Seite:Die Gartenlaube (1863) 255.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Pochen dauerte in kurzen unregelmäßigen Pausen fort. Lieser voran, ich mit gehobener Laterne hinter ihm. Wie gerne wäre ich in der Mitte gegangen! Am Thore angelangt, donnerten uns die Schläge mit erneuerter Kraft entgegen.

„Wer ist da?“ rief Lieser.

„Bitte,“ scholl von außen eine ängstliche Stimme, „öffnen Sie, um Gottes Willen.“

„Wer sind Sie?“

„Die Seiler aus der Nachbarschaft. Oeffnen Sie nur.“

Ich steckte den Schlüssel an, den ich in Verwahrung hatte, Lieser stieß das Thor mit Heftigkeit auf. Vor demselben stand, vom Mondlicht bestrahlt, eine Anzahl Männer in halben Nachtkleidern, Schreck und Angst stand leserlich in ihren bleichen Zügen. Auf die Frage, was geschehen sei, erzählten sie, daß seit längerer Zeit aus dem offenen ungedeckten Hofe unseres Hauses die entsetzlichsten Töne erschollen seien, wimmernd, schreiend und wehkagend, als ob hundert Menschen unter den fürchterlichsten Martern gefoltert würden; da hatten sie sich endlich ein Herz gefaßt und hätten, nachdem sie lange von außen zugehört, an’s Thor geklopft, weil sie ein Unglück gefürchtet.

Wir sahen uns betroffen in die bleichen Gesichter. Wir innerhalb der Mauern des Hauses, aus welchem die gräßlichen Laute erschollen sein sollten, hatten keinen Laut, keinen Ton gehört! Die unheimlichste Stille hatte uns eine Stunde lang auf die Folter gespannt! – Ein absichtlicher Betrug war wohl kaum denkbar. Die armen Seiler, rohe ungebildete Halbbauern, waren nicht im Stande, Schreck und Angst so vortrefflich zu heucheln, daß zwei junge Schauspieler dadurch vollständig getäuscht werden konnten, selbst angenommen, daß die Gräfin zu einer solchen Täuschung ihre Hand geboten hätte, was gar nicht mit ihrer Würde und ihrem Charakter vereinbar war.

Genug, das Räthsel wurde uns nie gelöst, und bis zur Stunde weiß ich noch nicht, ob die geheimnißvollen Töne in der Einbildung der Nachbarn existirt haben, oder ob ein toller Spuk unsere eigenen Sinne dergestalt umnebelt hatte, daß die äußeren Eindrücke für uns verloren gingen. Weder ich, noch Lieser wußte sich klar zu machen, was wir von halb ein Uhr bis Eins gethan oder beobachtet hatten, ehe uns die Schläge an dem Thorflügel der Außenwelt zurück gaben. Gerade in der Einfachheit der Mittheilung jener schlichten Leute lag für uns eine erschütterndere Wirkung, als die seltsamsten Phantome hätten hervorbringen können.

Wir verließen bald darauf die Wohnung und ich die Stadt, ohne je wieder etwas von der Gräfin M. und ihrem Spukhause gehört zu haben. [1]




Blätter und Blüthen.


