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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„sie segnet Dich und will beten für Dich am Thron Gottes, daß er Deine Unschuld an’s Licht kommen läßt.…“

Der Gerichtsdiener rasselte mahnend mit dem Säbel. Mentel faßte die niedergleitende Hand des Mädchens und drückte sie knieend an die Lippen. „Und von Dir selber sagst mir gar nichts?“ fragte er. „Nit ein einzig’s Wörtl, Evi?“

„– Was sollt’ ich Dir sagen. …“

„Was? Das Einzige nochmal, daß Du mir verziehen hast – das Einzige, um was ich Dich gefragt hab’, wie wir uns das letzte Mal gesehen haben … weißt Du’s noch? – Sag’, ob ich Recht gehabt hab’ dazumal?“

„… Wenn’s Dir eine Freud’ machen kann in Deinem Unglück,“ sagte Evi erröthend und richtete die treuen blauen Augen so recht innig auf ihn. … „Ja, Du hast Recht gehabt … ich trag’ Dein Edelweiß noch auf meinem Hut. …“

„Aber der Almenrausch ist lang abgefallen und verdorrt seitdem,“ sagte er traurig und doch entzückt … „es hat nit anders sein können … aber jetzt hab’ ich doch wieder Hoffnung, denn ich weiß, er blüht wieder auf’s Jahr, und Almenrausch und Edelweiß, die gehören dennerst (dennoch) z’samm’!“

Ein erste Umarmung – ein letzter Kuß – dann stand Evi wieder vor der Thüre des Zuchthauses und wanderte, ohne sich Rast zu gönnen, den Bergweg hinauf, der nach den ferne blauenden Gebirgen führt.



5. Noch einmal auf dem Scharten-Kaser.

Seitwärts vom Scharten-Kaser senken sich rasche Vertiefungen und Schluchten nieder, durch welche einst der Bergsturz sich den zermalmenden Weg gebahnt hat. Unregelmäßig liegen die Felsblöcke in wüstem Gewirre durcheinander, bald wie mächtige Leichensteine auf Grabhügeln, bald wie umgestürzte Burgen und Häuser, hier aneinander gelagert, dort sich bedeckend und überschoben, daß sie Risse, Höhlen und Winkel bilden, in denen der Bergrabe nistet und der Fuchs seinen Bau gräbt. Moos und Flechten sind darüber gewachsen und bilden mit der schwachen Erdschicht einen weichen Ueberzug, üppig schwellenden Polstern vergleichbar; mächtige Tannen ragen daraus empor, die ihre Wurzeln gleich sehnigen Armen um die Felsen spannen oder in dieselben treiben, wie Klammern und Keile, um sich daran zu halten. Es sind gewaltige Bäume mit graugrünen Moosbärten behangen, mit zerrissener Rinde um die Stämme, deren Narben von mehr als einem Jahrhundert erzählen, das sie aus dem verwitternden Bergschutt erstehen ließ. Durch diese grüne, dunkle, harzduftige Wildniß windet sich nur ein schmaler, einsamer Waldpfad, der Hirten und Jäger in das stille Geröhricht führt, das am linken Ufer des Hintersees rauscht. Hoch darüber an sammtgrünen, saftstrotzenden Hängen stehen einzelne zerstreute Bauernhäuser, und auf sie schauen aus noch höhern grasigen Blößen und Thälern die Almhütten herab, darunter auch die von Kordel’s Dienstbauern. Weiter vorwärts liegt der Scharten-Kaser, weit genug, daß der beste Stutzen seine Kugel nicht bis dahin zu tragen vermöchte, und doch so nahe, daß Gesang und Zuruf der nachbarlichen Sennerinnen deutlich hinüber reicht.

Auf den Steinen, wo im vorigen Jahre Evi allein gesessen war und in den Herbstabend hinaus jodelnd den Wiederhall geprüft hatte, saß sie wieder und Kordel ihr zur Seite. Der Sommeraufenthalt auf dem einsamen Steinberg hatte die Freundschaft der beiden Mädchen noch inniger gemacht; man sah ihnen an, daß sie Schicksals- und Leidensgefährtinnen waren sie ähnelten sich noch mehr, als sie vor einem Jahre sich geglichen. Evi’s kräftiges, fast keckes Wesen war etwas gemildert, die Farbe der Wangen und der Glanz der Augen waren verblichen vor dem strengen Lufthauch des Kummers; dagegen lag um Kordel eine höhere Frische, ihr Antlitz schien sich fast rosig röthen zu wollen, und statt der etwas gewaltsamen Lustigkeit blühte arglos ruhige Heiterkeit um die feinen Lippen auf. Sie sangen wieder wie im letzten Herbst, und der Gesang ließ erkennen, daß sie nicht blos äußerlich eingeübt, sondern auch innerlich zusammengestimmt waren.

„Und wenn der Auswärts wiederkommt,
Wo werd ich nachher sein?“

wiederholte Evi nachsinnend, als sie geendet hatten. „Es ist so viel anders worden – aber das Gesangel und die Frag’ gilt heuer wie ferten!“ (Im vorigen Jahr.)

