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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Pestalozzi lehrte, besonders geeignet, weshalb er als einer der eifrigsten Beförderer desselben für seine Einführung in Preußen wirkte. Fast noch wichtiger war die Gründung der Berliner Universität, die er dem Könige vorschlug, indem er seinen Antrag mit folgenden Worten motivirte: „Auf’s Neue würden sich Eure Majestät dadurch Alles, was sich in Deutschland für Bildung und Aufklärung interessirt, auf das Festeste verbinden, einen neuen Eifer und neue Wärme für das Wiederaufblühen Ihrer Staaten erregen und in einem Zeitpunkt, wo ein Theil Deutschlands vom Kriege verheert, ein anderer in fremder Sprache von fremden Gebietern beherrscht wird, der deutschen Wissenschaft eine vielleicht kaum jetzt noch gehoffte Freistatt eröffnen.“

Es war dies einer der größten und kühnsten Gedanken, unter den Augen der fremden Unterdrücker, während auf dem Lande eine fast unerschwingliche Kriegssteuer lastete, mit den schwersten Opfern eine wissenschaftliche Lehranstalt in der Metropole des Landes zu begründen, aus welcher, wie Pallas Athene geharnischt aus dem Haupte Jupiters, der Geist der Freiheit in unbezwinglicher Rüstung hervorsprang. Männer wie Fichte, Schleiermacher, Wolf und Böckh, Savigny und Reil wurden von ihm berufen, und schon diese Wahl beweist seine Weisheit und die freisinnige Richtung, die er der neuen Hochschule für immer zu geben gedachte, indem er nicht einen engherzig preußischen, sondern einen allgemein deutschen Stand dabei verwalten ließ und eine wirklich ideale Schöpfung in’s Leben rief.

Nachdem er so mehr als seine Pflicht gethan, wünschte er von Neuem sich von den Geschäften zurückzuziehen, um seiner eigenen Ausbildung ferner zu leben. Aber der Staat konnte seine Dienste nicht entbehren; durch Cabinetsordre vom 14. Juni 1810 wurde er zum außerordentlichen Gesandten in Wien mit dem Titel eines Geheimen Staatsministers ernannt. Auf der Reise dahin lernte er in Prag den damals durch Napoleon geächteten Stein persönlich kennen. Beide Männer legten hier den Grund zu einer trotz der Verschiedenheit ihrer Naturen bis an ihr Ende dauernden Freundschaft; zugleich besprachen sie die Noth des Vaterlandes und die Mittel zur Erweckung und Befreiung des deutschen Volkes. In Wien war es Humboldt angenehm, manchem alten Freunde zu begegnen, vor Allen dem talentvollen Gentz, dem Vertrauten Metternichs, Friedrich Schlegel, Adam Müller und dem jugendlichen Theodor Körner, für den er mit väterlicher Liebe besorgt war.

Die Flammen von Moskau und der Rückzug des französischen Kaisers aus Rußland veränderten mit einem Schlage die Weltverhältnisse. Der König von Preußen erließ jenen denkwürdigen Aufruf an sein Volk und verband sich mit dem Kaiser Alexander zur Bekämpfung Napoleon’s. Alles lag daran, Oesterreich zu gewinnen und seinen Beitritt zu erlangen. Jetzt erst entwickelte Humboldt den ganzen Reichthum seiner Kenntnisse der Menschen und Verhältnisse, und während er als echter Idealist über den Geist aufjubelte, welcher in dem preußischen Volke loderte und flammte, wußte er als vollendeter Diplomat die Vorurtheile des Wiener Cabinets zu schonen und den schwankenden Metternich zu entscheidenden Schritten zu drängen. Er selbst wurde von dem Strome der Begeisterung getragen und erfuhr in sich eine mächtige Umwandlung, indem er, von der lebendigen Bewegung der Gegenwart ergriffen, nicht mehr allein in classischen Erinnerungen lebte, sondern den Augenblick in seiner ganzen Bedeutung erfaßte und das von seiner idealen Höhe nur zu oft verkannte Volk erst jetzt schätzen und achten lernte. In diesem Sinne sandte er den eigenen Sohn mit den Worten in den heiligen Kampf: „Es ziemt sich für den Jüngling, an dem Kriege Theil zu nehmen, der einmal sein und der Seinigen Dasein sichern soll.“ – Aber der Kampf um die Freiheit und nationale Unabhängigkeit trug trotz des Sieges über Napoleon nicht die gehofften Früchte; was die Schwerter der Helden errungen, sollten die Federn der Diplomaten wieder vernichten. Nicht Humboldt trifft die Schuld des Geschehenen; er war unablässig bemüht für die Größe Preußens, für das Wohl Deutschlands; an ihm scheiterten die Künste eines Metternich und Talleyrand, der ihn in seinem Zorne mit Unrecht le sophiste incarné, die Fleisch gewordene Sophistik nannte. Er verachtete die Ränke der gewöhnlichen Diplomaten, er kannte keine Intrigue, aber gerade weil er nur die Wahrheit zu seinem Schilde gebrauchte, blendete er er mit ihrem Glanze die verwöhnten Augen der Höflinge, die ihn für den gewandtesten Sophisten und schlausten Diplomaten hielten.

