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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

des Berchtesgadner Ländchens wurde er als Junggeselle von Greisen zum Grabe getragen. Sechs alte Männer in blauen Kitteln hatten den Sarg auf den Schultern, die Silberhaare mit frischen Rosen, den Erstlingen des Jahres, bekränzt. Manche Thräne, manches herzliche Gebet wurde dem Jünglinge zu Theil, dem mitten im vollen Leben und Streben eine unerbittliche Hand Einhalt geboten und ihn sammt seinen Entwürfen und Hoffnungen in deren Heimath und Wiege begraben hatte.

Der Kirchhof war längst wieder stille und menschenleer, nur Evi kniete noch am frisch aufgeworfenen Hügel und schien sich nicht losreißen zu können von dem edlen Freundesherzen, das er deckte.

Nach einer Weile trat ein Mädchen zu ihr hin, faßte sie am Arme und sagte leise: „Komm mit, Evi ... es ist Zeit – es ist kein Mensch mehr auf dem Freithof.“

„Es hat auch kein Mensch mehr Ursache zum Weinen und Beten, als ich,“ erwiderte Evi, ohne sich von den Knieen zu erheben.

„Dasselbe ist leider wahr,“ sagte die Mahnerin. „Wie schlecht hab’ ich’s damals auf dem Scharten-Kaser errathen, wie ich Dich mit Deinen drei Schätzen geneckt und Dir das Schnaderhüpfel vorgesungen hab’ von den heiligen drei Königen …! Der Eine ist todt, der Andre ist auf und davon, der Dritte … ach daß Gott erbarm! Komm’ fort von hier, Evi, und sag’, wohin Du willst?“

„Ich weiß selber nit, Kordel – es ist Alles Eins!“

„Ich hab’ mir’s gedacht und bin deswegen herkommen. Wie wär’s, wenn Du mit mir gingst? Es ist das Beste, wenn Du den Leuten eine Zeit lang aus dem Gesicht kommst. Ich hab’s daheim nit ausgehalten in der Ledermühl’, wie’s aber Frühjahr ’worden ist, da bin ich wieder auf den Steinberg auf meine Alm, und daß ich keine Sorg’ hab’ wegen daheim, hab’ ich mein’ guten alten Vater mit hinauf genommen. Wie wär’s, wenn Du mit mir ginst? Meinem Bauern ist’s recht … droben sind wir allein, Evi, mit unserm lieben Herrgott allein und können unser Leidwesen miteinander klagen und tragen!“

Weinend erhob sich Evi, fiel Kordel um den Hals und verließ mit ihr den Kirchhof. Der Abend brach ein, und der hohe Göll, vom Sonnenuntergang beleuchtet, stand allein Wache bei dem einsamen Künstlergrabe.

Bald hatten die Mädchen das Wirthshaus am Stein und rüstig ausschreitend die Schönau hinter sich; hatten sie doch noch ein gutes Stück Weges zurückzulegen, ehe sie die Ramsau erreichten, um dann des andern Tages die Alm in der Nähe des Scharten-Kasers zu besteigen. An der Ecke, ehe der Weg sich in den finstern Tannenwald thalwärts verliert, machten sie einige Augenblicke Rast. Ueber den langgestreckten Stangenzaun hin dehnte sich die reizende Hügelflur, die der gesunde Sinn des Volkes nicht umsonst mit dem Namen der Schönau bezeichnet hat. Wie friedliche grüne Wellen reihten sich die Höhen und Tiefen wiesengrün und saatgelb aneinander; dazwischen Hütten und Höfe, aus denen der Rauch gastlich über die Giebel und Obstbaum-Wipfel emporstieg; dunkelgrüne Schöpfe von Laubbäumen und schwarze Striche von Nadelholz, wie kräftige Schatten in dem lichtvollen Bilde, das breit hingelagert der Untersberg abschloß mit seinen rothen geheimnißvoll schimmernden Marmorklüften. Darüber hin schwebte der ländliche Gesang ferner fröhlicher Menschenstimmen, die Glocken des Weideviehs bimmelten und klangen, und von Berchtesgaden herauf tönten einzelne Schläge verwehten Abendgeläuts.

