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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ramsauerin bin, sondern nur ein hergelaufenes Weibsbild, so bin ich doch aus dem Lenggries daheim und viel zu stolz, als daß ich mich in ein Haus einbetteln möcht’, wo man mich nit haben will! Und wenn mir das Herz brechen thät’, lieber will ich meiner Lebtag als Dienstbot ’rumfahren mit meinem Wanderbündel, als so heirathen! Ich nehm’ Keinen, Bühelbauer, wenn nicht der Schwiegervater zu mir kommt und mich bitt’, daß ich seinen Sohn nehmen soll! Ja,“ fuhr sie gereizt fort, als der Bauer in spöttisches Lachen ausbrach, „so wie ich jetzt vor Dir steh’, mit aufgehobenen Händen muß er kommen und mich bitten!“

„Da kannst lang’ warten.“ rief der Bauer und lachte noch höhnischer und lauter.

„Das ist meine Sach’ und mein Ernst ist es auch!“ entgegnete Evi rasch. „Also sind wir fertig mit einander, glaub’ ich, und wenn Du mich vor einer Stunde noch so gelobt hast, ist meines Bleibens doch nimmer auf dem Bühelhof und in der Ramsau … also zahl’ mich aus, Bauer, und laß mich in Gottes Nam’ um ein Haus weiter geh’n mit mein’ Wanderbündel!“

„Vater, thu’s nit“ rief Mentel heftig. „Laß’ sie nit geh’n – ich kann die Evi nit lassen, und wenn sie fort muß, lauf’ ich auch auf und davon!“

„So lauf’ zu, Unnutz!“ zürnte der Bauer. „Lauf’ ihr nach, wenn sie Dir mehr ist als Vater und Mutter und Haus und Hof! Hinaus kannst jede Stund’ – ich werd’ Dich nit aufhalten – aber herein kommst Du mir nimmer, so lang ich ein offenes Aug’ hab’! Ich brauch’ Dich nit, Mentel – lauf zu und probir’s, ob Du’s zuwegen bringst ohne mich!“

„Thu’s nit, Mentel,“ sagte Evi und bot ihm die Hand, indem sie ihn mit einem Blicke ansah, wie ihm aus diesen schönen blauen Augen noch keiner begegnet war. „Denk’ an’s vierte Gebot und sei gescheidt! Du wirst es schon verwinden, Mentel – glaub’ mir’s, Du wirst ein viel besseres und schöneres Weib finden. …“

„Und Du, Evi, Du? Du wolltest wirklich fort? Was willst Du anfangen?“

„– Ich will ein ehrlicher Dienstbot’ bleiben und Gott vor Augen haben wie bisher … Was liegt an einem solchen hergelaufenen Weibsbild, wie ich bin!“

Ihre Stimme brach in mühsam zurückgehaltenem Schluchzen; der alte Bauer aber trat fest vor sie hin. Er hielt das landgerichtliche Schreiben in der Hand, das er, wie von einem plötzlichen Einfall überrascht, während der letzten Reden des Paares ergriffen und durchflogen hatte. „Und hab’ ich Dir Unrecht gethan?“ rief er streng. „Bist Du etwan nit, was ich Dich geheißen hab’? Hast Du nit selbst gesagt, Du bist aus dem Lenggries, und heiß’st Du nit Evi?“

„Eva Klostermairin,“ sagte sie ruhig, „das ist mein’ Nam’!“

„Und ein Jahr ungefähr bist bei uns herinnen in der Ramsau – nit wahr? Dann ist es schon richtig … dann will ich Dich nit aufhalten, Mentel,“ fuhr er, gegen diesen gewendet, mit verächtlichem Hohne fort, „dann geh’ nur – kannst Deine saubere Braut gleich hinein begleiten nach Bertelsgaden in’s Landgericht …“

„Vater …“ stammelte der Bursch, und auch Evi blickte entsetzt nach dem Bauer.

„Da in dem Schreiben steht’s,“ sagte dieser. „Es ist ein Befehl vom Landgericht an den Gemeindevorsteher – ich soll ein liederliches Weibsbild aufsuchen, aus dem Lenggries, das vor ungefähr einem Jahr in ihrer Heimath davon gelaufen ist und der Gemeinde ihr Kind auf der Schüssel gelassen hat. … Ich mein’ ich brauch’ mich nit viel anzustrengen mit dem Suchen … das Weibsbild heißt auch Eva Klostermairin. …“

„Mein Bas’l,“ flüsterte Evi in sich hinein, erschrocken und so leise, daß nur sie selber es vernahm.

