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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

unversöhnlicher als die verhaßten Yanktons, Feinde, deren Heulen das wildeste Schlachtgeschrei an Schrecken übertraf. Als der Häuptling mit seinen Begleitern zurückschaute, gewahrte er eine dichte Masse dunkler Gegenstände aus dem Walde hervorbrechen, die sich mit reißender Schnelligkeit über die hinterlassene Spur ergoß. Auf den ersten Blick erkannte er die Gefahr; er wußte, daß in strengen Wintern die großen nordischen Wölfe, von Hunger getrieben, in zahlreichen Haufen in dieser Gegend erscheinen und dann, von maßloser Raubgier erfaßt, selbst den Menschen angreifen. Der stolze Neykeemie, der früher oft zum Spott ein Paar vereinzelter Wölfe auf der Prairie niedergeritten hatte, wurde nun selbst von diesen Raubthieren gejagt, als er, von der Nutzlosigkeit jedes Widerstandes überzeugt, sich zur Flucht wandte. Er wußte, daß wenige Meilen entfernt ein verlassenes Fort der Hudsonbay-Compagnie am Flusse lag; dieses suchte er mit seinen Kriegern und Gefangenen auf dem kürzesten Wege zu erreichen. Allein die ermüdeten Pferde, so sehr sie das eigene Entsetzen und die wuchtige Peitsche der Reiter trieb, vermochten es nicht mit derselben Eile über die Prairie zu fliegen, wie ihre leichtfüßigen Verfolger, die über den halbgefrorenen Schnee, ohne einzubrechen, heransprangen.

Als die Verfolger immer näher kamen und deren gieriges Geheul immer lauter ertönte, gab Neykeemie einem jungen Krieger, der dicht neben ihm ritt, ein stummes Zeichen, was dieser sogleich verstand. Er parirte sein schnaubendes Roß einen Augenblick und wartete, bis eine gefangene Squaw, die letzte des Zuges, herankam; ohne eine Miene zu verziehen und ohne ein Wort zu sagen, drängte er sich an den Pony des Weibes und durchschnitt im Nu mit seinem Messer die große Sehne an einem der Hinterschenkel des Thieres. Dann jagte er seinen Cameraden nach, so schnell er konnte, um die verlorene Strecke wieder einzuholen. Als diese sich umschauten, gewahrten sie eine Scene, die selbst die stoischen Indianerseelen mächtig ergriff. Das Pferd war gestürzt, und die unglückliche Reiterin focht wild mit den Armen in der Luft, doch nur einen Augenblick, denn gleich darauf verschwanden Beide unter dem dichten Knäuel der herangekommenen Bestien.

Neykeemie und seine Gefährten hatten durch dieses grausame Stratagem freilich einen Vorsprung gewonnen, indessen setzte die große Masse der Wölfe, da sie keinen Antheil an der Beute erhalten konnte, mit verschärfter Blutgier die Verfolgung fort. Einzelne Schüsse, welche die Indianer im Fliehen auf sie abfeuerten, hatten nur wenig Effect, denn wenn auch die vordersten fielen und die nächstfolgenden anhielten, um diese sofort zu verzehren, ließen sich doch Hunderte von der Fährte nicht abbringen; die Nase dicht über den Eindrücken der Hufe haltend und den buschigen Schweif in gerader Linie mit dem Rückgrat tragend, flogen sie wie eine Schaar rächender Dämonen über die eisige Decke der Prairie dahin, als wenn sie ihrer Beute gewiß wären. Neykeemie, der mit sicherm Auge die Distanz zwischen den Pferden und den Verfolgern berechnete, gab nun dem oben bezeichneten jungen Krieger ein zweites stummes Zeichen, d. h. eine andere gefangene Squaw mit ihrem Pony zu opfern. Dieses Mal wagte der Indianer nicht abzusteigen, sondern ließ seinen Tomahawk mit solcher Gewalt auf den Kopf des Thieres niedersausen, daß dasselbe betäubt zusammenbrach und so sammt seiner Reiterin von den Bestien augenblicklich in Stücke zerrissen wurde. Wieder gewann man auf diese Weise einen Vorsprung, indessen da die schützenden Palissaden der Factorei noch weit entfernt waren, sah sich der Häuptling genöthigt, sämmtliche gefangene Weiber nach und nach mit ihren Pferden den wüthenden Wölfen zu opfern.

