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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


erhebend, „ich bereue sie ausgesprochen zu haben.“ Damit küßte er ihr leidenschaftlich die Hand und eilte der Thüre zu.

„Bleiben Sie, Vicomte,“ rief Mathilde angstvoll, „ist es recht von Ihnen, mir den Dolch in’s Herz zu stoßen und mich dann zu verlassen? – Reden Sie, seien Sie aufrichtig!“

„Aufrichtig, gnädige Frau, und wozu? – Wissen Sie nicht Alles so gut wie ich selbst? Aufrichtig! gehen Sie mir denn mit gutem Beispiel voran? Bin ich Ihr Freund oder bin ich es nicht? Nimmt man ein ernstes, ein heiliges Gefühl an, da wo man nichts dagegen bietet, nichts als das, was die Höflichkeit zur Pflicht macht?“

„Sie sind hart, Vicomte,“ entgegnete Mathilde, und Thränen stiegen in ihren Augen auf, „Sie sehen mich leiden, ja, Sie mehren meine Leiden und wollen dabei mein Freund heißen!“ …

Der Vicomte betrachtete sie eine Weile mit wehmüthigem Blicke.

„Sie thun mir leid, arme Frau,“ sprach er dann, „schon zu viel habe ich wohl gesagt, aber ich kann Lüge, ich kann Trug nicht ertragen, zumal einem reinen Wesen gegenüber, das die Welt nicht kennt. Jetzt, gnädige Frau, lassen Sie mich gehen, denn ich könnte leicht mehr sagen, und wozu sollte ich Sie aus Ihren glücklichen Illusionen wecken!“

„Illusionen sind kein Glück,“ rief Mathilde in der größten Aufregung, „solch ein Glück würde ich entschieden von mir stoßen!“

„Also doch – doch sind Sie die, die ich mir träumte,“ rief freudig der Vicomte, „das starke Herz in zarter Hülle – o, Mathilde, Sie sind anbetungswürdig! – Wie kann man einen solchen Schatz verkennen, ein solches Wesen vergessen?“

„Vicomte, reden Sie, zu viel haben Sie gesagt, um jetzt zu schweigen! Sind Sie wirklich mein Freund, so müssen Sie jetzt offen gegen mich sein! …“

„Ehe der Freund redet, muß er wissen, was Sie zu thun gedenken.“

„Eins sicher: gegen sichere Beweise entschieden handeln!“

„Sie sind jung und unerfahren, meine Freundin, zu jung und zu schön, um allein in der Welt zu stehen; wollen Sie mir versprechen, im ärgsten Falle mir zu vertrauen, sich auf mich zu stützen?“

„Und wenn ich das verspreche?“

„Wenn Sie das versprechen, werde ich suchen, Ihnen Beweise zu verschaffen, Beweise, nach denen freilich keine Rückkehr mehr möglich! Haben Sie den Muth, solche zu wünschen?“ …

„Ich habe den Muth, Vicomte!“

Wäre Mathilde nicht so aufgeregt gewesen, selbst ihrer Unerfahrenheit wäre des Vicomte’s triumphirende Freude nicht entgangen.

„Gut,“ sprach er nach einer Pause, „ich sehe Sie gern so. Alles lieber, als in den heiligsten Gefühlen hintergangen werden! Dieses Dulden ist eine Ihrer unwürdige Feigheit! Jetzt verlassen Sie sich auf mich: Sie geben mir acht Tage, während dieser Zeit werden Sie mich nicht sehen. Versprechen Sie mir auch Leo gegenüber die größte Ruhe; nach dieser Frist werde ich Ihnen mit Gewißheit sagen können: wir haben uns getäuscht, Sie sind geliebt! … oder – ich bringe Ihnen unwiderrufliche Beweise des Gegentheils. Ihre Hand, Mathilde!“

Mathilde legte ihre bebende Hand in die des Vicomte, der sie mit heißen Küssen bedeckte und mit den Worten: „in acht Tagen!“ aus dem Zimmer eilte.

– Acht Tage! wie schnell schwinden sie hin im glücklich einförmigen Schaffen und Treiben des alltäglichen Lebens, im ruhigen Glücke der Gewohnheiten, das unstreitig zu einem der größern im Leben zählen darf. Wie ewig lang erscheinen sie aber dem Herzen, das den Frieden mit sich selbst verloren und, durch Qualen aller Art gepeinigt, weder Tag noch Nacht Ruhe findet und nur dem ersehnten Augenblicke entgegenschlägt, der seine Pein vielleicht noch mehren soll! Seit der Stunde, da sie der Vicomte verlassen, lebte Mathilde in einer Aufregung, die nichts mildern konnte; – Leo’s Treiben hatte sich nicht geändert, er war oft abwesend, Mathilde zu oft allein, mit dem ganzen Heere ihrer Gedanken. In den Stunden des Beisammenseins zeigte ihr aber Leo eine so große Zärtlichkeit, daß oft, diesem treuherzigen Benehmen gegenüber, in dem das volle Vertrauen in ihr Versprechen, ihm unbedingt zu trauen, so deutlich lag, Mathilde sich selbst als eine Verbrecherin erschien. Mehrmals drängte es sie, ihm Alles zu beichten, ihr Mißtrauen, ihr Einverständniß mit dem Vicomte, da aber schwebte ihr wieder die Erscheinung auf der Place de la Concorde vor Augen, da tauchten des Vicomte Worte in ihrem Gedächtnisse auf, und die bessern Gefühle wichen dem Verlangen nach Beweisen, die sie in diesem oder jenem Sinne völlig überzeugen sollten!