„Sei wohlgetröst,“ sagte Kordel, die auf dem Zaune Platz genommen hatte, zu ihrer Gefährtin, die ihr zu Füßen auf einem alten Baumstumpf saß und traurig in die verschwimmende Abendglorie hinaussah. „Nimm Dir ein Beispiel an mir, ich hab’ auch Alles schon verloren gegeben, und es ist mir doch noch besser gegangen, als ich gedacht hab’. – Der Quasi ist selbiges Mal mit verdächtig gewesen und eingesperrt worden, da hat er sich auf mich berufen, er könnt nit dabei gewesen sein, er sei in derselben Nacht und um dieselbe Zeit in meiner Kammer gewesen. Seine Cameraden haben es auch überall ausgesprengt, und Du kannst Dir einbilden, was es für mich gewesen ist, wie ich hinein gemüßt hab’ in’s Landgericht, zu der Verhör … ich hab’ aber Alles gesagt, wie’s die lautere Wahrheit ist, zuletzt haben sie’s doch geglaubt, und das Gered’ davon ist auch unter die Leut’ kommen. Dem Quasi ist nichts geschehen, aber ich bin doch los von ihm, denn der Landrichter hat ihm gesagt, ich sei ein ordentliches Mädel und wenn er mich nicht in Ruh lasse, hab’ er es mit ihm zu thun. Seitdem hat er keinen Fuß mehr in die Ledermühl’ gesetzt, und ist fort und vagirt draußen im Land herum, als Hafenbinder, wie ich gehört hab’, und soll immerfort betrunken sein von Branntwein. Nur manchmal kommt er in die Ramsau herein und stellt sich mir unverhofft in den Weg und erschreckt mich aber er ’traut sich nit, mich anzureden. So kann’s bei Dir auch gehn und so wird’s gehn – sie werden auch dahinter kommen, daß Du nit dieselbige bist, die sie in Lenggries suchen …“

„Mir ist’s nit so gut ’worden,“ entgegnete Evi, „mir haben sie nit so leicht geglaubt; der Schreiber hat mich angefahren, das könnt’ eine Jede sagen, und das Leugnen wär’ was Gewöhnlichs bei den – bei denen, wie ich eine wär! Mit Müh’ und Noth hab’ ich’s erbettelt, daß sie mich nit gleich mit Gewalt hinausgeführt haben nach Lenggries … Du weißt schon, wie … die schrecklichen Wörter bring’ ich nit über die Zung’. – Sie haben zuerst hinausgeschrieben und haben meine Angab’ nach Tölz hinaus geschickt, aber es ist keine Antwort zurück ’kommen, und wenn sie da ist, liegt sie am Landgericht und kein Mensch erfahrt’s und ich bring’s meiner Lebtag nimmer an, daß ich …“

„Du mußt es haben, armer Narr, Du hast Dir’s ja selber angethan. Aber es kommt schon noch auf, warum Du’s gethan hast, und wenn der Bühelbauer auch noch so viel herumgeschrieen hat, und hat den Leuten erzählt, warum er Dich Knall und Fall fortgejagt hat … die Leut’ meinen doch in der Still’, es könnt wohl ein bissel anders gewesen sein. Das kommt mir vor, als wenn Du was verlieren thätst in der Ramsau, und der Winter kommt und der Schnee liegt haustief, daß man meint, er wollt’ nie wieder weggehn … es wär’ umsonst, wenn Du Dich plagen wolltest mit Graben und Schaufeln im Schnee und wolltest das Verlorene suchen, aber wenn der Auferstehungstag vorbei ist, da geht er von selbst und schmilzt und verschwind’t, als wenn er nie dagewesen wär’, und was verloren gewesen ist, das liegt offen und frei da im Gras und zwischen den Blümeln …“

(Fortsetzung folgt.)




Deutschlands Herrlichkeit in seinen Baudenkmälern.

Nr. 1. Der Limburger Dom.

Wenn uns die Kunst im Allgemeinen das treue Abbild des gesammten äußeren und inneren Lebens eines Volkes und einer Zeit gewährt, so gilt dies ganz besonders von der Baukunst. In seinen Bauwerken legt ein Volk ein in steinerner Sprache geschriebenes Zeugniß ab von sich und seinen Bestrebungen, von dem was es geahnt und gewollt, gedacht und gekonnt. So erzählen uns noch nach Jahrtausenden Griechenlands Tempel von der Griechen Herrlichkeit, Römerbauten von der Römer Stärke, und so erzählen uns heute noch auf deutschem Boden deutsche Bauten von deutscher Macht und deutscher Größe. Ein solches Denkmal deutscher Macht und Größe aber ist der Dom zu Limburg an der Lahn.

Deutschland stand unter der glänzenden Herrschaft der Hohenstaufen auf dem Höhepunkte seiner Macht, und zur selben Zeit bildete sich hier eine Bauweise aus, die eine durchaus nationale, deutsche genannt werden muß. Die Geschichte giebt ihr den Namen der romanischen, im Anschlusse an die Bezeichnung, welche für solche Sprachen, die aus der Verschmelzung römischer und germanischer Elemente zu jener Zeit entstanden sind, gebräuchlich ist. Der germanische Volksgeist ist es, der auf Grund altrömischer Tradition neugestaltend sich bethätigt. Dem deutschen Volke aber war es vorbehalten, den neuen Baustyl in technischer und ästhetischer Beziehung zu einer Vollkommenheit zu erheben, die die gleichzeitigen Bestrebungen anderer Völker germanischen Ursprungs weit hinter sich zurückläßt. Hat aber die Geschichtsforschung den schönen Irrthum, als sei die gothische Baukunst eine Erfindung des deutschen

Volles, unwiderruflich zerstört und ist es noch lange nicht entschieden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_244.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)