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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Misthaufen en gros – selbst die Ansiedlerhütten sind auf Guano gebaut – kein angenehmer, läßt sich denken. Die gebildete Nase liegt in einem fortwährenden Kampfe mit den ätherischen Entäußerungen der edlen Mistnatur, der man weit und breit auf den Chincha-Inseln nicht etwa so aus dem Wege gehen kann, wie in unseren großen Städten einem nächtlichen Geburtstag. Der üble Geruch des Guano wird bereits mehrere Meilen weit in See verspürt. Die Inselbewohner, namentlich die Arbeiter, sind mit dem feinsten „Poudre à la Guano“ parfümirt und über und über bedeckt und sehen braun wie die Lohgerber aus; doch soll ihr Gesundheitszustand ein äußerst günstiger sein. Das vorherrschende Uebel ist Leberleiden; dagegen sollen Lungenkranke im ersten Stadium sogar nach den Inseln kommen, um daselbst Heilung zu suchen, und in der That nach einem längeren Aufenthalte physisch wohler zurückkehren. Ein deutscher Arzt, Middendorf aus Altenburg, der seit mehreren Jahren in Arica gelebt und häufig mit Guanoarbeitern verkehrt hatte, versicherte Dr. Scherzer, daß diese das geringste Contingent seiner Patienten gestellt hätten, und schloß daraus, daß der getrocknete animalische Dünger trotz seines häßlichen penetranten Geruchs keine üblen Folgen auf den Gesundheitszustand derjenigen auszuüben scheine, welche seine Gewinnung und Verschiffung besorgen. Die Einathmung der mit Düngerstaub geschwängerten Luft ist zwar äußerst unangenehm, aber nicht schädlich.

Das gesellschaftliche Leben mag bei dem andauernden Verkehr fremder Schiffe, von denen oft hundert auf einmal ankern, ein erträgliches sein. Außer den circa hundert Holzhütten steht auf der Nordinsel ein großes Hotel, das jedoch nur als Schule, hie und da auch zu theatralischen und musikalischen Vorstellungen dient.

Noch heute nisten und brüten, ohne sich beirren zu lassen, Tausende und Abertausende von Seevögeln auf der südlichen und mittleren der Chincha-Inseln, gleichsam als wollten sie die Lücken ausfüllen, die der Mensch in ihr Düngerreich geschlagen hat.

 Was die Väter geräuschlos begonnen,
Die Enkel vollenden das Werk;
Geläutert von tropischen Sonnen
Schon thürmt es empor sich zum Berg.

Sie sehen im rosigsten Lichte
Die Zukunft und sprechen in Ruh:
Wir bauen im Lauf der Geschichte
Noch den ganzen Ocean zu.

Aber so viel sie sich auch abmühen, mit dem maßlosen Verwüster, dem Menschen, halten sie nicht gleichen Schritt: es wird eine Zeit kommen, wo man keinen Guano mehr von den Chincha-Inseln holt, wo die peruanische Regierung keinen Heller mehr aus ihren erschöpften Huaneras zieht. Wo bleibt da die weise Fürsorge der alten Incas?

G. Hth.

Aus den Zeiten der schweren Noth.
Nr. 9. Die Plünderung Lübecks 1806.
Von P. J. Wilcken.

Das furchtbare Unglück, welches im November des Jahres 1806 über die freie Reichs- und Hansestadt Lübeck hereinbrach, hat schon Zschokke mit der Verwüstung Magdeburgs durch Tilly verglichen. War die Katastrophe Lübecks allerdings nicht eine so vollständige, wie die jener andern unglücklichen Stadt, so war sie dagegen eine weit ungerechtfertigtere, unverschuldetere und schlug wie ein Blitz aus heitrer Höhe auf ein völlig harmloses Gemeinwesen herab. – Staat und Stadt Lübeck befanden sich mit aller Welt im Frieden, dennoch überzog sie die Kriegsfurie in wenig Tagen und lieferte in der durchaus neutralen Stadt eine mörderische Schlacht und überantwortete sie einer Plünderung, wie dieses Jahrhundert in Europa ihres Gleichen nicht aufzuweisen hat.

Die unmittelbare Veranlassung gab Blücher, welcher später selbst nur mit tiefem Bedauern von dieser traurigen Geschichte gesprochen haben soll. Die Plünderung selbst fällt zunächst den französischen commandirenden Generalen Bernadotte, Murat, Soult zur Last. Auf alle diese Männer sind mehr oder minder Anklagen gehäuft. Es dürfte daher sowohl interessant als auch speciell von historischer Wichtigkeit sein, aus den eigenhändigen Aufzeichnungen eines Lübeckischen Rathsherrn jener Zeit so wie einiger anderer betheiligter Personen eine kurze, getreue Darlegung der betreffenden Ereignisse zu erhalten. Wir betonen ausdrücklich, daß alles nachstehend Erzählte auf genaueste Authentizität Anspruch macht.

