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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


in Berlin, verrichtete 1859 bei der Mobilmachung Officiersdienste, nahm aber seinen Abschied, als ihm die Zeit für Polens Erlösung nahe zu kommen schien. Nachdem er eine Lehrerstelle an Mieroslawski’s neuer Militärschule zu Paris kaum angetreten, zog ihn Garibaldi’s Ruf nach Italien, wo er als Adjutant des Generals v. Milbitz den ganzen Feldzug mitmachte und, nach dem vollendeten Sieg über die neapolitanischen Bourbonen, Lehrer der Artilleriewissenschaften an der polnischen Militärschule zu Cuneo ward. Später finden wir ihn in London und endlich in Warschau. Als einer der Hauptleiter in die revolutionären Pläne eingeweiht, ward er auch wegen seines militärischen Rufs sofort der Mann der Situation, dem die Dictatur von selbst zufiel. Niemand kann leugnen, daß Langiewicz sein Feldherrn- wie sein militärisches Organisationstalent, seine Rastlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit bereits genugsam erwiesen, um das Vertrauen der Polen in ihn zu rechtfertigen. Trotz alledem ist er Chlopicki’s Nachfolger auch als Ex-Dictator geworden. Warum? Man hat einen französischen Kaiserfinger, man hat die Drohfäuste der sogenannten provisorischen Regierung, man hat die Unglückshand Mieroslawski’s in dieser neuesten „polnischen Wirtschaft“ geschäftig sehen wollen. Die Zeit wird auch den Schleier von diesen „geheimen Beweggründen“ heben; wann aber der Trauerschleier vom Haupte der unglücklichen Polonia gehoben wird, das weiß der liebe Gott!

Fr. Hfm.



Erinnerungen.
Von Franz Wallner.
Nr. 5. Ein ungelöstes Räthsel.

Croatien war vor 25 Jahren ein Land, welches dem gebildeten Publicum unbekannter war, als die Westküste von Afrika; ja theilweise ist es noch so, selbst von der croatischen Hauptstadt „Agram“ liest man nur selten dürftige Correspondenzen in deutschen Blättern. Meinen Einzug hielt ich dort vor vielen Jahren unter den trübseligsten Umständen, die ich bei einer anderen Gelegenheit meinen freundlichen Lesern bereits mitgetheilt habe.[1] Von Räubern mißhandelt, entkleidet und aus einer tiefen Kopfwunde blutend, fand mich ein bürgerlicher Samaritaner besinnungslos auf der Landstraße, und gewährte mir in seinem gastlichen Hause Pflege und Heilung.

Damals herrschten in Agram noch die absonderlichsten geselligen Zustände, und die öffentliche Sicherheit stand unter Null. Die Nähe der türkischen Grenze sicherte dem flinken Einbrecher, Dieb oder Räuber ein schnelles und strafloses Entkommen, und gewaltsame Anfälle auf das Eigenthum, ja das Leben der Einwohner gehörten selbst in den belebtesten Straßen und am hellen Tage keineswegs zu den seltenen Ereignissen. Wurde die Geschichte zu arg, nahm die Frechheit der Strolche zu sehr überhand, so wurde von Seiten der Behörden „Standrecht“ publicirt, d. h. die Verbrecher, die auf frischer That ergriffen wurden, sofort verurtheilt und hingerichtet; freilich kam dabei ein alter Spruch nur zu oft in Anwendung, denn auch die Agramer hingen, gleich den Nürnbergern, Niemand auf, ehe sie ihn hatten. Unter Trommelschlag wurde dann durch öffentliche Ausrufer publicirt, daß das Gericht, um den wiederholten Räubereien zu steuern, jedem Einwohner das Recht zuspreche, auf einen Fremden, der nach eingebrochener Dunkelheit in seine Wohnung eindringe und auf dreimaligen Anruf nicht antworte, zu schießen; ein Recht, von welchem ein dortiger Büchsenmacher sofort Gebrauch machte, indem er einen Gauner, der in nächtlicher Stunde durch ein Fenster seines Hauses steigen wollte, mitten durch die Brust schoß. Allein nicht nur mit den als vogelfrei erklärten Banditen standen die Behörden in offenem Kampfe, auch die Bürger machten nicht selten von dem Rechte des Stärkeren Gebrauch und sprachen dem Gesetze Hohn. Ich erinnere mich noch, welch enormes Aufsehen der Vorfall machte, als ein reicher Kaufmann, der zugleich Edelmann war, den Zollbeamten, welchen er mit Recht der Schmuggelei im großartigsten Maßstab verdächtig war, sein Haus verschloß und eine vollständige Belagerung desselben mit bewaffneter Hand abwehrte, indem er Jeden niederzuschießen drohte, der ohne seine Erlaubniß die Schwelle überschreite. So lag er mit seinem Personal mit Feuerwaffen an den Fenstern seines inmitten der Stadt gelegenen Hauses im Anschlag, während die Douaniers vor demselben campirten, aber wohl auf ihrer Hut, diesem näher zu kommen, als der Anstand forderte. Während der Zeit wurden die geschmuggelten Waaren von den im Hofe stehenden Wagen abgeladen und Nachts auf Hinterwegen bei Seite geschafft. Ich weiß mich nicht mehr zu erinnern, wie die Sache endete, und ob selbe Folgen hatte, nur ist mir noch gut im Gedächtniß, wie oft nach der Hand der Kaufmann die höheren Zollbeamten in Gegenwart von Zeugen hänselte wegen seines gelungenen Handstreiches, und wie diese den Hohn und den guten Wein des reichen Mannes geduldig hinabschluckten.

