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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und Eau de Cologne auf der Straße. Einige Jahre später trafen wir ihn zufällig als Professor der deutschen und französischen Sprache und aller möglichen Wissenschaften in einem Pensionat, – noch ein paar Jahre später als Schiffsagenten in den London-Docks – noch ein paar Jahre später als Dandy in der italienischen Oper, wo er uns erzählte, daß er Unglück mit seiner Schiffsagentur gehabt und einige Monate im Schuldgefängniß gesessen habe, jetzt jedoch Cassirer in einem großen Handelshause und wohlauf sei. Der zerlumpte Knabe, Straßenverkäufer, Professor, Agent, Cassirer und beneidete Besitzer der reizenden Villa uns gegenüber sind ein und dieselbe Person. Vom Cassirer wurde er Schwiegersohn und Associé des hebräischen Handelsherrn und ist jetzt ein reicher und glücklicher Mann. Trotzdem versäumt er nie, die Synagoge zu besuchen und in seinem rührigen und bescheidenen Auftreten zu bekunden, daß er sich noch immer im Zusammenhange fühlt mit dem „deutschen Juden in London“.





Friedrich Rückert zum 16. Mai.



Mich zieht ein Blick, ein trauter,
Den ich im Geiste schau’,
Zum Garten an der Lauter
In meiner Heimathau.

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Da ward zu allen Stunden

Mir Geist und Herz beglückt:
Da sei ein Kranz gewunden,
Da sei ein Haupt geschmückt!

Nur nieder will ich legen

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Den Kranz am Blumenzaun,

Auf den verschlung’nen Wegen
Mich um im Garten schau’n,
Zum Fenster will ich schleichen,
Nur einen Blick hinein,

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Das soll mein einzig Eigen

Vom Dichterfeste sein.

Doch zu der stillen Feier
Drängt sich ein Jubelklang
Für Deiner ehrnen Leier

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Geharnischten Gesang:

Die Zeiten kommen wieder,
Wo einst auf wilder Spur
Das Klirren Deiner Lieder
In alle Herzen fuhr.

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So sei es Dir zum Lohne

Verliehn für jene Zeit,
Der Du die Blüthenkrone
Der Jugendkraft geweiht,
Daß es Dein letztes Dichten,

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Dein letztes Singen sei:

„Es kam der Herr, zu richten,
Und siehe, wir sind frei!“

Friedrich Hofmann



Süddeutsche Ausflüge.
Nr. 1. Am Königsee.


In Duft verklärt die ew’gen Berge stehen,
Im gold’nen Sonnenschein,
Und ihre ernsten Riesenhäupter sehen
Tief in den See hinein.

O wär’ mein Herz, von manchem Sturm ermüdet,
Der Woge Bild!
So unerschöpflich, doch so still umfriedet,
So ruhig, klar und mild!

M. Quednow.

Im südöstlichen Winkel der Provinz Oberbaiern streckt sich eine Gruppe gewaltiger Bergriesen weit in’s Salzburgische hinein. Sie überragen stolz die umliegenden Höhen und schauen trotzig in’s Nachbarland hinüber; es sind gar wetterfeste und unbezwingbare Recken, die dort die Grenze bewachen. An jenes Hochgebirg schmiegt sich ein reizendes, in seiner Art wohl einziges Ländchen, die ehemals gefürstete Propstei Berchtesgaden mit der Ramsau, welches Gebiet auf einem verhältnißmäßig kleinen Raume die großartigsten Partien deutscher Alpen in sich schließt. Himmelhohe Berge mit beeisten Häuptern, wildzerrissene Klüfte und schauerliche Felsöden, saftiggrüne Auen und dunkle Nadelwälder, smaragdne Seen und donnernde Wasserfälle, liebliche Thäler und freundliche Gehöfte sind hier in theils imposanter, theils anmuthiger Abwechselung vereinigt. Den Glanzpunkt dieser romantischen Gegend bildet unstreitig der Königsee, dessen tiefklares, grünes Wasserbecken, von 8000 bis 9000 Fuß hohen Felswänden eingeengt, sich über zwei Stunden weit in das mächtige Gebirge hineinzieht.

