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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


irrte ihn nicht, und die Abneigung, die man ihm erwies, gab er reichlich zurück; er wandte ihnen hinwieder den Rücken zu und sah sie mit Blicken der Geringschätzung an, die denen ihres Hasses ebenbürtig waren.

„Guten Abend,“ rief ihn einer der Burschen mit spöttischem Seitenblicke an, „es ist recht schad, daß Ihr so spät kommt – vor einer halben Viertelstund’ hätt’s noch Platz genug gegeben, da bei uns!“

„Ich will keinen Platz bei Euch!“ erwiderte Gaberl giftig. „Der Platz, wo Ihr Alle von Rechtswegen hingehört, ist ganz anderswo!“

„Und wo denn nachher?“ rief es grollend entgegen.

„Das sag’ ich Euch, wenn ich einmal besser Zeit habe,“ war die Antwort; „jetzt mag ich nur mit ordentlichen Leuten zu thun haben!“ Damit schritt er dem Ende der Sitzplätze zu, wo unweit der Straße ein kleines Tischchen angebracht war, mehr um den Ueberblick der Gegend zu geben, als um zum Zechtisch zu dienen. Die Bauern sahen ihm grimmig nach und steckten flüsternd die Köpfe zusammen; das Unwetter stand ausgebildet im Luftkreise, aber noch grollte es von ferne und harrte des Augenblicks, sich entladen zu dürfen.

„Mit Verlaub,“ sagte der Jäger zu dem dort allein sitzenden und städtisch gekleideten Gaste. „Da giebt’s wohl noch ein Plätzchen für mich! – Was seh’ ich!“ rief er dann, als der Fremde sich ihm zuwendete und leicht bei Seite rückte. „Der Herr Reinthaler! Sind Sie auch wieder da! Habe Sie ja seit vorigem Herbst nicht mehr gesehen – wissen Sie, seit dem fidelen Abend, wo wir damals im Scharten-Kaser zusammengetroffen sind! Da sieht man’s – Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber die Leut’!“

„Ich bin gestern angekommen,“ sagte der Maler, „und will den Sommer in der Schönau zubringen! Die Gegend ist unerschöpflich an Schönheit aller Art!“

„Das wohl,“ entgegnete achselzuckend der Jäger, „die Gegend wär’ schon recht – aber die Leut’, die Leut’, die sind einmal zu schlecht! Wenn ich die Gegend anschaue, kommt mich das Fortgehn auch schwer an, wenn ich aber an die Leute darinnen denke, geh’ ich lieber heut’ als morgen!“

„So wollt Ihr fort?“

„Allerdings. Ich habe heut’ beim Forstmeister in Berchtesgaden meine Abschieds-Aufwartung gemacht, drum bin in solcher Gala. Ich bin hinaus versetzt worden in die Ebene, bin selber Forstwart geworden … es hätte auch nicht mehr gut gethan, mit mir und dem Bauernvolk!“

„Ich glaube das,“ erwiderte der Maler. „Ihr habt es etwas gar scharf angepackt, und wie ich Euch schon bei unerem letzten Zusammentreffen gewarnt habe. … Allzu scharf macht schartig!“

Der Jäger hob eben den frisch gefüllten Maßkrug und blies den Schaum davon hinweg, schielte aber dabei spöttisch nach dem Maler hinüber. „Ja so,“ sagte er, nachdem er getrunken, „das hätt’ ich beinahe vergessen! Sie sind ja auch ein Wilddiebs-Advocat, Einer von denen, die’s den Spitzbuben recht bequem machen wollen und sie mit Pelzhandschuhen anfassen möchten! Sind Sie denn noch der alten Meinung? Ich hab’ wohl Unrecht gethan, daß ich den Kerl hineingebracht habe? Ich hätte wohl fein still halten und mich von ihm abstechen lassen sollen?“

„Ich versteh’ Euch nicht. Ich bin, wie gesagt, gestern angekommen und weiß nicht, was geschehen. Von wem redet Ihr?“

„Von wem sonst, als von dem übermüthigen, fürwitzigen Burschen, mit dem ich schon voriges Jahr im Scharten-Kaser aneinander gerathen bin! Sie waren ja dabei und haben mich zurückgehalten! Ich habs damals schon gewußt, daß er mir noch einmal eingeht – und es ist auch so eingetroffen schon am andern Tag. Mich wundert, wenn in der Stadt nichts von der Geschichte erzählt worden ist – aber wenn Sie’s nit wissen, kann ich’s Ihnen wohl sagen …“

