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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

verloren hat – dann fressen sie es ebenfalls. Es war eine gefleckte Hyäne gewesen, die in dieser Gegend ausschließlich vorzukommen scheint; alle wenigstens, die unsere Gesellschaft gesehen oder erlegt hatte, gehörten dieser Gattung an. Am nächsten Morgen kamen aber schon die Aasgeier in Schwärmen herbei, und gleich nach Sonnenaufgang, als sie nur die erste Scheu überwunden hatten, fielen sie darüber her, ihr ekles Mahl zu halten.

Ueber die Farbe der verschiedenen Augen der Thiere bei Feuerlicht möchte ich nur noch ein paar Worte erwähnen. Am schärfsten leuchten natürlich und glühen mit rothem Licht die Augen sämmtlicher Raubthiere, vorzüglich der Katzenarten. Die Lichter der Hyäne strahlten ebenfalls groß und roth, aber schienen nicht so concentrirt. Das Rothwild hat einen prächtigen rothen Feuerschein, aber ebenso Pferd und Hund, und wo diese frei draußen herumlaufen, muß man sich in Acht nehmen, sie für ein Wild zu halten. In Nordamerika hat schon mancher Farmer Nachts aus Versehen sein eigenes Füllen erschossen, das er für einen Hirsch hielt. Die Augen des Rindviehs dagegen leuchten mit einem sehr matten, grünlichen Licht, das man nur auf geringe Entfernung sieht. Ebenso ist es mit dem Hasen der Fall. Der Alligator hat Augen, die wie rothglühende Kohlen leuchten, Wiesel und Marder wie helle Johanniskäfer.



Blätter und Blüthen.

Karl und Franz Moor. In einem Spätsommer der fünfziger Jahre machte ich mit zwei Commilitonen von Tübingen aus eine Fußreise durch Tyrol. Es war einige Stunden nordwestlich von Meran, zwischen diesem tyrolischen Paradies und der Ortelesspitze, als wir nach mehrstündigem angreifendem Marsche unter dem dichten Weingerank uns lagerten, das dort an Bogengestellen über die Chaussee hinweggeleitet ist, so daß man stundenlang in Weinlauben marschirt. Meine Freunde pflegten der Ruhe, ich aber entfernte mich eine Strecke weit bis zu einem hoch und frei liegenden Punkte, von dem aus ich die ganze während des Morgens zurückgelegte Strecke bis zum Orteles übersehen konnte. Im Hintergrunde lag er, der gewaltigste und höchste der deutschen Bergriesen, dessen Spitze zu ersteigen uns ein unerreichbares Ideal hatte bleiben müssen. So erwartungsvoll ich mich dem schönen Etschthale, in welchem Meran liegt, entgegensehnte, das Bild, welches nun vor mir sich ausbreitete, war so anziehend und großartig, daß ich, ganz in den Anblick versunken, endlich ein Skizzenbuch hervorzog, um mir den Genuß unvergeßlich zu machen.

Als ich so dasaß und einen Berg nach dem andern, so gut es gehen wollte, auf’s Papier übertrug, hörte ich in meinem übergroßeren Künstlereifer nicht die Tritte eines Herantretenden und erschrak daher nicht wenig, als sich plötzlich eine gewichtige Hand auf meine Schulter legte und hinter mir die Worte tönten: „Brav, junger Mann, Ihr habt den besten Aussichtspunkt in der ganzen Gegend aufgefunden.“

Als ich hinter mich sah, erblickte ich einen bejahrten Tyroler in seiner bunten Nationaltracht und mit einen gewaltigen weißen Bart um das braune durchfurchte Gesicht, welches indeß durch einen offenbar gutmüthigen Zug sofort mein Interesse weckte.