„Das wollen wir dem lieben Herrgott überlassen.“ sagte Kordel und legte ihr die Hand auf die Schultern. „Es ist doch auch Vieles besser worden, wie ferten! Was hab’ ich selbiges Mal für eine Sorg’ gehabt auf daheim und auf den langen, langen Winter, und wie freu’ ich mich heuer drauf! Du, die mir die allerliebste Cameradin ist, Du bleibst bei mir in der Ledermühl’; was wollen wir da arbeiten und spinnen und zusammen singen und einander trösten, wenns Noth thut – so wie jetzt,“ fügte sie hinzu und fuhr ihr mit der verkehrten Hand über die Augen, „wenn so wie jetzt das Wasser heraussteigt durch die Fenster! Wer weiß, ob nit bis über’s Jahr der Mentel wieder da ist und auf dem Bühelhof als Bauer haust und eine Gewisse, die ich nit nennen will, als Bäurin neben ihm! Wer weiß, ob nit schon in dem Augenblick ein Engel die Hand ausstreckt und das Gewölk, das vor seiner Unschuld liegt, wegzieht – wie man einen Vorhang wegzieht? Wer weiß, ob’s nit das Gewölk ist, das dort so weiß über die Scharten hereinschaut?“

Evi sah sie befremdet an, denn in ihren Augen leuchtete ein eigenthümliches Feuer auf; dann blickte sie nach der bezeichneten Wolke und sagte lächelnd: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich, und ich wollt’s hoffen und wünschen, aber ich mein’, das Gewölk dort bedeut’ gar nichts Anderes, als daß wir Zeit haben, uns auf den Weg zu machen – denn das sieht mir ganz wie Schnee aus!“

„Es ist nit so gefährlich,“ erwiderte Kordel, „das kommt nit zu uns: der Wind jagt Alles in’s Pinzgau hinein; wir haben immer noch so viel Zeit, daß wir Eins singen können miteinander ... es ist doch wohl das Letzte, das mir Zwei auf der Alm miteinander singen!“

„Für heuer!“ sagte Evi, und ohne Verabredung, nur von der Uebereinstimmung der Gemüther geleitet, setzten Beide zum Gesange ein. Es war das Lied von dem unglücklichen Liebespaar, dem es nicht bestimmt mar, „zusammen“ zu kommen. Der letzte Absatz war erreicht, und die Mädchen begannen:

„Und Aepfelblüh’ und Weichselblüh’
Wachst niemals auf Ein’ Stamm –“

aber statt der Schlußverse mit der allgemeinen traurigen Bemerkung, sang Evi jene Zeilen, welche Mentel im Herbste zuvor aus dem Stegreif hinzugedichtet hatte. Sie kamen ihr unwillkürlich auf die Zunge, weil sie ihr fortwährend im Sinne lagen:

„Aber Almenrausch und Edelweiß,
Die g’hören dennerst z’samm’!“

Kordel hatte wohl mitgesungen, aber die Freundin befremdet betrachtet. „So heißt’s nit,“ sagte sie lachend, „aber wenn Du mich zum Trutzsingen herausfordern willst, laß’ ich mich auch nit spotten!“ Und nach der Regel an den Schlußgedanken der Vorsängerin anbindend, sang sie:

„Und Almenrausch und Edelweiß,
Das giebt ein’ schönen Strauß.
Und was ein’ Menschen beschaffen ist,
Das bleibt ihm niemals aus!“

„Aber jetzt mein’ ich auch, daß es Zeit ist zum Gehn,“ fuhr sie unmittelbar nach dem letzten Tone und aufspringend fort. „Es ist ein ziemlicher Weg bis hinunter in die Ramsau und dann wieder den Lattenberg hinauf – wir wollen geh’n und Alles herrichten – indessen wird wohl auch der Bub’ mit den Geißen zurückkommen!“

Schweigend eilten die Mädchen der Alm zu, um in Hütte und Stall noch Alles zu bereiten, was zur Abfahrt nöthig ist, oder vielmehr das längst Bereitete noch einmal zu überblicken und zu prüfen. Es war Alles nach Wunsch und Gebühr, und die Sennerinnen konnten jeden Augenblick aufbrechen, aber noch immer war der Hütbube, der die Aufsicht auf die Ziegen hatte, mit diesen noch nicht zurückgekommen. Die Thiere schienen zu wissen, daß die Zeit ihrer Freiheit zu Ende gehe, und hatten sich so ungewöhnlich weit verstiegen, daß der Bub schon länger als eine Stunde darauf aus war, sie zu suchen. Viertelstunde um Viertelstunde verstrich, ohne daß der Erwartete kam, und die Abfahrt konnte nicht länger verschoben werden, wollte man nicht mit dem Vieh, das ohnehin nur langsam von der Stelle kam, in die Mittagshitze gerathen. Endlich wurde beschlossen, Evi sollte mit der Heerde voranziehen und Kordel gegen Abend mit dem Buben, der inzwischen wohl eintreffen werde, nachkommen. Das Vieh wurde herausgelassen und mit Kränzen und Glocken behängt, während das nun entbehrlich gewordene bewegliche Hausgeräth in eine Kraxe (Rückenkorb) zusammengepackt und einem tüchtigen jungen Stiere als Bürde aufgeladen wurde. Die Thiere schienen sich in dem Schmucke zu gefallen,

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