Ein pittoreskeres Bild, als der alljährlich abgehaltene Agramer „Viehmarkt“, zugleich das größte croatische Volksfest, gab, konnte keine Phantasie ersinnen. Auf einem ungeheuren Wiesenplan unfern der Stadt wurde es abgehalten und dauerte mehrere Tage und Nächte lang. Gerade die Nacht mit ihrem bunten Treiben hätte einem Breughel den prächtigsten Vorwurf für seinen genialen Pinsel geliefert. Zwischen den zahllosen, zum Verkauf herbeigebrachten Thieren und ihren Begleitern promenirten, von den vielen Zeltfeuern und dem Lichte des Vollmondes malerisch beleuchtet, der Edelmann und seine Dame im reichen Nationalcostüm; halbnackte Zigeunerhorden tummelten sich daneben um ein halbgebratenes Lamm, welches an einem improvisirten Spieß über einem riesigen Feuer schmorte; der kecke Csikos, die braune Bauerndirne trieben sich in der bunten, in alle Volkstrachten Ungarns, Serbiens und Croatiens gekleideten Menge umher; mächtige Weinfässer, von der Großmuth des Edelmanns gespendet, labten mit ihrem duftigen Inhalt Tausende von durstigen Kehlen und stimmten sie zu begeistertem Jubelrufe; die gut geschulten Militärmusiker zogen den Kürzeren im Wettkampf mit den elektrisirenden Klängen der Zigeunermusikbanden. Dazu ein Geheul in allen Menschensprachen, in allen Thierlauten; das Schmerzgebrüll des ertappten und sofort abgestraften Diebes mischte sich mit dem Jauchzen des Trinkers, der mit seiner Vernunft und seinem Gelde am Rande war; kurz ein Leben, wie es so betäubend, fast sinnverwirrend wohl kaum zum zweiten Mal zu finden sein dürfte!

Auf der sogenannten Harmitzen, einer kleinen, aus wenigen Häusern bestehenden Vorstadt Agrams, wohnte ich zusammen mit einem gewissen Lieser, der ein trefflicher Sänger, ein leidenschaftlicher Jäger und auch sonst ein ganz gebildeter umgänglicher Mensch war. In traulichem Gespräch streiften wir oft, Lieser stets mit der Flinte auf dem Rücken, in Feld und Wald umher, wo mir mein Freund, ein geborner Schweizer aus gutem Hause, durch seine Schilderungen der Wunder seines Heimathlandes oft die Sehnsucht nach der Anschauung desselben recht lebhaft rege machte. Damals war der Schauspieler in den Mittelstädten Ungarns und Croatiens noch ein äußerst unbedeutendes und über die Achsel angesehenes Geschöpf, dessen Schicksal vollständig in den Händen der Obrigkeit lag. Lieser war einem der dortigen Polizeiherren auf Rosenpfaden in’s Gehege gekommen, dieser ergriff die nächstbeste Gelegenheit – eine solche fand sich für die unverantwortliche, gefürchtete Polizeiwillkür stets – und ließ Lieser vorladen, um ihn über ein angebliches Versehen, nach welchem der Sänger auf der Bühne die Censurvorschriften überschritten haben sollte, zur Rede zu stellen. In rohester Weise fuhr ihn der Gewaltige an. Trotz dem, daß sich mein Freund erbot, durch Vorlegung des Soufflirbuches seine Unschuld auf das Schlagendste zu beweisen, überhäufte ihn der Stadtrichter doch mit den pöbelhaftesten Insulten und schloß seinen Sermon mit den Worten: „Bei nächster Gelegenheit lasse ich Sie auf die Bank niederziehen und Ihnen fünfundzwanzig herabhauen.“

„Herr Stadtrichter,“ entgegnete mein freimüthiger Schweizer, „daß Sie mich schlagen lassen können, weiß ich, denn Sie haben die Macht in Händen, daß Sie den Willen dazu haben, glaube ich auch; aber Sie wissen, ich bin ein guter Schütze, ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß ich auch ein guter Christ bin, der einen Eid für heilig hält, aber ich bin auch ein solcher, und so schwöre ich

  1. Aus dem Tagebuche des alten Komödianten. Leipzig, im Verlage von Otto Wigand: der arme Josy.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_253.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)