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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

mit ihrem Namen versehener Kiste zum Aufbewahren zurücklassen. Falls derartige Deposita innerhalb fünf Jahren von dem Eigenthümer nicht abgefordert worden, erfolgt deren Verkauf, und der Erlös daraus wird unter der Rubrik „Unabgefordertes Eigenthum“ gebucht.

Die Wohlthat der Aufnahme in das Seemannshospital hat jeder Seemann zu beanspruchen, falls er ohne eigenes Verschulden im Hause selbst erkrankt. Steht er noch in einem Schiffsdienste, so muß der Rheder für ihn zahlen, ist er dagegen außer Dienst, so wird er gegen Fortzahlung seines Kostgeldes behandelt und verpflegt.

Wer im Seemannshause Wohnung nimmt, dem steht es frei, die im Lesezimmer vorhandenen Zeitungen etc., ferner das Billard und sonstige der Unterhaltung dienende Einrichtungen zu benutzen. Auch kann er gegen Zahlung einer höchst unbedeutenden Vergütung an den gegebenen Unterrichtsstunden und den Vorträgen Theil nehmen, welche regelmäßig daselbst gehalten werden. Besuchern der Navigationsschule wird sogar, damit sie ihren Studien ungestört obliegen können, ein besonderes Arbeitszimmer eingeräumt.

Aus diesen wenigen Andeutungen geht hervor, daß die Erbauer des Seemannshauses nichts verabsäumt haben, um denen, welche sich der Schifffahrt widmen und zu tüchtigen Seeleuten sich ausbilden wollen, die entsprechenden Mittel zur Erreichung dieses Zieles zu schaffen. Die Gelegenheit, etwas Ordentliches zu lernen, ist im Seemannshause Jedem, auch den ungeschultesten Matrosen geboten. Und was der Lehre, dem Unterricht allein nicht möglich werden dürfte, das wird das Beispiel Anderer, der Umgang und die Unterhaltung mit Männern vollbringen, die in einem mühevollen Leben außer reichen Kenntnissen auch noch einen großen Schatz praktischer Lebenserfahrungen angesammelt haben, aus welchem Andere schöpfen können, ohne ihn dem Eigenthümer selbst zu schmälern.

E. W.




Zwei Mecklenburger Leidensgenossen.

2. Michael Baumgarten.

Wenn Verfolgungen und Leiden, wie sie der in Nr. 48 des vor. Jahrg. dieser Zeitschrift geschilderte Magister Joachim Slüter wegen seines Glaubens und seiner reformatorischen Bestrebungen zu erdulden hatte, im 16. Jahrhundert nichts Seltnes, ja kaum etwas Auffälliges waren, so ist die Amtsentsetzung des Professor und Doctor der Theologie Baumgarten in Rostock, die in unserm Jahrhunderte erfolgt ist, so sehr Gegenstand allgemeinster Theilnahme und Besprechung geworden, daß ein skizzirtes Charakterbild dieses hochbegabten Mannes, welches zu zeichnen ich auf Wunsch der Redaction der Gartenlaube gern unternommen habe, wohl geeignet zu einem Seitenstück für das des eben genannten mecklenburgischen Reformators ist.

Das vorliegende Lebensbild soll den Menschen schildern, wie er mir erscheint und erschienen ist, seit ich vor fünftehalb Jahren zuerst seine Bekanntschaft machte, und kann also nicht speciell auf die theologischen Streitfragen eingehen.

Michael Baumgarten ist im Jahre 1812 zu Haseldorf in der holsteinischen Marsch geboren, wo sein Vater einen Bauerhof besaß. Ueber diesen Schauplatz seiner ersten Jugend wollen wir ihn selbst hören, wie er sich sowohl hierüber wie über seine ersten Jugendeindrücke in der Schrift „Protestantische Lehre und Warnung“ mit eben so rührender Pietät als Einfachheit ausspricht.

„Am Elbstrom liegt ein kleiner Erdstrich, von drei Seiten durch Wasser abgeschnitten und an der vierten durch den Geestrand begrenzt. Dieser kleine Erdfleck ist mein liebes Heimathsland. Hier wohnt ein Volk, welches seinen Boden der Gewalt des Meeres und des Stromes abgerungen hat, und fortwährend bemüht ist, mit rüstigem Arme und kluger Vorsicht das Erbe seiner Väter gegen die feindliche Macht des Elements zu schützen. Auf diesem Boden stand meine Wiege, in einem Bauerhause hart an dem Elbdeiche, mit dem Markzeichen eines Kreuzes im Herzen, und in der Hauspostille und Bibel sind die Geschicke unseres Geschlechts und unseres Landes, mit welchem charakteristischen Namen jener ganze Marschdistrict bezeichnet wird, über zwei Jahrhunderte hinaus aufgezeichnet.

