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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

brannten einige Talgkerzen vor schimmernden Blechschilden und reichten eben nothdürftig hin, um den Knäuel der Tanzenden und die kleine vergitterte Erhöhung zu erhellen, auf welcher die Musikanten sich abarbeiteten im Schweiße ihres Angesichts. Die Burschen und Mädchen machten auf Reinthaler’s Ruf dem ankommenden Paare Platz, aber es schien nicht gern zu geschehen; befremdliche Blicke fielen auf dasselbe. Alles steckte die Köpfe zusammen und zischelte. Einem Andern wäre der Zutritt kaum gestattet worden, aber der Maler, der schon seit einigen Jahren in die Gegend kam, war allgemein bekannt; denn damals war ein Maler dort noch etwas Seltenes. Ueberdies war er allgemein beliebt, und das auf Städter doppelt aufmerksame und mit dem Spotte wie der ernsten Rüge gleich bereitwillige Volk wußte nicht das Mindeste davon zu erzählen, daß er in irgend einer Weise Anstoß oder Verdacht erregt habe. Er erfuhr daher keinen Widerspruch, als er den Musikanten ein Geldstück hinwarf und rief: „Laßt mir den Extra-Tanz, Ihr Buben! den nächsten laß’ ich Euch aufspielen! Und schaut mir meine Tänzerin freundlicher an – sie ist ein braves Mädchen, das sag’ ich Euch, und Ihr werdet’s auch noch erfahren!“

Der Tanz begann, die Bauern sahen ruhig zu, wenn sie auch ihre eigenen schmähsüchtigen Gedanken nicht so schnell loswerden konnten. Hinter ihnen aber stand Gaberl und betrachtete das Paar mit zornfunkelnden Blicken; er hatte Evi vermißt, gesucht und dann mit dem verhaßten Maler im vertraulichen Gespräche hinter dem Hause erblickt. Unbemerkt war er ihnen auf der Stiege nachgeschlichen und brütete darüber, wie er seine eifersüchtige Wuth an ihnen auslassen könne. Im Vordrängen kam er mit einem Burschen in etwas unsanfte Berührung; es war derselbe, mit dem er kurz zuvor unter den Bäumen den kleinen Wortwechsel gehabt hatte. „Was will der Grünling da?“ rief der Bursche. „Was hat der unter uns zu thun?“ Das Wort wirke wie der Funke auf lange vorbereiteten dürren Zunder, es hallte von dreißig Kehlen wieder, und im Augenblicke waren die Bursche um den Jäger herum in einander gedrängt und verwickelt, daß er sich nicht zu rühren und zu regen vermochte. „Auseinander, Ihr Kerle!“ rief er. „Oder ich mache mir Luft und steche ein Paar über den Haufen!“ – „Was willst, grüner Lump?“ tobte es ihm entgegen. „Laß Dein Käsmesser stecken und scher’ Dich zum Teufel, wo Du hingehörst!“ – „Nein,“ schrie ein Anderer, „er soll uns zuerst sagen, wo wir hingehören, weil er sich doch unter uns mischt! Er soll sich jetzt die Zeit nehmen und soll uns sagen, wo wir hingehören!“ – „Ja, das soll er, das muß er!“ schrie der Haufen, während einige Aeltere und Besonnenere bemüht waren, die Streitenden zu trennen und den Jäger von den würgenden Händen der Gegner zu befreien. Der Knäuel wälzte sich der Treppe zu, als einer der Rauflustigen mit ein paar Schlägen die Kerzen von den Leuchtern schlug und völliges Dunkel über das Gewirre hereinbrach. Sie war das Zeichen zum allgemeinen zweck- und sinnlosen Kampf. Man sah nur eine ringende Menge, hörte nur das Krachen der abgetretenen Stuhlbeine, das Schmettern der an die Wand fliegenden Krüge, das dumpfe Klatschen schwerer Hiebe und das verworrene Durcheinanderrufen von wuthentbrannten Stimmen.

Reinthaler und Evi waren beim Beginn des Gedränges in eine Beugung des Stiegengeländers getreten, welches einen freien Raum bildete, aus dem eine Thür in ein Gastzimmer führte. „Um Gotteswillen,“ rief der Maler, als sich die dunkle Menge gegen sie heranwälzte, „das wird gefährlich! Sie bringen den Jäger um, wenn man ihn nicht wegbringen kann … Mach’ die Thüre hinter uns auf, Evi … ich reiße ihn heraus und stoße ihn da hinein ...“ Vergebens wollte sie ihn zurückhalten; im entscheidenden Augenblicke war der muthige Mann bereits hinzugesprungen und hatte den Jäger blitzschnell herausgerissen, denn von dieser Seite hatte Niemand Angriff oder Hülfe erwartet. Er drängte ihn in die geöffnete Thüre, nicht ohne Widerstand, weil dieser glaubte oder sich wenigstens so anstellte, als sei es einer seiner Feinde, der ihn umschlungen halte. Er hatte den Hirschfänger gezogen; bei dem schwachen Scheine des Lichtes, mit welchem die schreiende Wirthin von unten herbei kam, sah man das Eisen blinken – ein schwacher Schrei ertönte, und die Thüre flog hinter dem entronnenen Jäger in’s Schloß ...

