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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

vorstellig gemacht, daß er bei der Plünderung durchaus nicht im Stande sei, die Forderungen der Herren zu befriedigen, wurde mittels Trommelschlag auf den Gassen bekannt gemacht, daß die Stadt unter dem Schutze des Kaisers stehe und von jetzt an noch statthabende Plünderung auf das Strengste und militärisch bestraft werden solle. – Dies half Etwas. Bernadotte selbst und mehrere hohe Officiere steuerten persönlich den Gewaltthaten und setzten sich der Wuth des Militärs aus, das wirklich einige seiner Vorgesetzten verwundete.

Sowohl in der Stadt, als draußen vor den Thoren, wo nunmehr größtentheils die Artillerie und Cavallerie untergebracht wurde, hatten viele Menschen ihre Häuser verlassen, Mobilien, Vieh und Fahrniß preisgebend; was der Soldat dort vorfand, wurde meistentheils vernichtet; dasselbe Schicksal hatten die Gartenhäuser, wo sogar Fußböden und Tapeten nicht verschont blieben.

Daß bei so viel Jammer und Elend auch manche komische Scene mit unterlief, kann nicht geleugnet werden. So war der fast siebenzigjährige bekannte Licentiat S. eine sonderbare Erscheinung. Es hatten sich auch bei ihm eine Anzahl französischer Soldaten Quartier gemacht und Speis’ und Trank gefordert. Dagegen protestirte er sogleich und suchte ihnen zu bedeuten, daß sein Haus kein Wirthshaus sei; sie aber beraubten ihn seiner Uhr und seiner Gelder, erbrachen die Schränke und den Keller und bedrohten ihn mit Schlägen. Darauf zog er sich in das Zimmer seiner Haushälterin zurück und hüllte sich in Frauenkleider; Weiberröcke bedeckten seine Beinkeider, ein kattunenes Kleid seine Brust, ein Kopfzeug sein gelehrtes Haupt und eine schwarze Saloppe schützte ihn vor Kälte; so stieg er durch des Nachbarn Haus auf die Gasse und gelangte in’s Rathhaus. Hier bahnte er sich mit knöchernen Armen und Händen eine Gasse zum Senat, immerfort pochend und lärmend; man wich ihm aus, in der Meinung, mit einem aus dem Tollhause entsprungenen Frauenzimmer zu thun zu haben. Endlich erkannte man ihn und hörte seine Leiden an, wobei er als Grund seiner Vermummung angab, daß er gehört, die französische Nation achte das weibliche Geschlecht. – In dieser letzten Beziehung waren andere Bürger nicht so zuversichtlich, und manche von ihnen, die hübsche Frauen und Töchter besaßen, bemalten ihnen die Gesichter mit gebranntem Kork, damit ihre Schönheit den unwillkommenen Gästen nicht in die Augen falle.

Kaum hatten die Generale ihre Logis bezogen, so gelangten folgende Requisitionen an den Senat: – man solle sogleich die ledigen Pferde einfangen, schleunigst die todten Körper von der Gasse entfernen; Gebäude zu Lazarethen und eine Quantität Leinwand zu Verbänden anweisen; 40 Pferde zu Courier- und Extrafuhren binnen zwei Stunden stellen; große Quantitäten Wein, Federvieh, Wild, Fische, Austern etc. schaffen; täglich 150,000 Pfd. weißes Brod, 50 Ochsen und 80 Schweine liefern; einige Kirchen für die Gefangenen einräumen etc. Schon war es acht Uhr Abends, als Alles ausgeführt werden sollte, eine Aufgabe, die fast eine übermenschliche genannt werden konnte! Verwundete gab es etwa 4000, zu denen indeß täglich noch mehrere von außen her kamen; etwa ein Drittheil derselben starb schon in den ersten Tagen.

In den Kirchen waren circa 6000 Gefangene; die Thüren waren mit Wachen und Kanonen besetzt; man reichte ihnen durch die Kirchenfenster blos gekochtes Mehl, schwarzes Brod und Stroh; die Verunreinigung und Beschädigung im Innern war gräulich. Einige hundert Arbeitsleute und die Gärtner vor den Thoren besorgten das Reinigen der Gassen; die zahlreich in den Strömen herumtreibenden Leichname zogen die Fischer heraus; es waren ihrer mehr als tausend. Die Gesammtzahl der Gefallenen ließ sich nicht gut bestimmen; die Franzosen schafften ihre Todten bald auf die Seite, doch schätzt man die Gebliebenen auf 7–8000. Ein einziger Kutscher schaffte von den Gassen und aus den Lazarethen 600 Menschen und 25 todte Pferde.