Es war ein prächtiger Herbstmorgen, als ich eines Tages von Berchtesgaden nach dem Königsee aufbrach. Die säuselnden Lüfte und rauschenden Wasser, die thauigen Wiesen und sonnigen Höhen, das melodische Geläute weidender Heerden und die fröhlichen Jauchzer ihrer Hirten – kurz, Alles was ich sah und hörte, erregte in mir ein selten empfundenes Gefühl von Lebenslust und Wanderdurst. Der tosende Albe entlang führte mich der Pfad bald im Schatten hoher Ahornbäume, bald durch finstern Tannenforst, dann wieder durch freies Feld; zuweilen begegneten mir geschäftige Landleute, die freundlich „Grüß Gott!“ boten; bald war’s ein rothwangiges Maidi, das schüchtern grüßend an mir vorüber eilte, bald ein stämmiger Bursche, der mit der Holzaxt oder mit Büchse und Eisstock nach der Höhe schritt.

Allmählich öffnete sich das Thal, und durch’s lichte Gehölz schimmerte schon von ferne der Spiegel des Sees. Eine Viertelstunde später war ich mit einem Sprunge in’s Boot und mit einem kräftigen Ruderschlage mitten auf den tiefen See hinausgekommen; ein alter Schiffer und sein schmuckes Töchterlein begleiteten mich als Ruderer. Noch einen scheidenden Blick werfen wir auf das traute Fischerdörfchen, das wir eben verlassen, dann umfahren wir rasch den aus dem See steigenden Falkenstein, und jetzt erst zeigt sich uns der Königsee in seiner ganzen Ausdehnung. Rechts erheben sich aus der dunklen Fluth die Vorläufer des Watzmann, dessen Gipfel hier nicht sichtbar sind, links treten die steilen Wände der Gotzenalp an’s Wasser, während im Hintergrunde das schneebedeckte Stuhlgebirg mit der 8400 Fuß hohen Schönfeldspitze thront. Am östlichen Ufer springt muthwillig der Königsbach in weitem Satze über den rothen Felsen herab; daneben gähnt uns ein Felsrachen entgegen, genannt das Kuchler-Loch, durch welches ein Theil des Sees abfließen und jenseits der Berge den Gollinger Wasserfall bilden soll.

Etwas südlicher, ebenfalls am östlichen Gestade, lockt ein kleines grünes Vorland, gleich einer Oase in der Felsenwüste, an’s Ufer; das ist die Wallner-Insel. Dort ließ ich mich an’s Land setzen, um den aus enger Schlucht hervorbrechenden Kesselbachfall zu betrachten und alsdann das Gebirg zu erklimmen. Auf diesseitiger Felswand der Kluft ist eine merkwürdige Inschrift in den Stein gegraben. „Ewiger, dich spricht das Gestein, dich das Brausen der Gewässer, wann wird meine Seele dich schauen?“ Der Urheber dieser schönen Worte dürfte aber weder die Krimlerfälle im Pinzgau, noch den Gießbachfall im Berner Oberlande gesehen haben, sonst wäre er schwerlich durch den Anblick des zwar hübschen, doch an und für sich unbedeutenden Falles des Kesselbachs zu solch poetischer Begeisterung hingerissen worden.

Ohne Zweifel wird mir der freundliche Leser auf meiner Wanderung nach der Gotzenalp gern Gesellschaft leisten, und so wollen wir denn rüstig die Bergtour beginnen. Vom Kesselbachfall führt, an einer verfallenen Klause vorüber, ein ziemlich guter Reitweg in vielfachen Krümmungen zur Alp hinauf; König Max II. von Baiern hat diesen Weg erst vor wenigen Jahren wegen seiner Gemsjagden auf der Regenalm anlegen lassen. Beim Aufwärtssteigen fesselt uns öfters an den offenen Waldstellen ein entzückender Blick auf den unten glitzernden See und auf die drüben schroff

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_315.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2019)