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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und Amtsentsetzungen aussprechen. Die Geldstrafen waren zum Unterhalt des Glaubensgerichts und seiner vielen öffentlichen und geheimen Diener bestimmt, die Vermögenseinziehungen vermehrten die Güter der Orden. Den Kindern eines Ketzers Mitleid zu schenken, verbot das Gesetzbuch der Dominikaner. „Theilnahme für die Kinder des Schuldigen, die man an den Bettelstab bringt, darf die Strenge des Gerichts nicht mildern, da die Kinder nach göttlichen und menschlichen Gesetzen für die Sünden der Väter gezüchtigt werden.“ Das geheime Motiv dieses Satzes ist leicht zu begreifen. Wenn man den Familien Mitleid gezeigt und Anstand genommen hätte, sie in’s Elend zu stoßen, so wäre es unmöglich gewesen, sie zu plündern, und man hätte ihnen wenigstens einen Theil ihrer Güter lassen müssen. Wenn man sie nicht plünderte, so verlor das Heilige Gericht seinen Gewinn, wie die Kaufleute zu sagen pflegen; und ließ man ihnen einen Theil ihrer Güter, so schmälerte man die Einkünfte der ehrwürdigen Väter. Bei dem Gedanken an eine solche Schmälerung empörte sich ihr Herz.

Ihr Geschäftsbuch fährt daher fort: „Die rechtgläubigen Kinder der Ketzer sind von dieser Strafe nicht ausgenommen, und man darf ihnen nichts lassen, nicht einmal den Pflichttheil, der ihnen von Natur zu gebühren scheint. Das ist durchaus nothwendig, um die Väter von dem großen Verbrechen der Ketzerei abzuschrecken.“ Das ist der Vorwand; der wahre Zweck besteht darin, das Vermögen der Dominikaner zu vermehren und ihre Casse zu füllen. Die mitleidigen Männer, wie leicht ließen sie sich rühren! „Indessen,“ sagt das Handbuch, „können die Inquisitoren aus Gnade für den Unterhalt der Ketzerkinder sorgen, die Söhne in einem Handwerk unterrichten lasten, und die Töchter bei einer achtbaren Frau derselben Stadt unterbringen. Denjenigen, welche ihre Jugend oder ihre Kränklichkeit unfähig macht, für sich selbst zu sorgen, kann man eine kleine Hülfe leisten.“ Ja, eine kleine und gewiß eine sehr kleine!

Wie dem Vermögen der Kinder, so erging es auch der Mitgift der Frau, ja oft selbst dem Vermögen eines Verstorbenen. „Nach dem Tode eines Ketzers,“ sagt das Handbuch, „kann man seine Güter noch immer einziehen und die Erben derselben berauben, wenn man ihm bei seinen Lebzeiten auch den Proceß nicht gemacht hat. Die Kinder und Erben der Ketzer genießen die Wohlthat der Verjährung in Beziehung auf ihre ererbten Güter erst nach einem Zeitraume von vierzig Jahren und zwar nur unter der Voraussetzung, daß sie während dieser Zeit in gutem Glauben gewesen sind, denn wenn sie inzwischen entdeckt haben, daß der Verstorbene ein Ketzer gewesen ist, so können sich die Inquisitoren auch nach vierzig Jahren der Güter bemächtigen.“

Jeder Ketzer verlor in Folge der bloßen Thatsache der Ketzerei alle Stellen, und es bedurfte nur dann eines Urtheils, wenn Begünstiger der Ketzerei ebenfalls abgesetzt werden mußten. Auch die Kinder der Gottlosen wurden sofort aus ihren Aemtern entfernt und zu allen öffentlichen Anstellungen unfähig erklärt. Die politische und bürgerliche Aechtung erstreckte sich von väterlicher Seite auf das zweite Geschlecht, überschritt aber von mütterlicher Seite das erste nicht. Folglich konnten der Sohn und die Tochter, der Enkel und die Enkelin eines Ketzers keine Pfründe erhalten, kein Amt bekleiden. War es aber die Mutter, die sich vom Satan verführen ließ, so verschonte der Fluch die unschuldigen Häupter ihrer Enkel und Enkelinnen. Auch die Geflüchteten und die rückfälligen Bekehrten, die man trotz ihrer Reue verbrannte, da das Feuer seine Rechte nie verlor, führten den Untergang ihrer Nachkommenschaft herbei. Ein Mann, der unkirchlicher Ansichten überführt oder beargwöhnt wurde, verbreitete mithin Armuth und Hunger um sich und theilte den Seinigen vor seinem Tode einen Peststoff mit. Nichts entging dem Orden, der die Gegenwart an sich riß, der ganzen Familie blos einige Lumpen überlassend, und die Zukunft unfruchtbar machte. Welche Macht erwuchs aber auch dem Orden, welche Gewinne, welche Fischzüge machte er! Stellen, Pfründen, Güter, Schlösser, Hausgeräth, Diamanten und baares Geld, Alles fiel in seine Hand. Es war ein beständiges Einstreichen und Besitzergreifen. Die mörderischen Speculanten sangen jeden Tag ein Tedeum, um Gott für ihren Wohlstand zu danken. Welch’ ein Geschäft wäre zu machen gewesen, wenn man die Heilige Hermandad in eine Actiengesellschaft hätte verwandeln können! Welche Dividenden wären den Capitalisten zugefallen!

