführung gebracht werden konnte, und ehe noch Fräulein Waldow oder eine der andern jungen Damen in unzeitigem Pflichteifer sich dem Kinde zu nähern vermochte, trat einer der anwesenden jüngeren Männer vor, hob das Mädchen rasch empor und legte sein Köpfchen sanft auf seine Schulter; rasch mit ihm zur Thüre hinauseilend sagte er. „Komm, Kind! komm, Marie! wir wollen zur Mutter gehen.“

Es geschah dies Alles so rasch und mit solcher Entschiedenheit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_321.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)