Das Licht kam herbei und löste augenblicklich die Verwirrung; die Wuth der Kämpfenden war wie mit einem Schlage entflogen und machte dem Jammer und der Trauer Platz. Zwischen Stiegengeländer und Thüre lag der Maler bewußtlos und ein breiter Blutstrom quoll unter seinen Kleidern hervor auf den Boden. Die Bursche brachen bei dem erschütternden Anblick in ein Wehegeschrei aus. „Der gute freundliche Herr!“ riefen sie durcheinander. „Unser Maler, der kein Kind beleidigt hat! Das hat kein anderer Mensch gethan, als der vermaledeite Jäger – wir haben unsere Fäuste und unsere Stecken und höchstens einen ehrlichen Schlagring! Lauft’s ihm nach! Fangt’s den Spitzbuben, den Mörder!“

Im Augenblick eilten Einige die Stiege hinab und umliefen das Haus, Andere drangen in das Zimmer, in das Gaberl sich geflüchtet hatte; sie trafen nichts, als das geöffnete Fenster, durch das er mit keckem Satze entsprungen war.

Der ohnmächtige war indessen in das Zimmer auf’s Bett gebracht worden. „Lauft hinein in den Markt!“ schrie die Wirthin. „Holt den Doctor und das Landgericht und den Herrn Cooperator – der arme Narr stirbt uns unter den Händen! – Muß mir das in meinem Hause passiren! Und Du,“ fuhr sie Eva an, die Reinthaler mit hereingetragen hatte und nun zu Füßen des Bettes stand, den Verwundeten mit erschrockenen thränenlosen Augen anstarrend, „Du machst, daß Du mir je eher je lieber aus dem Haus kommst! Ich hab’s schon von den andern Mägden gehört, daß Du mit dem Maler schön gethan hast und mit dem Jäger! Du willst allen Mannsleuten den Kopf verdrehn – Du bringst überall den Unfrieden hin und Mord und Todschlag!“

Evi erwiderte nichts; sie blieb in der Nähe des Kranken, bis der Arzt kam, und ging mit der Hülfe an die Hand, die sie leisten konnte. Die Untersuchung der Wunde, die den Unterleib getroffen hatte, brachte Reinthaler zum Bewußtsein zurück. Er verbiß den Schmerz, überblickte die Umstehenden und errieth schnell den Zusammenhang der Ereignisse. „Sagen Sie nur offen, wenn es Gefahr hat,“ sagte er zu dem Arzte, „ich möchte mich vom Tode nicht überraschen lassen ...“

„Sie scheinen eine unverdorbene Natur zu haben und gesunde Säfte,“ erwiderte dieser achselzuckend, „die haben schon oft Wunder gewirkt!“

„Auf ein Wunder wollen wir nicht warten,“ sagte Reinthaler mit schwachem Lächeln. „Ich weiß genug … mein großes Bild bleibt unvollendet! Was ist es doch um unsere Hoffnungen und Entwürfe! Sie zerbröckeln und zerfließen wie Ufersand am Wasser! Meine Pläne sind hinter mir … die Sonne meines eigenen Tages neigt sich zum raschen Untergang, und nur die eine Hoffnung wird wahr, – ich werde begraben sein zwischen meinen geliebten Bergen!“

„Sie müssen ruhig sein, Herr,“ unterbrach ihn der Arzt. „solche traurige Gedanken verschlimmern Ihren Zustand.“

„Ich bin nicht traurig,“ sagte er, „ich bin nur ernst, wie es bei der großen Reise ziemt, die ich so plötzlich antreten muß.“

Der Landrichter erschien, um die Aussage des Sterbenden aufzunehmen. Er hatte nur wenig anzugeben, und der Beamte schien damit nicht zufrieden zu sein. „Und dabei bleiben Sie stehen, mein Herr?“ sagte er mit vollster Amtsmiene. „Wollen Sie diese Angabe mit hinübernehmen in die Ewigkeit?“

„Ich bleibe dabei und will es verantworten,“ sagte er. „Es war nicht böse Absicht, es war ein unglücklicher Zufall. Der Jäger hatte den Hirschfänger zu seiner nothwendigen Vertheidigung gezogen –ich riß ihn hinaus und bin in dem Gedränge selbst in die bloße Klinge gerannt ...“

Er unterzeichnete das Protokoll mit erlöschender Kraft; der Beamte schüttelte ihm ernst und schweigend die Hand und ging. In der Thüre erschien der Kaplan mit den Sterbesacramenten, der klingelnde Meßner ihm zur Seite.

„Leben Sie wohl,“ sagte Reinthaler – „Du auch, Evi ... verlaß mich jetzt … ich hab’ es gut mit Dir im Sinne gehabt ... ich habe nur noch kurze Zeit vor mir – die gehört dem höchsten Herrn ...“

Weinend gingen Alle; fast eine Stunde war der Geistliche allein bei dem Leidenden. Als er die Thüre wieder öffnete, war der Maler verschieden. Das Auge, das so treu und liebevoll an Gottes schöner Natur gehangen, war gebrochen, um sich jenseits für die eine ewige Schönheit zu öffnen. ...

Von dem Jäger war nirgends eine Spur zu finden; als man in Evi’s Kammer nachsah, hatte sie ihre Habseligkeiten zusammengepackt und war verschwunden.

Einige Tage später wurde Reinthaler begraben; die ganze Bevölkerung war leidtragend herbeigeströmt; nach der sinnigen Sitte

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