So verging ein Tag nach dem andern, die festgesetzte Frist ging zu Ende, und eines schönen Abends erschien der Vicomte, als die jungen Ehelente beim Theetische saßen. Leo empfing ihn freundlich wie immer, frug nach dem Grunde seines langen Ausbleibens, der Vicomte antwortete: er habe in wichtigen Angelegenheiten eine kleine Reise machen müssen, die aber einen glücklichen Erfolg gehabt, da er sein Ziel erreicht. Mathilde fühlte bei diesen Worten ihr Blut stocken. Leo aber rief:

„Ach, da können Sie von Glück sagen; nun, mit Gottes Hülfe hoffe auch ich bald, recht bald so weit zu sein!“ Dabei warf er einen bedeutungsvollen Blick auf Mathilde, deren Augen aber unverwandt auf ihrer Arbeit hafteten.

Die Gesellschaft vermehrte sich durch das Erscheinen noch einiger Personen, und als das Gespräch allgemein wurde, benutzte der Vicomte einen günstigen Augenblick, um Mathilden zuzuflüstern: „Morgen, gegen eins!“ – Es war die Zeit, wo Leo nie zu Hause war, da er gewöhnlich um zwölf ausging und erst zur Zeit des Mittagsessens, d. h. gegen sechs zurückkehrte.

In der größten Seelenangst harrte Mathilde der festgesetzten Stunde, mit heftigem Herzpochen hörte sie einen Wagen vorfahren, sah den Vicomte aus der Miethkutsche steigen, entkräftet sank sie in einen Sessel und behielt kaum Kraft genug, dem Eintretenden die Hand zu reichen, die dieser ergriff und an seine Lippen drückte.

„Sie haben versprochen Muth zu haben, und wie treffe ich Sie, meine Freundin!“ sprach er vorwurfsvoll, „können Sie das Versprechen nicht halten, sagen Sie es, noch ist es Zeit!“

„Nein, nein,“ rief Mathilde, „ich kann, ich will Alles hören, reden Sie!“

„Reden? … was sind Worte! Kommen Sie, sehen Sie selbst. Haben Sie wirklich Muth, so überzeugen Sie sich mit eigenen Augen, wie grausam Sie hintergangen werden. Kommen Sie, folgen Sie mir!“

„Wohin soll ich Ihnen folgen, Vicomte?“

„Dahin, wo kein Auge Sie sehen soll, dafür ist gesorgt. Vertrauen Sie mir, Mathilde, Sie sollen sehen, ohne gesehen zu werden, ich habe Ihnen sichere Beweise versprochen – die sollen Sie haben!“

„Also doch, doch!“ rief Mathilde die Hände ringend, und raffte sich mühsam vom Sessel auf.

„Kommen Sie, Vicomte, ich folge Ihnen, je eher, je besser.“ Sie stürzte in ihr Zimmer und forderte Hut und Mantel; Mary, die sie bleich und in der größten Aufregung sah, wagte eine Frage.

„Gute Mary, Du hast gesagt: Nichts ohne Beweis – wenn ich aber einen sicheren Beweis habe, willst Du mir dann beistehen, kann ich auf Dich rechnen?“

„Gewiß, auf Leben und Tod!“

„Gut, ich danke Dir; ich bin bald wieder bei Dir.“

Mary folgte ihr in den Salon, den sie sofort in Begleitung des Vicomte verließ.

„Der Vicomte!“ rief Mary, den Davoneilenden finster nachsehend, „das hätte ich mir denken können! Arme Mathilde, was auch geschehen mag, von dem da muß sie befreit sein. Sie ist jung und unerfahren, und meine heiligste Pflicht ist es, sie dieser Gefahr um jeden Preis zu entziehen!“

(Schluß folgt.)





Das Seemannshaus in Hamburg.

Seit sehr langer Zeit schon ist Hamburg das größte und wichtigste Handelsemporium auf dem europäischen Continent. Keine der vielen andern großen Handelsstädte hat so weit ausgebreitete Verbindungen, welche den ganzen Erdball umspannen, und besitzt so viele Niederlassungen auf den mercantilisch wichtigsten Plätzen der Erde, wie Hamburg. Nur mit London, diesem Riesen unter

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