Seite:Die Gartenlaube (1863) 306.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

mein Unterkommen suchen. Gott verläßt mich nicht, wenn auch er mich verlassen hat!“

Der über Leo’s Verrätherei entrüsteten Mary war es zunächst darum zu thun, Mathilde vor ferneren Verfolgungen des Vicomte zu sichern; sie machte wohl noch einige Einwendungen, deren Resultat aber kein günstiges war. Drei Stunden später dampften die beiden jungen Frauen, mit leichtem Reisegepäck versehen, dem Hafen zu, von wo aus sie bald nach Albions Ufer segelten.


Einige Monate später, in einer der entlegensten Straßen Londons, in einem kleinen Zimmer der vierten Etage, saß Mathilde vor einer Staffelei und beendete das ziemlich gelungene Pastetbild einer blonden Miß in weißem Kleide.

Mathilde war verändert, die frische Rose zur schmachtenden Lilie verwandelt, die blühenden Farbe ihrer Wangen einer durchsichtigen Blässe gewichen. Erst seit wenigen Tagen hatte sie das Krankenlager verlassen, an welches sie während langer Wochen in Folge der erlittenen Gemüthsbewegungen gefesselt gewesen. Während dieser schweren Zeit war die treue Mary nicht von ihrer Seite gewichen, bis endlich die jugendlichen Lebenskräfte die Oberhand gewonnen und der grelle Schmerz sich in stille Wehmuth verwandelt hatte. Leider traten aber den Geflüchteten statt der gewichenen Sorgen neue entgegen. Die ungenügenden Mittel waren durch Einrichtung, Krankheit und nöthige Pflege so ziemlich erschöpft, es mußte für das künftige Fortkommen gesorgt werden. Mathilde wollte ihr nicht geringes Talent für Pastelmalerei dazu verwenden, aber guter Wille und Fleiß allein sind in einer großen, kalten Weltstadt, ohne Bekanntschaften, ohne Freunde, ohne Protection, nicht genügend. Mary hatte wohl Verwandte und Freunde in der Vaterstadt, aber leider meistens unbemittelte, wie sie selbst. Nach vielen Bemühungen war es ihr doch gelungen, Mathilden die erste Bestellung zu verschaffen, und zwar durch Vermittlung ihrer Cousine, die bei den Eltern der jungen Miß, an deren Bild Mathilde jetzt arbeitete, in Diensten stand. Da Mathilde noch zu schwach war, um auszugehen, so hatte sich die junge Miß ausnahmsweise zu ihr bemüht, und nun arbeitete Mathilde eifrig, sowohl um den geringen Lohn zu erwerben, als auch um ein Probestück ihres Talents abzulegen, das ihr, wie sie hoffte, neue Bestellungen zuführen würde. Noch saß sie an der Staffelei, als Mary eintrat, Hut und Mantel bei Seite warf und, nachdem sie auf Mathildens Stirn einen Kuß gedrückt, einen zufriedenen Blick auf’s Bild warf.

„Bravo, Mathilde,“ sprach sie, „wenn Miß Maxen nicht zufrieden ist, so weiß ich nicht, was sie will … Nun aber machen Sie, daß das Bild bald fertig wird. Soeben begegnete mir Kitty und erzählte, ihre Lady habe gestern Gesellschaft gehabt, und Mutter und Tochter hätten mit Begeisterung von Ihnen gesprochen und sich dabei auf dieses Bild berufen, das zur baldigen Anschau versprochen wurde.“

„Gute Mary,“ antwortete Mathilde gerührt, „diesen ersten Erfolg verdanke ich Dir, wie meine Genesung. Was wäre aus mir geworden ohne Deine liebevolle, aufopfernde Pflege?“

„O, vergessen wir diese Schreckenstage, liebe Mathilde, und vor allen Dingen schonen Sie sich. Noch gestern sagte der Doctor, daß Ihnen nichts fataler sein könnte, als ein Rückfall!“

„Beruhige Dich, meine gute Mary, ich fühle mich ganz wohl, ja so wohl, daß ich vielleicht noch glücklich leben könnte mit Dir und mit meiner Kunst, wäre es mir nur möglich, meine Erinnerungen zu verbannen.“

Ein energisches Pochen an der Thür unterbrach Mathilde. Auf ihr „Herein!“ trat ein Mann in die Stube, der echte Typus des Engländers, wie ihn sich die Franzosen zu ihren Caricaturen nicht besser hatten wünschen können. Röthliches Haar, ein rother Backenbart, ein hochrothes Vierzigergesicht, ein sandfarbiges tout de même, von welchem ein rothes cachez-nez grell abstach, bildeten das glückliche Ensemble des ziemlich wohlbeleibten Herrn, der ohne Weiteres auf Mathilde zuging und sie mit steifem Gruße frug:

„Sie thun sein Lady Leo?“

„Ja, mein Herr, ich bin es.“

„Sie thun malen?“

„Zu dienen, mein Herr, wie Sie sehen,“ und sie deutete auf das Bild.