Um das Werk der Beraubung und Verfolgung zu krönen, führten die Geschäftsleute in Kutten auf ihre Schlachtopfer noch einen letzten Streich. Jede angebliche Ketzerei hatte den vollständigen Verlust jeder Art von Autorität zur Folge: die Diener und Bauern brauchten ihrem Herrn, die Unterthanen dem König, die Soldaten dem General, die Frau dem Manne, die Kinder dem Vater nicht mehr zu gehorchen. Jeder einem Ketzer geleistete Eid war nichtig, kein Ketzer konnte einen letzten Willen machen oder anvertrautes Gut zurückfordern.

Wie stand es nun mit den Garantien der Gerechtigkeit und Unparteilichkeit, welche die Urtheilssprüche umgaben? Um Jemand in seinem Hause zu verhaften und in die Kerker der Inquisition zu schleppen, bedurfte es eines einzigen Angebers, der seine Aussage insgeheim machte und sie nicht durch Zeugen zu unterstützen brauchte. Sogar an einem öffentlichen Gerücht und an den hingeworfenen Aeußerungen einiger Bummler, daß Der und Jener vom katholischen Dogma abweichen dürfte, hatte man genug. Der Richter ließ die Schwätzer vorladen und verhörte sie. Zu Gunsten des Glaubens, wie das Handbuch sagt, wurde das Zeugniß eines Jeden angenommen, welcher reden wollte oder mußte. In dieser Beziehung ist die in dem düsteren Buche abgedruckte Liste erbaulich. Als zum Zeugniß zuzulassen werden genannt: Excommunicirte, Mitschuldige des Ketzers, Ehrlose und Verbrecher aller Art, Ketzer, Götzendiener und Juden, sogar Meineidige, die in derselben Sache und zum Nachtheil des Angeklagten falsch geschworen haben. „Wenn ein Zeuge,“ sagt der fromme Gesetzgeber, „einen Meineid geleistet hat, so kann er seine erste Aussage zurücknehmen, und der Richter muß sich an die zweite halten, vorausgesetzt, daß sie den Gefangenen belastet, denn wenn sie diesem günstig ist, so gilt die erste.“ Das Gericht kümmerte sich also nicht um die Wahrheit und schenkte der Unschuld keine Beachtung; es suchte blos Schuldige, oder vielmehr Schlachtopfer.

Als Zeugen ließ die Inquisition auch die Frau, die Kinder, die übrigen Verwandten und die Dienstboten des Angeklagten zu. Der Bruder konnte gegen den Bruder aussagen, der Vater den Sohn anklagen, der Sohn den Vater belasten: „denn,“ sagt die Inquisition, „man ist Gott mehr Gehorsam schuldig, als den Eltern, und kann man den Vater als Feind des Vaterlandes tödten, so kann man seine Verbrechen gegen den Höchsten um so mehr enthüllen.“ Auch wurde der Sohn, der die ketzerische Gesinnung seines Vaters verrieth, zur Belohnung für seine Schändlichkeit von den Strafen befreit, welche die Kinder der Schuldigen trafen. „Die Aussagen von Zeugen aus der Familie,“ sagt das Handbuch, „sind sehr nothwendig, weil das Verbrechen der Ketzerei gewöhnlich im Umkreise des Hauses vorkommt.“ Welche Sicherheit blieb bei solchen Gesetzen der Familie! Gleich einem Nachtvogel nistete sich die Unruhe unter den achtbarsten Dächern ein. Herren und Diener, Väter und Söhne fürchteten sich gegenseitig, Brüder betrachteten sich mit Argwohn. Als in Toulouse ein Vater 1312 seinen Sohn angeklagt hatte, bekannte er auf der Folter, daß der Haß ihn fortgerissen habe, einen Unschuldigen zu verleumden.

Eine Gegenüberstellung der Zeugen und der Angeklagten fand nicht statt, denn das wäre zu gerecht gewesen, und nicht einmal die Namen der Ankläger wurden bekannt gemacht. Die Vertheidigung war ein bloßer Schein oder eine freche Verhöhnung. Das Gericht wählte den Sachwalter des Dulders selbst, und dieser war immer ein frömmelnder Diener der Inquisition. „Seine Hauptsorge,“ sagt das Handbuch naiv, „muß darin bestehen, den Angeklagten zu ermahnen, daß er, wenn er schuldig ist, gestehe und um Verzeihung für sein Verbrechen bitte.“ Die Verzeihung war der Tod in den Flammen, der Tod unter großem Schaugepränge. Zwei Zeugen oder Angeber, die zum Abschaum der Menschheit gehören konnten, genügten zu einer Verurtheilung. Das nächste Autodafe zierte ein Schlachtopfer mehr, oder es verfaulte 20 Fuß tief unter der Erde.

Man sieht also, daß die Lebenden wie die Todten durch nichts, weder durch den reinsten Glauben, noch durch die offenbarste Unschuld, vor der Inquisition geschützt wurden. Dieses Ungeheuer konnte zu jeder Zeit Jeden mit seinen Fängen an sich ziehen und zwischen seinen Kinnladen zermalmen. Da der Verfolgte nicht allein fiel, da jedem Urtheile die Einziehung des Vermögens folgte, so verfügte das furchtbare Gericht über das Eigenthum ebenso schrankenlos wie über die Person. Ein Vermögen, welches die Blicke der finsteren Mönche auf sich zog, war eine immerwährende Gefahr. Wie viele Reiche hätten in dem Augenblicke, wo man ihnen den Sanbenito über die Augen zog, mit dem römischen Geächteten ausrufen

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