Schon in jener Zeit hatte Humboldt einen für die damaligen Verhältnisse durchaus freisinnigen Verfassungsentwurf für Deutschland entworfen, der jedoch an den Ränken Metternich’s und an der Schwäche und Nachgiebigkeit Hardenberg’s scheiterte, der immer mehr von der sich nach dem Kriege erhebenden Reaction überflügelt und zu weiteren Rückschritten gedrängt wurde. Nach wie vor blieb Humboldt seiner Ueberzeugung treu. In seiner Klarheit durchschaute er die überall wieder emportauchende Lüge trotz der pietistisch frommen und patriotisch gleißnerischen Maske. Nicht mit Unrecht fürchtete der Kaiser Alexander von Rußland seinen kalten Scharfblick und sarkastischen Spott, weshalb er verlangte, daß der König von Preußen vor Humboldt aus der eben gestifteten „Heiligen Alliance“ ein Geheimniß machen sollte. Noch mehr war der altersschwache Staatskanzler darauf bedacht, ihn zu entfernen, um einen eben so klugen als kühnen Beurtheiler seiner unverzeihlichen Maßregeln zu beseitigen. Zu diesem Zwecke erhielt Humboldt den Posten eines Gesandten in London, den er jedoch nur kurze Zeit bekleidete, da Hardenberg schnell genug zu der Einsicht gelangte, daß ein Mann wie Humboldt der Regierung in ihrer damaligen Lage unentbehrlich war.

Zum Minister des Innern ernannt beschäftigte sich dieser ausschließlich mit der Verfassung, welche Friedrich Wilhelm der Dritte seinem Lande feierlich versprochen hatte; sie schien ihm die wichtigste Angelegenheit für den preußischen Staat, gleichsam die Garantie seiner Größe und Zukunft. Leider wurde seine Arbeit durch die Bemühungen der damaligen Junkerpartei, durch die schwankende Gemüthsart des Königs und durch die Macht der Verhältnisse, welche das verfassungsfeindliche österreichische Cabinet schlau zu benutzen verstand, vereitelt. Die Ermordung Kotzebue’s, die That eines edlen, aber verirrten Jünglings, diente zum Vorwande, ein gegebenes Versprechen zu brechen und die Freiheit an ihren Wurzeln, in den Universitäten, anzugreifen. Es folgten die berüchtigten „Karlsbader Beschlüsse“, welche, verbunden mit anderen Mißhelligkeiten, Humboldt bestimmten, sein Ministerportefeuille niederzulegen und für immer aus dem Staatsdienste zu scheiden.

Von Neuem kehrte er zu seinen geliebten Studien zurück, indem er die ihm gewordene ehrenvolle Muße zur Abfassung seines berühmten Werkes „über die Kawi-Sprache“ benutzte, womit er eine neue Aera für die philosophische Sprachforschung schuf und der Linguistik eine nie zuvor geahnte Bedeutung gab. Zugleich siedelte er nach Tegel über, dessen Schloß er nach den Angaben des genialen Schinkel restauriren ließ. Von nun an lebte er nur noch ausschließlich für die Wissenschaft und seine Freunde, zu denen er die ersten Männer seiner und aller Zeiten zählen durfte. Sein Tegel wurde im eigentlichen Sinne ein Tempel des Genius, ein Sammelplatz der erhabensten Geister, aber auch dem Herzen räumte Humboldt die ihm gebührenden Rechte ein, wie sein bekannter „Briefwechsel mit einer Freundin“ rührend bezeugt. Charlotte Diedé hieß die beklagenswerthe Frau, welche er als junger Mann in Pyrmont kennen gelernt und der er bis in das späteste Alter ein rein freundschaftliches Andenken bewahrte. Sie hatte eine unglückliche Verbindung mit einem ungeliebten Manne gelöst und von Neuem ihr Herz einem unwürdigen Verführer geschenkt. Arm und verlassen, geächtet von der lieblosen Welt, hülflos und krank, eine Beute der Verzweiflung, wandte sie sich an den Freund ihrer Jugend und fand bei ihm Trost und Rath, Hülfe und Unterstützung.

Noch einmal rief ihn die Julirevolution in das politische Leben zurück, in den Tagen der Bewegung und der drohenden Gefahr verlangte der König seinen Rath, und er entzog ihm denselben nicht, ohne jedoch thätig und dauernd in die Lenkung der ihrer Bestimmung unaufhaltsam entgegeneilenden Regierung einzugreifen. Das Alter und zunehmende Kränklichkeit ließen ihm die bisherige Ruhe doppelt wünschenswerth erscheinen; sein Zustand, eine beginnende Lähmung, fand weder in Gastein, noch im Seebade, das er auf Anrathen seines Arztes besuchte, die gewünschte Besserung. Am Abend des 8. April 1835, als eben die Sonne ihre letzten Strahlen in sein Zimmer warf, schlossen sich die klaren Augen des großen Geistes, endete er sein harmonisches Dasein, das in gleicher innerer Abrundung und Vollendung kaum in einem anderen Sterblichen gefunden werden dürfte. Im Garten zu Tegel, an der Säule, welche das Bild der Hoffnung trägt, dort ruht, an der Seite der ihm vorangegangenen ebenbürtigen Gattin und des ihm spät erst nachgefolgten berühmten Bruders, Wilhelm v. Humboldt, gleich groß als Staatsmann, Gelehrter und als Mensch.

Max Ring.
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