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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

können. „Ich Unglücklicher, mein Haus in Alba richtet mich zu Grunde.“

Ein Institut dieser Art mußte die bürgerliche Rechtspflege, die politischen Körperschaften und selbst die königliche Gewalt weit überragen. Es war ein unwiderstehliches Werkzeug der Unterdrückung; Caligula, Nero und Heliogabal hätten in ihren schlechtesten Tagen nichts Besseres erfinden können. Es war aber auch ein Werkzeug der Erpressung, ein Alles verschlingender Polyp, der das Mark eines jeden Landes von jedem beliebigen Platze aus verzehren konnte. Niemals gab es ein geschäftliches Unternehmen, das so sinnreich eingerichtet war. Binnen hundert Jahren mußte ein Königreich, das man den Inquisitoren überlieferte, ihnen als Eigenthum der todten Hand gehören, wenn sie nicht ihre Räubereien selbst beschränkten, oder wenn die Regierung ihnen nicht Schranken setzte.

Die spanische Geistlichkeit wurde in Folge dessen ungeheuer reich. Am Ende des 17. Jahrhunderts besaß sie in 22 Provinzen des Königreichs Castilien zwölf Millionen Morgen Land, welche 161 Millionen Realen eintrugen. Es war der fünfte Theil des Bodens. Dazu kamen noch Gebäude von ungeheuerem Werth und zufällige Einnahmen, die der Schrecken auf eine bedeutende Höhe trieb. Der Erzbischof von Toledo bezog jährlich 200,000 Ducaten oder 800,000 Thaler unseres Geldes, der Erzbischof von Compostella 60,000 Ducaten oder 210,000 Thaler, der Erzbischof von Sevilla 400,000, der Erzbischof von Valencia 181,000 Thaler. Ordnete ein Sterbender einige tausend Messen für das Heil seiner Seele an, so zog die Geistlichkeit die willkürlich geschätzten Kosten dieser Messen vom Nachlasse ab, ohne auf die Gläubiger, welche häufig keinen Maravedi bekamen, Rücksicht zu nehmen. Die Besitzungen und besonderen Einkünfte der Inquisition sind niemals bekannt geworden, da sie alle ihre Angelegenheiten in ein undurchdringliches Geheimniß hüllte und die Neugier durch die Folter, den Scheiterhaufen und die Erdrosselung, welche reuigen Ketzern als eine Gunst bewilligt wurde, fern zu halten verstand.

Trotz ihres Einflusses, ihres Reichthums und ihrer Macht war die Inquisition nicht zufrieden. Sie entwarf den Plan, sich ein Heer zu schaffen, welches zur Unterstützung ihrer ehrgeizigen Pläne stets bereit sei. Diese Truppen sollten einen neuen Militärorden, St. Maria vom weißen Schwert genannt, bilden und den spanischen Generalinquisitor zum Großmeister haben. Dieser fürchterliche Gedanke und die bereits fertigen Statuten wurden von vierzig adeligen Familien, von den Wortführern der gesammten Geistlichkeit und vom Hohen Rathe gebilligt. Es fehlte blos noch die Genehmigung Philipp’s II. Der König begriff aber, daß er seiner Krone entsagte, wenn er die Organisation einer solchen Macht duldete und einer mächtigen, unversöhnlichen Gesellschaft gestattete, fanatische Banden anzuwerben. Durch Aberglauben und Schrecken bereits zur Herrin der Gemüther geworden, würde sie die Halbinsel bald militärisch beherrscht und das Ausland im Interesse des Glaubens oder ihres eigenen Vortheils bekriegt haben. Der Fürst zögerte, fragte, ob diese Einrichtung auch wirklich nothwendig sei, und entschied sich zum Glück für ihn, für seine Familie und sein Volk niemals. Das Weiße Schwert würde sich binnen Kurzem mit dem Blute der Könige und der Völker gefärbt haben.

Das Handbuch der Inquisitoren enthüllt das System, das von den Dominikanern auf die Jesuiten überging und von diesen auf ganze Länder und Provinzen ausgedehnt wurde. Die Dominikaner hatten in Spanien vielleicht zweihundert Menschen auf einmal verbrannt. Die Jesuiten, die ihre Hauptthätigkeit in Ländern entfalteten, wo der Protestantismus entweder gesetzlich anerkannt war, oder eine große Anzahl unterdrückter Anhänger hatte, ließen ganze Bevölkerungen zu Grunde gehen, Tausende von Flecken, reichen Plätzen und Hauptstädten zum Ruhme des Herrn in Flammen auflodern. Die Inquisition fällte Urtheile, ohne die Zeugen, oft die ehrlosesten Menschen, dem Angeklagten gegenüberzustellen; die Jesuiten verdammten bei ihren geheimnißvollen Berathungen Städte, Provinzen und Völker zu bewaffneten Missionen, Dragonaden und Glaubenskriegen. Und hat die Sturmglocke der Revolution diesem System zu Grabe geläutet? Durchaus nicht; noch im Jahre 1815 haben die Protestanten von Avignon, Nimes, Uzès, Montpellier, Alais, Vigan und Toulouse eine neue Bartholomäusnacht erlebt und die Scheiterhaufen des Mittelalters wieder aufflammen sehen. Und würde man heute, fast ein halbes Jahrhundert nach jenen südfranzösischen Metzeleien, vor einer Wiederholung zurückschrecken? Nein, aber man muß zuvor die öffentliche Meinung bearbeiten, den Protestantismus als den Geist der Revolution, die Kirchenherrschaft als das Heil der Monarchie darstellen, und zu diesem vorbereitenden Werke hat man sich mit Romantikern und politischen Reactionären verbunden, die man noch sehr mild beurtheilt, wenn man annimmt, daß sie vielleicht größtentheils nicht einmal wissen, welchen Zwecken sie dienen.