„Ja, hier bei euch ist es schön,“ erwiderte ich. „Aber Ihr seid doch aus der Gegend diesseits des Orteles. Denn wäret Ihr von jener Seite des Berges nach Landeck zu, dann verdientet Ihr das Lob nur halb. Denn dort war’s mir geradezu unheimlich und nicht geheuer. Gewiß, Ihr habt viel schlechtes Gesindel, das in den öden Bergschluchten haust, nicht wahr?“

Der Alte lachte. „Nein, lieber junger Herr,“ sagte er, „dem ist doch nicht so. Der Tyroler ist eine brave, ehrliche Haut. Ja, als ich noch ein Kind war – da hätte ich Keinem gerathen, sich unbewaffnet auf die Landstraße zu wagen, aber da standen auch noch die Burgen, die Ihr jetzt in Ruinen da rings umher liegen seht, und die Schnapphähne, welche dieselben bewohnten, ließen Keinen ungeschoren vorüber.“

Jetzt war das Lachen an mir. „Mir,“ sagte ich, „macht Ihr das nicht weiß, Alter! Die Burgen sind ja seit Jahrhunderten schon leer und zertrümmert.“

„Einige wohl,“ versetzte der Alte, „aber bei weitem nicht alle. Seht einmal da hinüber –“ und er deutete mit der Hand südwärts auf eine Ruine, die, noch besonders gut erhalten, wie eine gewaltige Riesenfaust aus der Hochebene emporragte. – „Dort in dem alten Neste hauste in meiner Kindheit noch ein altes Rittergeschlecht, das jetzt ausgestorben ist. Ja, ich mache diesen Weg nun seit funfzig Jahren fast monatlich, früher mit meinem seligen Vater, und obwohl ich nicht aus dieser Gegend bin, kenne ich sie doch so gut wie ein hiesiger, und daher kenne ich auch all die Burgen und ihre Geschichten.“

Obgleich ich noch immer kopfschüttelnd dasaß, fuhr der redselige Alte dennoch fort: „Und eine Famille lebte vor einem halben Jahrhundert noch in voller Kraft, die jetzt im Absterben begriffen ist, die war weit und breit bekannt, aber nicht durch Schandthaten, sondern durch ihr edles Verhalten gegen Arm und Reich. Und doch wurde sie besonders genannt in Folge eines unseligen Familienzwistes. Man hat mir erzählt, daß die Geschichte gar auf das Theater gebracht ist. Die Familie war die der Grafen von Moor und das Haupt derselben im vorigen Jahrhundert ein ehrwürdiger Greis, der beliebt und berühmt war, denn er war ein gelehrter und ein guter Mann dazu. Der alte Herr besaß zwei Söhne, der erstgeborene hieß Karl, der jüngere Franz –“

Ich unterbrach den erzählenden überrascht: „Karl, sagt Ihr, und Franz Grafen von Moor?“ Mir standen plötzlich die Hauptfiguren aus Schiller’s Räubern vor Augen.

„Ja,“ fuhr der Tyroler fort, „Grafen von Moor.“ Und wie ich es schon erwartet hatte, erzählte er mir den ganzen Inhalt des Schiller’schen Dramas.

Mir wurde es schwer, mich des Lächelns zu enthalten und den Alten nicht zu unterbrechen, aber als er zu Ende war, sagte ich aufstehend zu ihm: „Das müßt Ihr in eurem Leben Keinem wieder erzählen, denn gerade heraus, das Alles hat man euch aufgebunden. Die Geschichte ist nicht wahr! Die hat unser Schiller ja erfunden und daraus sein Trauerspiel „die Räuber“ gemacht.“

Aber so leicht ließ sich der Greis nicht zur Ruhe bringen; er beharrte bei seiner Behauptung, das sei Alles so geschehen, bis ich endlich, überdrüssig des Hinundherzankens, ihm einen guten Abend bot und mich zu meinen Freunden zurück begeben wollte. Indeß kamen die gerade des Weges, mich zu suchen, da es Zeit wurde, weiter zu gehen, denn wir wollten noch nach Meran. So konnte ich mich von dem Alten, der dasselbe Ziel hatte, nicht losmachen und mußte nolens volens noch länger seine Behauptung ertragen: die Geschichte, die er mir erzählt, sei so wahr, und der alte Graf Moor und seine Söhne Karl und Franz hätten wirklich in jener Gegend gelebt.