Die Schlacht bei Jena war verloren (14. Oct.), und General Blücher wandte sich mit seinem aus den Trümmern der preußischen Armee geretteten Heerhaufen nach dem Mecklenburgischen. Als er dort einzurücken begann, flüchtete Alles, was fliehen konnte, durch Lübeck in das dänische Gebiet. Dies ging schon seit dem 20. Oct. Nacht und Tag ununterbrochen fort. Die noch im Lauenburgischen stehenden 1000 Mann Schweden erschienen am 31. Oct. gleichfalls vor den Thoren, bemächtigten sich, als man sie nicht einlassen wollte, mit Gewalt des Mühlenthores und drangen ein. Ihr Oberst Mörner ließ dem Senat anzeigen, daß ihn die Noth zwinge, hierher zu retiriren, und daß er gewillt sei, zu Schiffe nach Stralsund zu gehen; Alles, was er und seine Leute nöthig hätten, sollte vom schwedischen Consul bezahlt werden. Die Truppen wurden einquartiert und zwanzig bis dreißig von ihnen in Beschlag genommene, meist schwedische Schiffe zu ihrem Transport eingerichtet. Dennoch vergingen, obgleich man Tag und Nacht damit beschäftigt war, drei bis vier Tage, ehe man sie an Bord bringen konnte, was theils in Lübeck selbst, theils in Travemünde geschah. Am 4. November verließen die letzten Schiffe die Stadt, doch war ihnen der Wind conträr, die Schiffe konnten so wenig von Travemünde abgehen, als die auf der Trave befindlichen herunter kommen.

Seitdem Holland von den Franzosen in Besitz genommen war, brachten die Engländer viele Colonialwaaren nach Lübeck, und Handel und Schifffahrt und Wohlstand waren auf einer lange nicht erlebten Höhe. Das Laden und Entlöschen der Schiffe war kaum zu bewältigen, und die Trave wimmelte von Fahrzeugen aller Art. Die Schweden hatten den Durchmarsch durch die völlig friedliche Stadt durch Einschlagen der Thore erzwungen, sonst aber Mannszucht gehalten und keine Gewaltthat verübt.

Vom 4. November Vormittags an kamen versprengte Trupps Preußen von hundert Mann, bald mehr, bald weniger, theils mit, theils ohne Waffen an; auch Weiber und Marketender. Ihr Gesuch um Aufnahme in die Stadt ward abgeschlagen; dagegen ward ihnen Essen und Trinken auf ihre Lagerplätze vor den Thoren geschickt. Am 5. November langten jedoch von Schönberg und Ratzeburg her größere Schaaren an, durchbrachen Mittags 12 Uhr die geschlossenen Barrieren des Mühlenthors und stellten sich auf den Hauptplätzen und Straßen der Stadt auf. Der General Blücher, der Prinz von Braunschweig Oels und mehrere hohe Officiere traten im goldenen Engel[1] ab.

Um 4½ Uhr begab sich Blücher auf das Rathhaus, wo der Senat im Audienzzimmer versammelt war. Nachdem er mit einer leichten Verbeugung eingetreten, redete er den Senat mit folgenden Worten an: „Meine Herren, das Schicksal hat mich zu Ihnen und in diese alte berühmte Stadt geführt, in der ich hoffe, Unterstützung für meine ermatteten Truppen zu finden, um so mehr, da Sie bis jetzt vom Kriege verschont geblieben.“

„Ew. Excellenz,“ erwiderte der dirigirende Bürgermeister, „gebe ich zu bedenken, daß wir zu wenig darauf eingerichtet sind, Ihre Wünsche zu befriedigen; zudem stehen wir in Verhältnissen, die uns Vorsicht gebieten.“

„Wie soll ich das verstehen, meine Herren?“ rief Blücher, „wollen Sie feindlich gegen mich verfahren?“

„Wie könnten wir gegen Ew. Excellenz feindlich verfahren wollen?“ antwortete der Bürgermeister. „Wir bitten um Schonung dieser guten Stadt!“

„Meine Herren,“ sagte Blücher streng, „ich bin ein Mecklenburger und habe mein unglückliches Vaterland nicht schonen können, jedoch verspreche ich Ihnen, wenn Sie mich und meine Truppen

  1. Der „Goldene Engel“, damals ein angesehener Gasthof, ist noch jetzt das erste Restaurationslocal der Stadt.           Anm. d. Verf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_264.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2016)