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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ihnen hier,“ fuhr er fort, indem er seine Finger auf das vor ihm auf dem Beamtentische stehende Crucifix legte, „wenn Sie mich heute prügeln oder irgendwie ungerecht behandeln lassen, so schieße ich Sie morgen nieder wie einen Hund. Jetzt lassen Sie mich prügeln, wenn Sie Muth haben!“

Diesen hatte der todtenbleich gewordene Mann der Gewalt nun allerdings nicht, er ließ den jungen Künstler während der noch kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Agram ungeschoren. Letzterer wurde im Jahre darauf das Opfer eines bösartigen Fiebers und liegt ferne von der geliebten Heimath in fremder Erde begraben.

Ich hielt es für nothwendig, diesen kleinen Charakterzug meines Freundes meiner eigentlichen Mittheilung vorangehen zu lassen, und fahre in meinen Erinnerungen fort: Agram liegt auf einer namhaften Anhöhe, das von uns bewohnte Haus in der oben erwähnten Harmitzen tief im Thale. Es war dies ein alterthümliches, der Gräfin M. gehöriges Gebäude, welches eine Masse kleiner umliegender, größtentheils von Seilern bewohnter Häuschen weit überragte. Diese standen auf der anderen Seite unseres Wohngebäudes, durch kleine mühselig erhaltene Gärtchen getrennt, während wir im Umkreis von 2–300 Schritten keinen Nachbar hatten. Die Gräfin selbst, eine höchst gebildete, liebenswürdige, alte Dame, gehörte einer ansehnlichen, aber verarmten Familie an, und hatte nur noch einen Sohn, der als Officier bei den Grenzern diente. Die tiefe Einsamkeit, in welcher die Gräfin jetzt lebte, die ihre Jugendzeit in glänzenden Verhältnissen in Wien und Paris zugebracht hatte, ließ es ihr wünschenswerth erscheinen, daß zwei junge, lebenslustige Bursche sich in ein paar leerstehende Stuben des unheimlichen Gebäudes einmietheten und durch Geplauder an berufsfreien Abenden ihr die Zeit vertreiben halfen. Die Miethe, die wir zahlten, war kaum der Rede wert und wurde uns in Punsch und anderer den jungen Mägen hochwillkommener Naturalverpflegung reichlich zurückerstattet an unseren Gesellschaftsabenden, denen sich ab und zu einige junge, zur Bekanntschaft ihres Sohnes gehörige Lieutenants anschlossen. Die Dame hatte viel erlebt, wußte ihre Erfahrungen anmuthig zum Besten zu geben, dazu ihr hoher Stand, die Würde, mit der sie alle Entbehrungen ertrug, und die Güte, mit welcher sie denen, die noch minder glücklich gestellt waren, als sie selbst, ihre kleinen Ersparnisse zu Gute kommen ließ: war’s Wunder, daß wir die alte Frau wie ein Wesen höherer Gattung anstaunten und verehrten?

Außer der Eigenthümerin, die den Vordertheil des Gebäudes einnahm, und uns, die wir zwei nach dem ungeheueren Hof zugehende, neben einander liegende Zimmer inne hatten, waren keine Bewohner der großen Räume vorhanden, denn das gräflich M.’sche Haus stand in dem Rufe ein „Spukhaus“ zu sein. Gerade dies war ein Hauptgrund, warum mein Freund Lieser mich beredet hatte, mit ihm dort einzuziehen; er hätte gar zu gerne ein Abenteuer mit Gespenstern bestanden.

Auf unser mehrmaliges Andringen, uns den Grund oder Ungrund der über ihr Haus herrschenden bösen Gerüchte mitzutheilen, gab uns die Gräfin zuerst ausweichende Antworten, später versicherte sie uns im vollen Ernst, daß es dort wirklich jedes Jahr einmal im Hause spuke, und zwar in der Mitternachtsstunde vor dem Christtage. Der Spuk äußere sich jedes Jahr anders, meist aber in unheimlichen, aus dem Hofe und in den Gängen schallenden Tönen. Das Gebäude sei früher ein Kloster gewesen, und in den langen, um das ganze Haus laufenden Corridoren sah man auf einer Seite Nischen und gegen den Hof zu arcadenartige Durchbrüche, in welche hohe, gothischen Fenstern ähnliche Oeffnungen ausgebrochen waren. In diesen Nischen soll in früheren finsteren Zeiten, einer alten Sage nach, mancher widerspenstige oder sonst gegen die strenge Clausur sich verfehlende Mönch, nach dem damaligen Klosterzwange zum Einmauern verurtheilt, sein Leben geendet haben. Mit dieser Sage brachte man die Spukgeschichten des Hauses in Verbindung. Die Gräfin behauptete, sie selber sei von dem Vorhandensein unheimlicher Mächte in demselben überzeugt, nie aber habe sie die Lust gespürt, dem Treiben der Geisterwelt nachzuforschen, sondern mit dem Beginn des verhängnißvollen Abends schließe sich Alles, was zu ihrem Hause gehöre, ein und suche die winselnden, ächzenden Töne, die hörbar durch alle Räume schallen, an sich vorüber gehen zu lassen, bis die Glocke ein Uhr schlage und die Bewohner wieder ein Jahr in Ruhe und Frieden leben könnten. Nie habe der Spuk irgend Jemand ein Leid zugefügt, nie aber habe auch, ihres Wissens, ein Frevler dort die Mitternachtsstunde der Christnacht außer seiner Stube zugebracht.