Allmählich wurde mir in der That das Gespräch unerträglich, und ich suchte auf ein anderes überzugehen, aber der Alte ließ mich nicht los, bis wir in das Dörfchen Latsch eintraten, wo er mich mit den Worten anhielt: „Ich merk’ es wohl, daß Ihr mir immer noch nicht glaubt, und ich kann es auch nicht gar sehr verdenken, denn Ihr seid ein gelehrter Herr, und ich bin nur ein schlichter Bauersmann, der nichts gelernt hat. Aber wenn ich Euch auch verspreche, nichts mehr davon zu reden, einen Gefallen müßt Ihr mir noch erweisen: Ihr müßt mit mir ein paar Schritt abseits gehen auf den Kirchhof!“

Und damit faßte er mich an den Arm und führte mich mit sich. Der Kirchhof lag links an der Straße. Durch das Thor führte ein Weg gerade auf die Kirche zu. Diesen gingen wir. Die ganze Mauer der Kirche war mit Grabsteinen bedeckt. Gerade oben am Wege blieb der Alte stehen und auf einen der Steine deutend, sagte er triumphirend: „Ich kann zwar nicht lesen, aber hier steht es geschrieben. Les’t Ihr!“

Und ich las. Der Grabstein hatte zwei Flügel. Ueber beiden standen die einleitenden Worte:

Hier in dieser Gott geweihten Stätte ruhen sanft ihrer seligen Auferstehung harrend und dem frommen Andenken und Gebete hiesiger Pfarrgenossen bittlich empfohlen die irdischen Reste des

Und nun folgte auf dem Grabsteinflügel links:

Hochgebornen
Karl
des heiligen römischen Reiches
Grafen von Mohr
Freiherrns in Landstein, Lichtenegg, Neuhaus, Gerichts-Inhabern auf Obern- und Nieder-Montani, Herrn von Tarantsberg, Hoch-Naturns, dann Falkenstein und Montelbon etc.
eines Freundes der Wissenschaften, vorzüglich der vaterländischen Geschichte,
geboren zu Dornsberg am 11. Dec. 1738,
gestorben in Latsch am 22. Juli 1809
mit
dessen Gemahlin der Frau Josefa geborene Reichsgräfin von Arz und Vaferg
auch dessen zwei im Jahre 1825 ihm nachgefolgten Söhnen Karl und Franz
Grafen von Mohr
nebst des ersteren Gattin Johanna Gräfin von Alberti.
etc. etc. etc.

Als ich soweit gelesen, sah ich überrascht auf meinen Begleiter.

„Nun, junger Herr?“ sagte er. „Hatte ich Recht, wenn ich behauptete, der alte Moor und seine Söhne Karl und Franz hätten wirklich gelebt?“

Gegen diesen Beweis ad oculos war allerdings nichts mehr einzuwenden, und ich hielt es für gerathener, alles ferneren Widerspruchs mich zu begeben. Desto mehr hatte ich zu denken. Die Uebereinstimmung der Namen war doch zu überraschend. Daß von Allem, was Schiller in der Familie des Grafen Moor vorgehen läßt, nicht das Geringste auf diese wirklich ehrenwerthe tyrolische Grafenfamilie Bezug hatte, davon überzeugte ich mich durch näheres Nachfragen in Meran sehr bald. Schiller konnte also unmöglich hier den Stoff zu seinen „Räubern“ geschöpft haben.

Ich hatte also einen jener gewiß seltenen, aber interessanten Fälle vor mir, wo Dichtung zur Sage geworden war. Aus Unwissenheit oder Böswilligkeit – wer weiß das? – hatte man, geleitet durch die zufällige Uebereinstimmung der Namen, die Schiller’sche Tragödie zur Geschichte gemacht. Steht dieser Fall vereinzelt da? Wir halten es für eine beachtenswerthe Aufgabe, auch in dieser Richtung der Sage nachzuspüren. Waren nicht zum größten Theil die Sagen der griechischen Götterwelt ein Product der dichterischen Phantasie? Heißt es doch, Homer habe den Griechen ihre Götter geschaffen. –

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