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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Der seltsame Beweis!
Von A. v. K.

„Mary, was mag es an der Zeit sein?“ frug die hübsche Mathilde, das blonde Krausköpfchen von dem Fenster, an dem sie seit geraumer Zeit stand, zur Gefragten wendend, die am andern Fenster arbeitete.

„Bald drei!“ lautete die Antwort. Mathildens blaue Augen richteten sich wieder der Straße zu – und die rosigen Finger trommelten ungeduldig an der Scheibe. „Ueber zwei Stunden! …“ fügte Mary hinzu.

„Frage ich darnach?“ brauste Mathilde auf; „warum suchst Du in der gewöhnlichsten Frage eine Absicht, die nur in Deiner Einbildung lebt?“

„Um Vergebung, gnädige Frau, ich vergesse immer, daß wir Dienstboten“ – und sie betonte das Wort – „das nie errathen sollen, was man uns nicht anvertraut, wenn auch durch die wärmste, die innigste Theilnahme getrieben. Zwischen dem Herzen der Dienerin und dem ihrer „gnädigen Frau“ darf es einmal nichts Gemeinschaftliches geben.“

Mathilde wandte sich um, ging auf die Beleidigte zu, die jetzt ausschließlich mit ihrer Arbeit beschäftigt zu sein schien, stand eine Weile stumm vor ihr, – da plötzlich traten Thränen in die hübschen blauen Augen, und sie schlang die Arme um Mary’s Hals.

„Wie Du redest, Du böse Mary, wie kannst Du das Wort Dienstbote aussprechen? – Bist Du nicht von Kindesjahren meine Freundin gewesen, bist Du es nicht jetzt noch?“

„Gnädige Frau, was die Güte Ihrer Eltern an Ihrer Gespielin gethan, konnte diese als Kind nicht ermessen, – um so mehr aber jetzt die Gesellschafterin, – sie wird sich auch an den Gedanken gewöhnen, daß die Gleichheit, die zwischen den Kindern herrschte, jetzt nicht mehr an der Stelle ist.“

„Nicht so, nicht so, Mary,“ liebkoste Mathilde unter Küssen, „sei mir nicht böse. Habe ich Dich verletzt, so geschah es ohne Absicht, denn die treue Freundin weiß ich an Dir zu schätzen, – und daß ich Dich von Herzen liebe, weißt Du ja!“

„Von oben herab!“ fiel die Engländerin bitter ein.

„Mary!“ rief vorwurfsvoll Mathilde.

„Und wie bezeichnen denn Sie Wohlwollen ohne Vertrauen?“ entgegnete kalt die stolze Mary.

„Vertrauen? und wozu?“ rief Mathilde in Thräuen zerfließend, „was könnte ich Dir sagen, was Du nicht wüßtest? Wozu klagen … und worüber? … weiß ich doch selbst nicht, ob ich nicht ungerecht bin, – aber unglücklich bin ich, sehr – sehr unglücklich!“ …

Jetzt umschlang die Engländerin die feine, zierliche Gestalt, die sich zu ihr beugte, das Köpfchen an ihre Schulter lehnte und sich ausweinte wie ein Kind am Mutterherzen. Auch Mary’s schwarze Augen wurden feucht.

„Armes, armes Herz,“ sprach sie, die Betrübte an sich drückend, „wie schwach, wie schwankend. …“

„Was kann ich dafür, gute Mary, – ich weiß ja nichts, ja nicht einmal, warum wir plötzlich nach Paris gereist, – was wir hier sollen! …“

„Wie!“ rief Mary verwundert, „der Zweck der Reise …“

„Ist mir unbekannt. Leo frug mich, ob ich ihn nach Paris, wohin ihn Geschäfte riefen, begleiten, dort mit ihm eine unbestimmte Zeit verweilen wollte – konnte es meiner Liebe einfallen, mich freiwillig von ihm zu trennen? Wir reisten. – Das Uebrige weißt Du; seit acht Tagen bin ich hier in dieser hübschen Wohnung meistens allein, Leo vernachlässigt mich; auf meine Fragen antwortet er: er sei durch Verhältnisse in Anspruch genommen, denen ich noch eine Zeitlang fremd bleiben müsse. Er geht beständig ohne mich aus, dazu ist er besorgt, unruhig, traurig, und ich, die ich bis jetzt sein volles Vertrauen besaß, Leid und Freude mit ihm theilte, muß mich zufrieden stellen und es ruhig abwarten, bis er mir das Geheimnißvolle seines Benehmens erklärt. … O Mary, Mary, ich bin ihm nicht mehr, was ich ihm war, und Geheimnisse, die eine Frau nicht kennen darf, giebt es nur einer Art!“

„Um Himmelswillen,“ rief Mary, „schlagen Sie diesen gefährlichen Weg nicht ein, bedenken Sie, welche Qual Sie sich bereiten! …“

„Kann ich denn dafür? Nun ja, ich bekenne es, ich bin eifersüchtig und liebe Leo zu sehr, um es nicht zu sein, – sieh, Mary, ein Verrath von ihm wäre mein Tod! …“

„Aber, Mathilde, worauf gründen Sie solch einen Verdacht?“

„Auf nichts und doch auf Alles, – vor Allem aber auf’s unerträgliche Nagen meines Herzens, auf meine Unruhe, auf meine Verzweiflung, die ich nicht bewältigen kann … Siehst Du, Du bleibst stumm, – so sprich doch, so widerlege, so tröste, beruhige mich, wenn Du es kannst!“

„Mathilde,“ sprach Mary entschieden und ernst, „da Sie mich zum Sprechen auffordern, so will ich Ihnen meine Ansicht sagen: den Mann, den ich liebe und dem ich einst mein Vertrauen geschenkt, würde ich nie durch einen Verdacht verletzen, ja selbst Gerüchten würde ich mein Ohr schließen, wenn solche mich erreichten. Nur ein sicherer Beweis könnte mich treffen. …“

„Und wenn Du einen solchen hättest?“

„Da, freilich, wäre Alles aus – aber auch die Liebe todt,“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_289.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)