Barnaby. Planlos schlenderte ich eines schönen Tages durch die Straßen der Stadt, als ich, um eine Ecke biegend, durch ein langes Leinwandgebäude, dessen Außenseite mit weithin strahlenden Zinnoberschildereien geschmückt war, angezogen wurde. – Da trafen alle die wohlbekannten, nichtsdestoweniger aber höchst merkwürdigen Scenen das Auge des staunenden Zuschauers: – auf dem einen Bilde kämpfte ein Neger erbittert und erfolgreich gegen ein halbes Dutzend Panther und Leoparden, die sich sogar theilweise aus der freien Luft herniedersenkten, um ihr schwarzes Opfer dem Tartarus einzuverleiben; – auf dem andern Gemälde bemerkte man einen harmlosen Nilfahrer, der sich plötzlich von einigen wohlgenährten Krokodilen umringt sah, die den Rachen in einer Höhe aufsperrten, gegen welche sich selbst der Stephansthurm beschämt zurückziehen mußte; – kurz, ich stand vor einer Menagerie, die durch die draußen befestigten interessanten Tableaux der Schaulust des verehrten Publicums nachzuhelfen bemüht war. Nachdem ich den dicken Händen der dicken Frau, welche hinter der Blech-Cassette thronte, meinen Obolus überliefert hatte, trat ich ein, früh genug, um noch einige Productionen des Thierbändigers, der sich durch eine gewaltige Uhrkette, ein nichts weniger als courfähiges Hemde und ein höchst heiseres Organ auszeichnete, bewundern zu können. – Ich hörte, wie er den Königstiger witzreich mit Monsieur, den Bären schlechtweg mit Vetter anredete, opferte abermals meinen Obolus „zum Besten der Dienerschaft“ und überließ mich alsdann einem beschaulichen Umherflaniren in den ziemlich umfangreichen Räumen der Menagerie. – Die Papageien krächzten, die Löwen knurrten, die Affen schrieen – die Höllensymphonie, die in derartigen Tempeln zu ertönen pflegt, war im besten Gange. – Als ich aber in allerhand Reflexionen vertieft vor einem Käfig stand, der irgend ein räthselhaftes Thier barg, bemerkte ich eine behaarte Hand, die aus einem der benachbarten Gitterkasten hervorkam und mir emsig zu winken schien. – Pflichtschuldigst gehorchte ich dieser Aufforderung und befand mich gleich darauf vor einem Käfig, in welchem ein alter Mandrillaffe sein Domicil aufgeschlagen hatte, und eben diesem Mandrillaffen gehörte die Hand, die mir so einladend gewinkt hatte. – Als der alte Bursche sah, daß ich seiner gastfreundlichen Invite Folge leistete, nickte er befriedigt mit dem Haupte, die eine Hand wie zum Gruße an die Stirn legend, während er mir seine rauhe Rechte herablassend entgegenstreckte. Eine Höflichkeit ist der andern werth, dachte ich, und wechselte mit meinem neuen Freunde einen biedern Händedruck aus; augenscheinlich zufrieden mit mir, zog er die Pfote zurück, grinste mich huldvoll an und nickte mir mehrere Male mit seinem blauen Antlitz zu. – Mein neuer Bekannter war nicht schön, aber er besaß ein gewisses Etwas, das seine Häßlichkeit vergessen und mich begierig machte, Näheres über seine persönlichen Verhältnisse zu erfahren; eine logische Ideenfolgerung sagte mir, daß zu diesem Zwecke die Anknüpfung einer Conversation mit dem Wärter vermöge gangbarer Münze von Nöthen sei. – Ein anderweitiger Obolus setzte das erwünschte Zwiegespräch in Scene, und ich erfuhr nun Folgendes.

Der Mandrill hieß Barnaby und hatte der wechselvollen Schicksale genug erfahren. In zarter Jugend seiner tropischen Heimath entrissen, war er in den Besitz eines umherziehenden Savoyardenjungen gekommen, der ihm die ersten Elemente künstlerischer Ausbilbung hatte angedeihen lassen. Aus den Händen des Savoyarden war er in die eines renommirten Affentheater-Directors gewandert und unter der Anleitung dieses erfahrenen Mannes zu einem geachteten Künstler herangezogen worden. Barnaby hatte seiner Zeit auf dem Schwungseile und als dummer Rekrut aufrichtige Triumphe gefeiert, er war als betrunkener Matrose mit Enthusiasmus begrüßt worden und hatte als Diener der Madame Pompadour durch ungezwungene und decente Komik die Bewunderung der Kenner in allen nur denkbaren europäischen Haupt- und Nebenstädten erregt. Da hatte eines Tages der Affentheater-Director sein Geschäft aufgegeben, die einzelnen Mitglieder seiner Truppe an den Meistbietenden verkauft und Barnaby für eine ziemlich bedeutende Summe einem befreundeten Menageriebesitzer überlassen. Anfangs hatte sich der aus seiner glänzenden Künstlercarriere gerissene Mandrill hinter den rostigen Gitterstäben der Menagerie äußerst unglücklich gefühlt; er war an elegantere Umgebung und an feineren Umgang gewöhnt, als ihm die brüllende und grunzende Nachbarschaft gewähren konnte; später war er in eine Art von stummer Resignation verfallen, die ihn sich in das Unvermeidliche schicken hieß. Aber nie hatte er sich zu einem näheren Verkehr mit der übrigen Menagerie-Gesellschaft verstehen wollen, sondern in selbstbewußter Zurückhaltung seinen Rang und seine Bildung zu wahren gesucht. Nur mit Besuchern der Menagerie, aber auch nur mit solchen, die ihm in irgend einer Beziehung zu Kunst oder Literatur zu stehen schienen, liebte Barnaby umzugehen, eine Neigung, von welcher er mir kurz vorher den für mich schmeichelhaften Beweis abgelegt hatte.