Endlich erblickte man das kleine Fort auf einer mäßigen Anhöhe vor sich, und das scharfe Auge Neykeemie’s entdeckte auch, daß das Thor weit offen stand; es galt nun, die letzte Meile im Fluge zurückzulegen; allein zwischen dem allmählich aufsteigenden Grunde und den flüchtigen Indianern lag noch eine Niederung, die weithin mit einer Schneewehe bedeckt war; hier konnten die schnaubenden und bis auf den Tod gehetzten Pferde nicht so schnell weiter, weil sie bei jedem Sprunge bis über die Kniee einbrachen. So kam es denn, daß die von entsetzlichem Heißhunger angestachelten Bestien in immer rascheren Sätzen sich nahten. Da wurden die Rosse von zwei Odjibbewas matt und knickten zusammen; als die Reiter sahen, daß weder Peitsche noch Zuruf etwas nützten, ergaben sie sich ruhig in ihr Schicksal, stimmten ihren Todtengesang an und Rücken an Rücken gelehnt, erwarteten sie den Anlauf; doch wenn auch Tomahawk und Messer manchen Wolf tödteten, so war ihr verzweifelter Widerstand doch vergebens, da sie in unglaublich kurzer Zeit mit ihren Pferden zerrissen wurden. Während sich noch ein Rudel der Bestien um die Knochen stritt, setzte der große Haufen mit doppelter Gier die Verfolgung fort und wurde nicht eher aufgehalten, als bis ein älterer Odjibbewa, der zwei Söhne unter den Fliehenden besaß, sich selbst opferte, indem er seinem keuchenden Rosse die Kehle abschnitt; dieses taumelte hin und her, stürzte endlich, und der edle Vater, nachdem er seinen Kindern noch einen liebenden Blick nachgeschickt hatte, setzte sich ruhig auf den Schnee nieder und erwartete resignirt sein gräßliches Schicksal. Neykeemie, der jetzt mit dem Rest seiner Begleiter am Fuße der Erhöhung angekommen war, auf der die schützende Stockade stand, warf einen verzweifelten Blick hinter sich, zeigte auf das offenstehende Thor und jagte, von den letzten Kräften seines Hengstes getragen, bergauf; die Uebrigen folgten, so schnell wie es der erschöpfte Zustand ihrer Pferde zuließ. Doch auch jetzt waren die Wölfe dicht hinter ihnen, und es unterlag keinem Zweifel, daß ihnen noch ein letztes Opfer gebracht werden mußte, wenn sie nicht Alle zu Grunde gehen wollten. Ein solcher Gedanke durchzuckte Neykeemie’s Gehirn, schnell entschlossen ergriff er seine Büchse und schoß das Pferd des dicht hinter ihm reitenden Odjibbewas durch den Kopf, so daß Roß und Reiter überschlugen. Letzterer suchte sich loszumachen, doch ehe es ihm gelang, fühlte er schon den heißen Athem der Bestien an seiner Kehle; er wollte seinen Todtengesang anstimmen, doch zu spät!

Diese kurze, durch eine barbarische That erkaufte Spanne Zeit genügte jedoch, um den Häuptling mit den noch übrig gebliebenen Kriegern in Sicherheit zu bringen. Sie jagten durch das offene Thor in die Einzäunung hinein und warfen augenblicklich die zum Glück unversehrte Pforte zu, so daß sie endlich eine feste Barriere zwischen sich und den Verfolgern hatten. Wüthendes Geheul ertönte um die Palissadenfenze herum, als die Wölfe sich um die Beute betrogen sahen; sie versuchten einzudringen, indem sie sich unter der festen Einzäunung durchzuwühlen suchten, allein der festgefrorene Boden widerstand allen Versuchen, während die todbringenden Büchsen der Odjibbewas unter ihnen aufräumten. Sobald eine der Bestien fiel, stürzten die anderen darüber her, um sie zu verzehren, doch minderte sich die Masse der Angreifenden nicht, da fortwährend neue Zuzüge erschienen. Die eingeschlossenen Indianer beschlossen daher, ihre Munition nicht unnütz zu vergeuden, zündeten vor dem einstöckigen Blockhause, welches in der Mitte der Stockade verlassen dastand, ein mächtiges Feuer an und warfen nur von Zeit zu Zeit gewichtige brennende Holzstücke zwischen die Wölfe, um dieselben aus dem nächsten Umkreise zu verjagen. Jetzt pfiff und heulte es auf einmal in den Lüften, und die Schindeln flogen wie dürres Laub von dem alten baufälligen Gebäude herunter, so daß die angebundenen Pferde sich losrissen und wie toll in der Einzäunung herumgaloppirten. Einer jener nordischen Schneestürme, welche an Schrecknissen den Samum der Sahara bei weitem übertreffen, fegte mit einem Ungestüm über die nächtliche Winterlandschaft, daß der Hügel, auf welchem das Fort stand, in seinen Grundfesten erzitterte, und daß das Toben des Orcans das Heulen der lauernden Bestien übertönte. Kaum war es möglich, das Feuer zu unterhalten, so viel trockenes Holz man auch hinein warf, denn der durch die Spalten der Steckade hereinbrechende Wind drückte die Flamme nieder und drohte sie durch die wirbelnden Schneemassen zu ersticken. Man versuchte in dem alten Blockhause selbst noch ein zweites Feuer anzumachen, doch drang der Schnee durch das schadhafte Dach in solcher Menge und häufte sich innen dermaßen an, daß der Versuch aufgegeben werden mußte. So kauerten denn die Indianer stumm in ihre Blankets gehüllt rings um die wärmende Flamme, wie bronzirte Marmorstatuen, während die buschigen Köpfe ihrer Ponies über ihre Schultern lehnten.

Neykeemie, der zweimal die Runde innerhalb der Stockade gemacht hatte, um zu sehen, ob Alles in Ordnung sei, rollte nun einen Baumstamm herbei, setzte sich, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, auf denselben nieder, und seine starren Augen musterten das finstere, drohende Firmament. Der eisige Orcan trieb aus Norden dichte Schneewolken vor sich her, die durch sich kreuzende Windstöße phantastische Gestalten annahmen, welche der abergläubische Häuptling als Erscheinungen einer andern Welt betrachtete. Auch glaubte er, von Gewissensbissen erfaßt, in dem Heulen und Toben des Sturmes die Stimmen der geopferten Squaws und des Kriegers zu vernehmen, den er zuletzt so meuchlings den Wölfen preisgegeben. Es war nicht die eisige Kälte, nicht das in Absätzen

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