Mentel hatte es getroffen, wie ein Blitz; mit brechenden Knieen schwankte er dem Tische zu. „Vater,“ rief er, „Du siehst ja, daß das nit sein kann! Das muß eine Irrung sein … solche Namen giebt’s mehr …“

„An einem und demselben Ort? – Aber meinetwegen, sie soll selber reden … Wann sie’s nit ist, die das Landgericht sucht, wird sie sich wohl ausweisen können!“

Evi schwieg und ließ ihren Blick finster und wie vorwurfsvoll von dem einen der Anwesenden zum andern gleiten. Zwischen ihr und Mentel hatte sich eine Kluft geöffnet, die unausfüllbar war, über welche keine Möglichkeit hinüberzutragen vermochte – wie eine Erleuchtung durchzuckte sie der Gedanke, Mentel die unvermeidliche Trennung weniger schmerzlich zu machen, wenn sie diesen Irrthum benützte und seiner unwürdig erschiene … dann war er geborgen für immer, war wieder ausgesöhnt mit Vater und Mutter …

„Red, Evi,“ sagte Mentel vor Aufregung fast keuchend, „mach’ Dich und mich nit unglücklich und red’! Nit meinetwegen, Evi – ich kenn’ Dich ja und leg’ die Hand für Dich in’s Feuer … aber red’, damit die zu Schanden werden, die so was von Dir glauben können! … Bist Du …“

„– Ich bin die Eva Klostermairin …“ sagte sie mit absichtlichem Doppelsinn. Wie besinnungslos taumelte Mentel von ihr hinweg; der Bauer hatte sich an seinen Tisch gesetzt, die Bäuerin hielt das Gesicht mit der Schürze verhüllt; eine schwere lastende Stille trat ein, wie nach einem zerschmetternden Gewitterstreiche Alles angstvoll lauscht und davor zurückbebt, den ganzen Umfang der Zerstörung zu überschauen.

„… Zahl’ sie aus, Bäuerin,“ sagte nach einiger Zeit der Alte, ohne sich umzublicken. „Sie soll fort geh’n in der Still’ – ich will nichts davon wissen, wer sie ist – aus meinem Haus soll sie nit auf’s Landgericht geliefert werden – dem, was ihr gehört, lauft sie doch nicht davon!“

Mentel lag mit Gesicht und Armen unbeweglich über den Tisch gebeugt; nebenan zählte die Frau Evi in klingenden Stücken den Liedlohn vor. „Ich bedank’ mich für Dein’ Dienst, Bühelbäuerin, und für alles Gute, was Du mir gethan hast …“ sagte sie mit schmerzgepreßter Stimme und haschte nach ihrer Hand, um einen Kuß darauf zu drücken. Die Frau zog hastig die Hand zurück und sagte halblaut und abgewendet. „Behüte Dich Gott – mach’ nur, daß Du bald heim kommst zu Deinem verlassenen Kindel …“

Evi eilte schluchzend der Thüre zu; Mentel machte eine Bewegung, als wolle er aufspringen und sie zurückhalten, sank aber im nächsten Augenblick in seine vorige Stellung zurück.

Die Thüre ging auf – und in ihr stand der Gensd’armerie-Brigadier.

„Da haben wir’s,“ sagte der Bauer, ihn erblickend, und flüsterte Evi, die zurückgetreten war, wie entschuldigend zu: „Das ist nit meine Schuld, so hab’ ich’s nit gewollt, daß sie Dich vom Bühelhof wegführen sollen. … Was verschafft uns die Ehr’, Herr Brigadier?“ sagte er dann, während dieser das Zimmer und die Anwesenden überblickte und mit seinem Eintritte zögerte.

„Es thut mir leid,“ erwiderte der Brigadier, „sehr leid, daß ich es sagen muß – aber ich such’ einen Arrestanten!“

„In Gottes Namen!“ sagte der Bauer. „Wenn’s nit anders sein kann, muß man sich d’rein geben!“ Die Bäuerin aber weinte und jammerte über die Schande, die dem Bühelhof widerfuhr.

„Nun,“ sagte der Gensd’arm etwas verwundert, „wenn Ihr es schon wißt …“

„Wir wissen Alles …“

„Dann bin ich um so mehr charmirt, daß Ihr so gefaßt und so resolut seid! Ihr habt auch Recht – vielleicht geht’s besser aus, als man denkt! – Also voran, Mentel – ich hab’ keine Zeit zu verlieren!“

„Was wollt Ihr mit meinem Sohn?“ rief der Bauer, während Mentel betroffen aufsprang. „Dort steht der Arrestant!“

„Die da?“ sagte der Brigadier, das Mädchen musternd. „Hab’ noch keinen Befehl dazu – jetzt bin ich wegen dem Mentel da!“

„Wegen meinem Sohn? Und warum?“

„Habt Ihr nit gesagt, Ihr wißt Alles schon? – Er hat den Jäger-Gaberl gestochen heut Nacht – der liegt draußen am Kniebis auf Leben und Sterben!“

Wie eine Maschine, deren Räderwerk plötzlich abgerissen, klappte der Alte in seinen Stuhl zusammen; die Mutter stand zuckend und noch bleicher als sonst – Mentel fuhr sich wie rasend über Haar und Stirn. „Vater – Mutter,“ schrie er außer sich, „laßt Euch nit erschrecken! Es ist nit wahr – es muß eine Irrung sein – ich bin unschuldig!“

„Das wird sich wohl zeigen,“ entgegnete kaltblütig der Brigadier. „Der Gaberl ist schon verhört worden, weil er wahrscheinlich den Abend nicht mehr erlebt – er hat auf seinen Eid ausgesagt, daß Du ihm heut Nacht begegnet bist in der Wimbach-Klamm und hast ihm den Stich versetzt!“

„Also doch?“ rief der Bauer, der sich wieder zu sammeln begann

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