Also ehemaliger Künstler, dachte ich, indem ich Barnabys gefurchte Stirn betrachtete, dereinst an die Acclamationen der Menge gewöhnt, in Zeitungen und Localblättern vergöttert und jetzt hinter die schmutzigen Stäbe gebannt, verdammt zur Gemeinschaft mit allerlei rohem und uncultivirtem Gesindel. Armer Barnaby! Barnaby kratzte sich kopfschüttelnd das Haupt, als ob mein Ideengang auch der seinige gewesen wäre, schüttelte mir melancholisch lächelnd nochmals die Hand, und so schieden wir vorläufig, offenbar als gute Freunde, und mit einander sympathisirend.

Ungefähr eine Woche später schritt ich wieder durch die Straße, in welcher die Menagerie aufgeschlagen war; schon aus der Entfernung bemerkte ich, daß sich zu der einen Bude noch eine andere gesellt hatte. Ich kam näher und las über der Thür des zweiten Zeltes mit mächtig langen Buchstaben die Worte: Niederländisches Affentheater. Armer Barnaby, dachte ich unwillkürlich wieder, ein Institut, ähnlich dem, in welchem du vormals wirktest, und noch dazu dicht bei deinem gegenwärtigen Kerker, der dir so recht aus Herzensgrund verhaßt sein muß! Armer, armer Barnaby! Unter diesen Reflexionen hatte ich, ohne es zu wissen, die Schwelle der Menagerie überschritten und befand mich plötzlich wieder der dicken Dame gegenüber, die mir mit ihren dicken Fingern bereits ein Billet entgegenstreckte. Ein Rückzug war unter diesen Umständen unmöglich; ich griff in die Tasche, bezahlte das Billet und trat ein. Mein erster Gang war natürlich zu Barnaby, aber wie hatte sich mein Freund in der kurzen Zeit verändert! Abgemagert und mit halb geschlossenen Augen lag Barnaby auf seinem Stroh, einen buntbeklebten Reifen an sein Herz pressend. Als er mich sah, richtete er sich ein wenig auf und bot mir, wie neulich, seine Rechte zum Gruß. Darauf legte er sich wieder nieder und schaute mich recht kläglich und wehmüthig an. Selbstverständlich trieb es mich, über den Zustand meines Freundes Aufklärung zu erlangen, und wieder mußte der bewußte Obolus den bewußten Wärter zu fließendem Redefluß bewegen. – „Ja,“ sagte der wackere Hauswart, dem eine ungewöhnlich rothe Nase ein etwas zweideutiges Aussehen verlieh, „ja, mit dem Vieh, dem Barnaby, ist das ’ne eigne Sache. Vor circa acht Tagen hat der Niederländer nebenan sein Affentheater aufgeschlagen, und man kann jeden Ton, den die Musikanten drüben spielen, bei uns hier deutlich hören. Nun blasen sie auch so ein Musikstück da drin, nach welchem die Affen immer tanzen, und als Barnaby das Getute zuerst gehört hat, da ist er rein toll geworden. Er sprang im Käfig hin und her, aber immer im Takt, uberschlug sich und tanzte, daß es zum Todtlachen war. Nachher aber legte er sich ruhig nieder, und seit der Zeit will das Vieh nicht mehr fressen. Blos, wenn sie nebenan

  1. Es wäre dem Schreiber dieses ein Leichtes gewesen, einen befriedigenderen Schluß zu erfinden, da er die Ueberzeugung in sich trägt, daß eine natürliche Lösung des Räthsels vorhanden sein muß. Da ich aber dieselbe nicht gefunden, so ziehe ich es vor, dieses Erlebniß wahrheitsgetreu zu schildern, ohne Zusatz, ohne Ausschmückung, als ein Geheimniß, zu dessen Aufhellung ich wenigstens keinen Schlüssel entdeckt habe.
    Anmerk. d. Verf.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_255.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)