In der Nacht rückten immer frische Truppen ein und mußten einquartiert werden, so daß oft hundert Mann auf ein Haus kamen; den auf diese Weise logirten Soldaten blieb es überlassen, wie sie sich Essen, Trinken und Nachtlager verschafften; der Hauswirth war ganz in ihren Händen, und wenn er nicht schaffte, was verlangt wurde, erfuhr er mannigfache Mißhandlung. So wurde ein Prediger in vollem Ornat gezwungen, eine Mulde auf die Schulter zu nehmen und Fleisch herbei zu schleppen. – Zum Glück waren die meisten Ankömmlinge sehr ermüdet und suchten, sobald man sie gespeist hatte, die Ruhe.

Am 7. Morgens 7 Uhr ward Generalmarsch geschlagen, und bald standen 30,000 Mann Franzosen zum Abmarsch fertig, die unter dem Prinzen Murat nach Ratkau zogen, einem Kirchdorfe, 1½ Stunde von der Stadt entfernt, wo sich die Ueberbleibsel der Preußen gesetzt hatten. Um 2 Uhr Nachmittags traf in Lübeck die Nachricht von der Kapitulation Blücher’s ein. – Die uns gestellte Aufgabe, die Katastrophe Lübeck’s kurz zu schildern, wäre somit gelöst; die furchtbaren Leiden, welche von nun an unausgesetzt zu ertragen waren, mag sich ein Jeder selbst ausmalen. Zum Schlusse soll noch angeführt werden, wie Napoleon selbst sich über das Ereigniß ausgesprochen hat.

Am 9. November beschloß der Senat, eine Deputation an den Kaiser nach Berlin zu senden, deren Instruction hauptsächlich darin bestand, dem Kaiser die gegenwärtige Lage der durchaus neutralen Stadt auf das Lebhafteste zu schildern; daß sie ganz zu Grunde ginge, wenn sie keine Erleichterung erhielte, daß sie bei der Einnahme geplündert und um den Werth von etwa zwölf Millionen Mark gebracht sei; daß sie noch jetzt an 60,000 Mann Truppen und mehrere Tausend Kranke und Verwundete zu unterhalten hätte, – sowie um einigen Ersatz des ungeheuern Schadens und um augenblickliche Erleichterung zu flehen.

Die Deputation kam in Berlin sogleich zur Audienz, fand den Kaiser außer einem Adjutanten allein im Zimmer, wurde sehr herablassend empfangen, ruhig und mit Theilnahme angehört und erhielt die Antwort: er nehme die Stadt in seinen Schutz; daß sie geplündert, sei Blücher’s Schuld, Ruhe und Ordnung sollten hergestellt werden, er werde versuchen, für den erlittenen Verlust Ersatz zu beschaffen; die Handelsfreiheit anlangend, so träfe dieses Leiden seine Nation auch, er werde den Engländern alle Häfen der Länder, die ihm zu Gebote ständen, verbieten lassen, weil dies das einzige Mittel sei, jene Nation, die Urheberin so vielen Blutvergießens, einmal zum Frieden zu zwingen! –

Darauf entließ er die Deputation mit einer leichten Verbeugung. –

Wir enthalten uns aller kritischen Bemerkungen; wir haben uns in vorstehender Skizze von Lübeck’s Unglückstagen auf die Mittheilung rein historischer Thatsachen und derjenigen Aeußerungen beschränkt, welche die leitenden und umgebenden Persönlichkeiten selbst zu jener Zeit und zum Theil mitten in der Action darüber gethan. Es ist ein Scherflein Kulturgeschichte, das wir liefern wollten!


Ein deutscher Freihandelsapostel.

Bei Hippel in der Mittelstraße gleich hinter den „Linden“ kneipte in den vierziger Jahren die „absolute Kritik“ und „absolute Freiheit“ der Berliner Literaten in noch ungeschiedener, mostiger Gährung um Bruno Bauer und Max Stirner herum. Ersterer, Märtyrer der Hegel’schen Philosophie und der absoluten Kritik, ein kleiner, gedrungener, knorriger und grober Mann mit einer fabelhaft imposanten Stirn, war der Mittelpunkt, der Tonangeber, die entscheidende Majestät unbarmherzigster, das Kind im Mutterleibe nicht schonender Kriegführung gegen Alles und Jedes, was irgendwie Miene machte, als Berechtigtes oder nur Bestehendes gelten zu wollen. Er hatte für Alles nur eine Kategorie, ein Wort, das man sonst nie aus einem gewaschenen Munde vernimmt und das noch weniger gedruckt oder geschrieben wird. Alles war ihm schon längst verdaut, verbraucht, Excrement. Ich weiß noch, wie ich damals die zum Theil jungen, verständigen und geistreichen Damen, die mit kneipten, als Heldinnen anstaunte, daß sie das Alles ruhig aushielten. Aber sie brachten diese Opfer als Heroinen der Emancipation des weiblichen Geschlechts, die, wie alle mögliche Geistesrichtungen der Zeit, mit vertreten war.

Mir gefiel die ungeschlachte Tyrannei dieses kritischen Absolutisten (der jetzt den feudalen Absolutismus alphabetisch ordnet und als Kreuzzeitungs-Lexikon redigirt) so wenig, daß ich nur selten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_266.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2017)