Dem Andringen Lieser’s, ihm zu erlauben, daß er der Erste sei, der dem Treiben unerklärlicher Mächte in’s Antlitz schaue, gab die Gräfin erst nach, als sie sah, daß alle Versuche, ihn davon abzubringen, fruchtlos waren. Auch ich willigte, auf dessen Aufforderung, das Abenteuer mit ihm in Gesellschaft zu bestehen, erst nach langem Zögern ein, und zwar, wie ich ehrlich gestehe, nur darum, weil ich mich schämte, meinem Freunde eine abschlägige Antwort zu geben.

Die verhängnißvolle Nacht rückte heran, von uns Beiden, jedoch mit ganz verschiedenen Empfindungen, wenn auch in gleich fieberhafter Spannung erwartet. Lieser tollkühn, voll frischen Mutes, seine Pistolen in Stand setzend, genau untersuchend, ich mich ernstlich prüfend, ob ich in der Geisterwelt Stand halten und im entscheidenden Momente nicht das Hasenpanier ergreifen würde. Mein Gewissen ließ die Frage unentschieden, und so sah ich nicht ohne Besorgniß die Stunden bis zur mitternächtlichen Frist immer rascher enteilen.

Die Gräfin hatte sich mit den Dienstleuten, nachdem nochmalige Warnungen vergebens an dem dicken Schweizerschädel Lieser’s abprallten, in ihre Gemächer zurückgezogen, und die lautlose Stille des Hauses wurde nur durch die dröhnenden Schläge der Kirchenuhr unterbrochen, die in meiner Brust ein Echo zu finden schienen. Vergebens suchte mich mein Camerad aufzuheitern; je mehr er mir das gänzlich Gefahrlose unseres Unternehmes vorzustellen suchte, desto wortkarger wurde ich, desto ungemüthlicher stellte mir meine Phantasie den wohlbekannten, langen Gang mit den niedrigen Brüstungen und den in den finsteren leeren Hofraum starrenden hohen Bogenöffnungen vor. Eine kleine Bowle trefflichen Punsches trug Lieser auf eine dieser Brüstungen, setzte zwei Stühle hinter dieselbe, die Pistolen scharf geladen, eine gewaltige Laterne mit brennendem Licht nebst Feuerzeug vor sich hin, und so begannen wir mit dem Schlag halb zwölf unsere Beobachtungsposten einzunehmen.

Von der Dehnbarkeit der Minuten, von der Endlosigkeit einer solchen Stunde kann sich nur der einen Begriff machen, der in ähnlicher Situation ein folgenschweres, ungeheueres Ereigniß erwartet, ohne sich vorher einen Begriff machen zu können, von woher und in welcher Gestalt es eintreten werde. Selbst mein Wagehals wurde stiller und stiller, die selteneren Mittheilungen zwischen uns flüsterten wir uns leise zu, von Zeit zu Zeit scheue Blicke um uns werfend. Das dampfende Getränk lud uns vergebens mit süßen Düften zum Genusse ein, die Gläser blieben leer, und die Sehnerven suchten vergebens das tiefe Dunkel des Hofraumes zu durchdringen, welches eine zweite von Lieser vorsorglich aufgehängte Laterne nur mit noch unheimlicheren Schlagschatten umgab.

Mitternacht schien heute ausbleiben zu wollen. Endlich dröhnte der erste Schlag der erwarteten Stunde, sein mächtiger Schall zuckte mir durch alle Nerven. Auch Lieser war todtenbleich geworden, selbst bei dem matten Licht der Laterne mußte ich dies bemerken. Mechanisch legte er die Hand auf die Pistole, eine zweite hatte ich mit gespanntem Hahn neben mir liegen, und fast tonlos hauchte er mir die Worte zu: „Wenn sich Jemand einen schlechten Spaß mit uns macht, so soll es ihm schlecht bekommen.“

Während ich die Schauer dieser Stunde zu schildern suche, wird mancher Leser, der diese Nummer der Gartenlaube in seiner sonnenbeschienenen heiteren Stube durchliest, lächeln über unsere unnöthige Angst, und keiner wird glauben, daß er in unserer Lage genau dasselbe Grauen empfanden haben würde.

Die Uhr hatte ihre zwölf Schläge verhallen lassen. Lautlose Stille rings umher. Lieser hatte sich erhoben, und sah in großer Erregung in den Hof hinab, über welchem sich in ruhiger Klarheit der gestirnte Himmel wölbte, an dem der Mond hervortrat, der sein zweifelhaftes Licht in die düstern Räume ergoß. Ich rückte meinen Stuhl fest an einen Pfeiler, der mir Schutz versprach, und stierte athemlos in den im tiefen Schatten liegenden endlosen Gang hinab. So verstrich langsam, ach wie langsam! eine endlose halbe Stunde. Bleischwer senkte sich ein verwirrender unruhiger Halbschlummer auf die übermüdeten Augenlider. Wie lange derselbe gedauert, wußte ich nicht zu berechnen, ich wurde, als die Glocke eben Eins schlug, von starken Schlägen, die mit gewaltiger Wucht an dem großen Außenthor thrönten, erweckt und fuhr entsetzt empor. Lieser stand, die Pistole im Anschlag, bereits aufrecht und winkte mir die Laterne zu nehmen. Wir schritten die Treppe hinab; das

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