Er erzählte und blies dabei mit sichtbarem Wohlbehagen die Tabakwolken aus seiner Ulmerpfeife vor sich hin. „Er hat freilich geleugnet bis auf den letzten Augenblick,“ schloß er dann, „aber es hat ihm nichts geholfen – die Ueberweisung war allzu stark. Die Schwärzer hatten auf ihn ausgesagt, daß er in der Nähe gewesen, als Wilddieb war er auch bekannt und als ein abgesagter Feind von mir, so hat man nicht viel Federlesen mit ihm gemacht. Es war sein Glück, daß der Stich nicht tiefer gegangen war und daß ich mit acht, neun Wochen Betthüten davon gekommen bin, sonst wär’s ihm an den Kragen gegangen. So ist das Messer abgeglitscht, und er ist davon gekommen mit Zuchthaus auf unbestimmte Zeit!“

„Armer Bursche!“ seufzte Reinthaler. „Das ist ein schlimmer Boden für die an frische freie Luft gewöhnte Bergpflanze! Aber der Fall beweist wieder, wie sehr ich Recht habe … die Furcht vor großer Strafe hat den Burschen in eine noch größere hineingejagt! Armer Bursche,“ wiederholte er und setzte noch betrübter hinzu: „Und armes Mädchen!“ Vor seiner Seele stand das volle Bild des fröhlichen Almerlebens im Scharten-Kaser, und die damals aufgegangene Vermuthung warf ihr Streiflicht darüber. „Wo ist das Mädchen hingekommen?“ fragte er dann.

„Sie meinen wohl die Evi, die Sennerin?“ entgegnete der Jäger mit lauerndem Blick. „Die ist von ihrem Bauern mit Schand’ und Spott fortgejagt worden – sie hat sich auch schlecht ausgeführt … Man redt nicht gern davon!“

„Unbegreiflich!“ sagte Reinthaler mißtrauisch. „Sollte ich mich in diesem Mädchen so sehr betrogen haben? Und wo ist sie jetzt?“

Der lauernde Blick des Jägers wurde noch schärfer. „Stellen Sie sich nicht an, als wenn Sie’s nicht wüßten …“

„Wie sollt’ ich! Muß ich Euch nochmal sagen, daß ich erst gestern angekommen bin?“

„So schauen Sie dorthin!“ sagte Gaberl leise und deutete mit dem Finger unmerklich in das Gedränge. Der Maler verfolgte mit den Augen die eingeschlagene Richtung, und über seine Züge glitt ein flüchtiges Roth, das dem spähenden Jäger nicht entging. „Steht es so?“ brummte er in sich und seinen Krug hinein. „Ist es mir doch schon im Kaser verdächtig vorgekommen – aber weil ich die Fährte einmal habe, will ich sie so wenig wieder verlieren, als mein Schweißhund!“

„Das Mädchen ist noch schöner geworden!“ rief Reinthaler, der inzwischen Evi nicht aus den Augen verloren hatte, wie sie, sich durch das Gedränge windend, dem Schenkmädchen einen Arm voll Krüge nachtrug. „Und wie der grüne Lenggrieser-Hut sie kleidet! Ich brauche eine solche Figur in eins meiner Bilder – ich muß sie begrüßen und anreden, daß sie mir dazu sitzt!“ Er erhob sich rasch und wollte fort, hielt aber flüchtig inne, um noch dem Jäger zuzurufen: „Wir treffen uns wohl wieder?“

„Gewiß,“ erwiderte Gaberl tückisch, „und das vielleicht recht bald!“

Er sah Reinthaler nach, dann stützte er die Ellbogen auf den Tisch und den Kopf darein und sah unbeweglich vor sich hin – dunkle Pläne und Vorsätze jagten durch sein Gemüth wie Wetterwolken durch einen rauhen sonnenlosen Tag. Er bemerke darüber nicht, wie es dämmerte und wie allgemach die meisten Gäste sich verloren, entweder die verschiedenen Wege in ihre Heimat antretend oder sich dem Hause zuwendend, in welchem der Polsterl-Tanz oder der Kaminkehrer getanzt wurde, einer der landesüblichen Scherze, wie sie bei keiner Nachkirchweih fehlen durften.

(Fortsetzung folgt.)


Auch ein Oberpräsident.
1.

Wer vor etwa 30 bis 40 Jahren durch die Berge, Thäler und Ebenen Westphalens reiste, erinnert sich wohl, einer merkwürdigen Persönlichkeit begegnet zu sein. Es war ein alter, kleiner Mann im blauen Leinwandkittel, wie ihn der gewöhnliche Westphale trägt, eine blaue preußische Dienstmütze, mit rotem Streif und schwarz-weißer Cokarde, bedeckte das graue, dichthaarige Haupt. Bekleidet war er gewöhnlich mit hellen Beinkleidern oder landesüblichen Gamaschen; den Stock in der Hand, die qualmende kurze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_228.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2020)