„Ho!“ gurgelte der Engländer, besah das beinahe beendete Portrait und fuhr fort. „Yes, ich sehe, die Ladies haben gesprochen wahr gestern Abend, Sie seien eine Meisterin, und das ist die wahre, lebendige Miß Sarah Maxen, ich bin sehr zufrieden mit meine Besichtigung!“

Mathilde verbeugte sich lächelnd.

„Erlauben Sie,“ fuhr der Engländer fort, „daß ich mir setzen, denn ich muß erzählen Ihnen eine lange Geschichte von das, was Sie sollen thun.“

„Reden Sie, mein Herr,“ sprach Mathilde, während Mary dem Original einen Sessel vorrückte.

„Erst Sie müssen erfahren, meine Lady, daß ich bin verliebt, sehr, viel verliebt, und Sie sollen machen mir das Bild von meinem Liebling.“

„Recht gern, mein Herr, das Fräulein …“

„O! ist keine Fräulein!“

„Also die Dame …“

„Ho! ist auch keine Dame!“

Mathilde sah ihn befremdet an und konnte kaum ein Lächeln unterdrücken, als sie der drollig ernsten Miene ihres Gastes begegnete.

„Wohl, mein Herr,“ sprach sie, „so will ich mich Ihres eigenen Ausdruckes bedienen. Wenn also Ihr Liebling mir einige Sitzungen gestatten will, bin ich bereit das Bild zu machen.“

„O! wird nicht sitzen, kann nicht! steht immer, wird auch stehen!“

„Dürfte aber sehr ermüdend sein …“

„O! thut ihr nichts, wird stehen! Sie sollen aber nur malen Kopf und Schultern, denn Körper schlecht! Sehen Sie, ich konnte kaufen ihr ganz, aber kaufe nicht, weil Körper schlecht. Will nur Kopf haben.“

Trotz alledem, was Mathilde über englische Originalität gehört, schien ihr dieses denn doch ein wenig zu stark, und sie fürchtete im Ernst einen Geisteskranken vor sich zu haben.

„Wie soll ich Sie verstehen, mein Herr?“ sprach sie, „und wo kann ich die Bekanntschaft der Dame machen? Will sie sich zu mir bemühen, oder …“

„Habe schon einmal gesagt, ist keine Dame, wird sich auch nicht bemühen. Mr. Smith ist ein sehr eigensinniger Mann, giebt sie nicht, aber bei ihm können Sie malen, das erlaubt er!“

„Und wo ist denn dieser Mr. Smith, der über die Dame zu verfügen hat?“

„Wieder Dame! Ist keine Dame, ist Puppe, schlechter Körper, das habe ich auch Mr. Smith gesagt, aber schöner Kopf, in Kopf bin ich verliebt, sehr verliebt!“

Jetzt trat Mary lächelnd hinzu. „Liebe Mathilde,“ sprach sie, „ich muß wohl helfen, wenn Du Dich mit dem Herrn einverständigen sollst. Mylord, ist Mr. Smith nicht der Besitzer der Wachsgallerie, der so meisterhaft nach Natur portraitirt?“

To be sure! Alle kennen Mr. Smith.“

„In der That habe ich von seiner Kunst gehört. Diese Lady ist aber noch fremd in London, weiß Nichts von Mr. Smith, konnte Sie also auch nicht verstehen.“

„O! Alle kennen Mr. Smith,“ wiederholte der Engländer.

Mathilde drängte das sie plagende Lachen zurück und sprach möglichst ernst: „Also, Mylord, Sie wünschen, daß ich das Portrait einer Wachsfigur male, in die Sie verliebt sind?“

„Yes, yes, kann keiner verbieten mir in eine Figur verliebt zu sein … malen Sie mir Portrait, und ich werde zahlen wie für eine wahre lebendige Figur! Gehen Sie zu Mr. Smith, er wird Ihnen zeigen: Nr. 37, Fancy Pictures. Sie werden sehen, schöner Kopf – – aber schlechter Körper!“ murmelte er hinzu, zu seiner fixen Idee zurückkehrend.

Jetzt wurde der Handel geschlossen. Mathilde versprach, sich in den nächsten Tagen zu Mr. Smith zu begeben und das Bild in möglichst kurzer Frist zur Zufriedenheit des Verliebten zu vollführen.

Noch lange unterhielten sich die Freundinnen über die echt englische Originalität des Lords, der sich in eine Wachsfigur verliebt hatte. Es war seit langen Wochen der erste heitere Moment Mathildens, die immer und immer wieder lachen mußte, wenn sie an den vierzigjährigen Seladon und an den sonderbaren Gegenstand seiner Flamme dachte. Sie hatte bereits noch eine Stunde gearbeitet und stand ziemlich abgespannt auf.

„Mary,“ sprach sie, „das Wetter scheint heute schön zu sein, ich hätte Lust meine Kräfte zu versuchen und einen Spaziergang zu wagen. Wollen wir nicht Mr. Smith besuchen? Ich bin in der That begierig, die Bekanntschaft meines Modells zu machen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_306.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)