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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

merken. Endlich war die Mahlzeit zu Ende, der Diener trug ab, Leo erhob sich und ging auf Mathilde zu, die jetzt den nassen Blick emporrichtete. Erschrocken über die tiefe Trübsal, die er jetzt erst an ihr wahrnahm, trat er einen Schritt zurück. „Mathilde?“ fagte er sanft. „was ist Dir? Du hast geweint und bist bleich wie die Wand …“

Statt Antwort ließ Mathilde das Köpfchen in ihre Hände fallen und schluchzte von Neuem. Leo umfaßte sie, überhäufte sie mit Worten der Liebe, mit den zärtlichsten Benennungen. Mathilde aber befreite sich aus seiner Umarmung und brachte endlich unter Schluchzen die Worte hervor: „Leo, ich weiß Alles!“

Leo stieg das Blut in’s Gesicht. „Alles?“ rief er, „wer hat Dir sagen können …“

„Keiner, ich habe aber gesehen, mit eigenen Augen gesehen …“

„Was hast Du gesehen, Mathilde?“

„Dich mit …“

„Mit wem, um Himmels willen? …“

„Mit ihr, Place la Concorde!“

Leo antwortete nicht augenblicklich, er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, ging ein paar Mal nachdenkend im Zimmer auf und ab, stand dann vor Mathilde still und sah ihr in die Augen, mit seinem klaren, unwiderstehlichen Blicke.

„Mathilde,“ sprach er, „einst gelobtest Du mir unbegrenztes Vertrauen, nimmst Du dieses Versprechen zurück?“

„Nach dem, was ich gesehen!“

„Was Du gesehen, macht mich Deiner Liebe nicht unwürdig. Und ich frage Dich, Mathilde, liebst Du mich genug, um mir zu trauen, trotz dem Geschenen, genug, um ein Geheimniß zu ertragen, das ich Dir noch nicht enthüllen kann? Willst Du Geduld haben, nur noch kurze Zeit, oder willst Du durch Zweifel selbst unser Glück zerstören?“

„O sprich nicht von Glück,“ rief Mathilde verzweiflungsvoll, „mein Glück ist dahin!“

„Und warum, Mathilde?“

„Warum? kannst Du fragen? Sieh mich an, sieh was ich leide, wie könnte ich das Gesehene auf zweierlei Arten erklären?“

„Erkläre es gar nicht, Mathilde, denke nur: Leo kann kein Verräther sein, Leo lügt nie, Leo sagt: er liebt mich, ich will ihm trauen!“

„O wie gern möchte ich das!“ rief die junge Frau, unwillkürlich durch den Wahrheitshauch durchdrungen, der in Leo’s Worten lag.

„Nun, so thue es, meine brave Mathilde,“ fuhr dieser, sie an sich ziehend fort. „Entsage ein für allemal dieser Eifersucht, die Deiner unwürdig ist und leider schon so manche trübe Wolke über unser Glück gebracht hat. Sieh, Kind, es giebt keinen Anschein, der Dich mir verdächtigen könnte, und sollte jemals ein Zweifel in mein Herz dringen, ein Wort von Dir genügte, um ihn mir zu benehmen. Du aber, Du lässest die Möglichkeit zu, daß ich Dich mit einem Kusse verrathen könnte?“ und er drückte einen heißen Kuß auf ihre Lippen.

Mathilde bebte zusammen.

„Um Himmels willen, Leo,“ flehte sie, „löse das Räthsel, ich kann sonst leine Ruhe finden, sage mir, wer war es?“

„Ich liebe Dich, Mathilde,“ antwortete Leo mit einem Blicke, der diese Worte bestätigte.

„Du liebst mich und quälst mich, Leo, willst Du mir nicht sagen …“

„Ich kann nicht, Mathilde. Du aber, willst Du meine Bitte nicht erfüllen, nur noch kurze Zeit das Schwere tragen?“

„Und wenn ich es nicht wollte?“ rief die junge Frau trotzig.

Leo entfärbte sich.

„Dann,“ sprach er langsam, „dann wäre ich sehr unglücklich!“

„Wie – selbst dann würdest Du in Deinem Schweigen verharren?“

„Selbst dann, Mathilde, und daraus schließe, ob es mir möglich ist zu reden. Doch genug davon, eine Zeit wird kommen, wo Du selbst mir Recht geben wirst, jetzt aber, und es ist der größte Beweis von Liebe, den ich Dir geben kann, jetzt bitte ich Dich, bitte Dich flehentlichst, forsche nicht weiter, traue mir, denn sieh, Mathilde, wie ich hier vor Gott stehe, wiederhole ich: ich liebe Dich, Dich allein. Willst Du mir nun glauben?“

„Ich will es,“ sprach Mathilde nach einem kurzen Schweigen, das thränenbenetzte Gesicht an Leo’s Brust verbergend. Er drückte sie zärtlich an’s Herz, und somit war der Friede wieder hergestellt, wenn auch nur scheinbar. Denn hatte auch Leo’s Beredsamkeit den gewohnten Einfluß auf sie geübt, hatte er die Zweifelsucht momentan besiegt, war auch Mathilde Willens ihm zu trauen, so war doch der Stachel des Verdachtes in ihrem Herzen zurückgeblieben, und immer und immer wieder schwebte ihr Leo vor Augen, wie er mit der geheimnißvollen Unbekannten so traulich Arm in Arm dahinwandelte.