Aus der Polen Kampf und Noth.

Seit dem 10. October 1794, jenem Trauertage Polens, wo sein größter und edelster Held, Kosciuszko, besiegt und mit Wunden bedeckt vom Pferde auf das Schlachtfeld von Maciejowice sank, sind die Worte, die ihm da der tiefste Seelenschmerz entpreßte, die Prophetenklage seines armen Volkes geworden. Finis Poloniae! „Das ist Polens Ende!“ – so konnte er ausrufen, der seine Nation kannte, wie kein Anderer, ihre Tugenden, ihre Schwächen und die unversiechliche Quelle ihres Elends. Näher zum Triumph seines Rechtes ist Polen nie wieder geführt worden, als durch seine reine starke Hand. Fast siebzig Jahre sind seit jenem Trauertage über Land und Volk dahingegangen, die ganze Wucht dreier mächtiger Militärstaaten schien jede Regung des alten Nationalgeistes niederdrücken und völlig ersticken zu müssen, und dennoch lebte dieser Geist selbst unter solchem Druck noch fort, jede äußere Lüftung der schweren Grabesdecke zu frischem Aufathmen benutzend, aber gleichwohl bis heute nur, um weder erleben noch ersterben zu können. Die Weltgeschichte kennt nichts Gräßlicheres, als solch einen Todeskampf einer Nation.

Gottlob ist es darum kein Wunder, sondern ein trostreiches Zeugniß für die unzerstörbare Kraft und Gesundheit des Freiheitsdranges in allen Völkern, daß jedem neuen Erwachen Polens die Volksherzen in ganz Europa entgegenschlugen, und wieder waren es die Deutschen, welche all den Haß, den ihre Regierungen für sich verdient hatten, den aber die Polen, ebenso wie Ungarn und Italiener, allzu kurzsichtig und ungerecht auf das Volk der Deutschen mit übertrugen, gegen diese wie jene mit aufopfernder Theilnahme vergalten.

Zweimal in diesem Jahrhundert stand der Polen Hoffnung wieder in voller Blüthe. Napeleon hatte Preußen und Oesterreich besiegt, zwei Thore standen ihm offen, um die Unabhängigkeit in das Land zu führen, und die Polen eilten zu Tausenden unter seine Fahnen. Seine Untreue gegen alle Nationen litt es jedoch nicht, das ganze Polen als ein selbständiges Königreich wieder aufzurichten, ein weder Oesterreich noch Rußland unbequemes „Großherzogthum Warschau“ als Nebenbesitzung des Rheinbundeskönigs von Sachsen war Alles, was „seine Politik“ ihm zu schaffen gestattete. Sein unredlicher Zweck war nur das polnische Contingent, das von 60,000 Man später sogar auf 80,000 Mann erhöht werden mußte. Darum war es auch ganz in der Ordnung, daß seine Kaiserherrlichkeit an dieser Unredlichkeit und Untreue gegen Polen zu Grunde ging; denn ein selbstständiges, mächtiges, Napoleon mit Leib und Seele ergebenes Polen hätte als Operationsbasis dem russischen Feldzuge einen andern Erfolg und der europäischen Geschichte eine andere Wendung gegeben. Wir Deutschen feiern mit Recht seinen Untergang; Polen aber war abermals verloren.

Die zweite Hoffnungsblüthe Polens ging unter dem Strahle der Pariser Julisonne auf. Der Lauf dieser Erhebung ist an unser Aller Augen vorübergegangen, von jener Novembernacht in Warschau 1830, wo Wysocki den Fähnrichen der Kriegsschule zurief: „Polen, die Stunde der Rache hat geschlagen! Wir müssen siegen oder sterben!“ – bis zu dem trüben Octobertage 1831, wo die Trümmer des Polenheeres aus dem Vaterlande flohen und „die letzten Zehn vom vierten Regiment“ als Heimathlose den Boden Preußens betraten. Auch das Strafgericht des russischen Kaisers über das Polenvolk ist noch in Jedermanns Gedächtniß, denn Thaten der unversöhnlichen Gewalt prägen sich ihm unauslöschlich tief ein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_251.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)