Hier ist mein junges Leben von treuen Händen aufgenommen und verpflegt, und mit gottesfürchtigem Mund in die Welt eingeführt worden. In der Dorfschule habe ich strenge Zucht und Ordnung gelernt, und die feierlichen Gebete der lutherischen Vorzeit, die ich noch nirgends wiedergefunden habe, meinem Gedächtnisse unverlierbar eingeprägt, und die Betglocke, die ich oft mit eigner Hand gezogen habe, und das Sterbegeläute bei den Leichenpredigten, bei denen wir Knaben singen mußten, klingt noch in dieser Stunde in meiner Seele wieder.

Unser Kirchenstand mit dem Namen meines Urgroßvaters, zu welchem ich von früh an meinen Vater regelmäßig begleiten mußte, gilt mir für eine heilige Stätte, und wie oft segne ich ihn in der Erinnerung an die heiligen und seligen Ahnungen des ewigen Lebens, die dort in mir geweckt worden sind!

Noch lange könnte ich fortfahren diese Heiligthümer meiner Jugend aus dem wirklichen Leben in der Mitte einer lutherischen Gemeinde zu erzählen, wenn ich nicht fürchten müßte, Andre damit zu ermüden. Und diese Schätze sind mir nie abhanden gekommen, denn das stand mir unerschütterlich fest, daß es eine Andre Theologie gar nicht geben könne, als die, welche in einem ungekünstelten und unabweisbaren Zusammenhange mit diesen heiligen Gütern stehe.

Außerdem wachte auch mein seliger Vater, obwohl nur ein schlichter Landmann, strenge darüber, daß mir nichts als Wahrheit gelten durfte, als was in Uebereinstimmung mit dem Glauben stehe. Recht gut erinnere ich mich noch, wie einst, als ich während meiner Gymnasialzeit äußerte, „die buchstäbliche Wahrheit des mosaischen Schöpfungsberichtes scheine mir nicht nothwendig von unserm Glauben gefordert zu sein,“ mein Vater mich ernstlich verwarnte vor allen Meinungen und Lehren, die sich über den klaren und einfachen Sinn der Bibel erheben wollen.

So ist es mir möglich geworden, in allen Stadien meiner Entwickelung, als Gymnasiast, als Student, als Privatdocent, als Pastor, und als Professor, in lebendigem, nicht blos bewußtem, sondern tatsächlichem Zusammenhange und Verkehr mit dieser kirchlichen Atmosphäre meiner Geburtsstätte zu bleiben. Noch heute stehe ich in Gemeinschaft des Gebens und Empfangens mit den Genossen meiner Jugend, die mit mir auf den Bänken der Dorfschule gesessen haben, mit denen ich im Feld und am Deich gearbeitet habe. Ich unterhalte mich mit ihnen schriftlich und mündlich über kirchliche und theologische Dinge, und ich muß bekennen, daß ich mit diesen Bauern über das, was ich für wesentlich und nothwendig halte in unserer Kirche, mich weit besser verständigen kann als mit den meisten Pastoren.“

Unter solchen Umgebungen und Eindrücken wuchs also der mutmaßliche Hoferbe heran, bis zu seinem sechszehnten Jahre nichts Anderes denkend und glaubend, als daß er einst das uralte Eigenthum seiner Familie besitzen und verwalten würde. Stark und groß von Körper und lebhaften Geistes legte er schon frühzeitig mit Hand an bei den ländlichen Arbeiten, doch pflog er in den Mußestunden gern Umgang mit dem Sohne des Ortsgeistlichen, der sich mit ihm in ziemlich gleichem Alter befand, und dieses Verhältniß sollte von den wichtigsten Folgen für Michael werden.

Der Pfarrer, ein gelehrter und äußerst regsamer Mann, ertheilte seinen Kindern allen Unterricht ganz allein selbst, und dies geschah höchst regelmäßig. Michael fühlte daher bald zu seiner Beschämung, wie weit er noch im Wissen hinter seinem Spielgenossen zurückstand. Auf sein Bitten ertheilte ihm dieser dann halb im Spiel Unterricht in der lateinischen Sprache; der Pfarrer erfuhr dies ganz zufällig, prüfte nun, zuerst auch halb im Scherz, den Schüler seines Schülers, und erkannte dabei bald die außergewöhnlichen Geistesgaben des Ersteren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_295.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)