Am folgenden Tage saß Mathilde in ihrem keinen Salon. Leo war, seinen neuen Gewohnheiten treu, um zwölf ausgegangen, Mary war auswärts beschäftigt, Mathilde allein. Sie hielt ein Buch in der Hand, blickte auch bisweilen hinein, aber ihre Gedanken schweiften in die Weite und trugen sie in das Reich der Vermuthungen und Möglichkeiten, die leider alle nicht geeignet waren die geschlagene Wunde zu heilen.

Da trat der Diener in’s Zimmer und meldete: „Monsieur le Vicomte de Joly!“ Mathilde war schon im Begriffe ihn abweisen zu lassen, als ihr böser Genius ihr zuflüsterte: „Der weiß Alles! Ihn befragen, o nein, es wäre sündigen an Leo, aber –“ Der Diener stand noch harrend da. „Soll mir willkommen sein,“ sprach Mathilde, im nächsten Augenblicke diese Worte bereuend. Es war zu spät, der Vicomte war eingetreten. Verlegen wies ihm Mathilde einen Platz in ihrer Nähe an, und mit dem ersten Blick, den er auf sie warf, wußte der Vicomte, wie er es mit der Unerfahrenen zu halten hatte.

„Gnädige Frau,“ fing er an, „ich beschwöre Sie, meinen Besuch nicht als eine Indiscretion zu betrachten, der Zufall hat uns leider in eine peinlich falsche Situation gebracht, die wir nicht ändern können, das Beste ist also, mit Offenheit einander entgegen zu treten. Ich wiederhole, was ich gestern gesagt, Sie haben es mit einem Ehrenmanne zu thun, der bereit ist, Ihnen zu dienen, wo und soweit er kann, und deshalb hofft, daß Sie ihm die Mitwissenschaft vergeben werden.“

Nur zu gut fühlte Mathilde wie jedes Wort, das sie dem Vicomte in seinem Sinne antworte, so gut wie ein Schritt zu einer Coalition gegen Leo sein würde, sie raffte also die wenigen ihr zu Gebote stehenden Verstellungsmittel zusammen und sprach möglichst unbefangen, die dargebotene Hand mit ihren Fingerspitzen berührend.

„Ich danke Ihnen, Vicomte, ich schätze Ihre freundschaftlichen Gesinnungen und nehme Ihre Dienste für später an, falls ich ihrer einmal bedürfen sollte; für den Augenblick aber kann ich Sie nur bitten, das Gestrige zu vergessen. Ich war recht kindisch, aber einige Worte Leo’s genügten, um mich davon zu überzeugen, jetzt muß ich über mich selbst lachen und bin völlig beruhigt!“

Mathildens Stimme stand leider mit ihren Worten in so entschiedenem Widerspruche, daß sie Keinen hätten täuschen können. geschweige den schlauen Vicomte. Sie senkte erröthend die Augen, als sie seinem durchdringenden Blicke begegnete.

„Gnädige Frau,“ sprach er nach kurzem Schweigen, „ich sehe, daß Sie meine gute Absicht doch mißdeuten, ich kann also nur bedauern, dem Zurufe meines Herzens gefolgt zu sein, und trete zurück! – Fern sei es von mir, mich Ihnen aufzudringen … und doch,“ rief er, „haben Sie Unrecht, meine Freundschaft abzuweisen, ich schwöre es Ihnen!“

„Ich weise Ihre Frenndschaft nicht ab, Vicomte, nur Ihre Dienste, die für den Augenblick überflüssig.“

„Ist Alles berichtigt, desto besser, gnädige Frau,“ sprach er mit einem höhnischen Lächeln, „ich freue mich für Sie, komme aber einmal mehr in meinem Leben zur Erkenntniß, daß das einzige wahre Glück auf Erden Illusion ist!“

„Wie meinen Sie das, Vicomte?“

„Ich meine, daß ich die glückliche Fähigkeit besitzen möchte, mich von der ganzen Welt hintergehen, von meiner plastischen Ruhe einwiegen zu lassen, und sollte ein reiner Lichtstrahl durch das Miragegewebe, das mich umgiebt, durchschimmern, möchte ich hartnäckig das Auge zudrücken können, mich durch nichts aus dem labend betäubenden Taumel stören lassen! Es muß ein herrliches Gefühl sein, und die das können, denen ist gewiß die Hand auch nicht willkommen, die sie aus diesem süßen Schlafe zu wecken sucht, wenn gleich die treue Hand eines wahren Freundes!“

„Vicomte,“ rief Mathilde, „wie soll ich Ihre Worte auslegen?“

„Legen Sie sie gar nicht aus,“ antwortete der Vicomte sich

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