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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Wenn man nun bedenkt, wie außerordentlich schwer es ist, in einer solchen Höhe die leiseste Luftströmung zu berechnen und zu benutzen, und um wie viel schwieriger es noch ist, gerade diejenige Stelle der Schnur, wo das nur zolllange Messerchen eingeflochten ist, mit einem gewissen Druck über die Schnur des Gegners, der ebenfalls sein Bestes versucht, wegzuziehen, so muß man sich über die Sehkraft und Geschicklichkeit der Indianer nicht wenig wundern. Die Preise, welche der kluge Vater B. für die Sieger, denn es traten mehrere Preiskämpfer auf, aussetzte, bestanden aus Messern, schottischen Mützen u. dergl., und es kann kein Opernsänger, wenn die Kränze auf die Bühne fliegen, mehr Anstand und Bescheidenheit simuliren, als unsere jungen Rothhäute in diesem Falle.

Gegen Abend, als die Spiele vorüber waren, folgte ich der gastfreundlichen Einladung des Missionärs, der mir in seinem kleinen bescheidenen Blockhause (die so nothwendige Sägemühle war noch nicht fertig) einen landesüblichen Imbiß bot. Während des Mahles erzählte mir mein Wirth so Manches über seine Erlebnisse in dieser wilden Gegend und über das Entstehen der Mission, wie er oft mit knapper Noth seine Kopfhaut gerettet hatte, auch zeigte er mir ein dickes Manuscript über die verschiedenen Dialekte der Algonquinsprache, deren Studium er in seinen Mußestunden begonnen hatte und von der er behauptete, daß sie mit dem alten Aztekischen nahe verwandt wäre.

Wie der Pflanzer in dem bekannten Seume’schen Gedicht schlief ich herrlich, aber mit besserem Gewissen auf den weichen Bärenfellen, bis das Läuten der Kirchenglocke mich erweckte. Ach, wie klang das so heimisch! Es war ja zweiter Pfingsttag, und die Sonne leuchtete hell, und ein blauer Himmel wölbte sich über den breiten Strom, die grünen Prairien und die zackigen Bluffs.

In Lederhemden und Mackinawdecken gekleidet, schritten die zimmtbraunen Kinder der Natur zur Messe. Die kleine roh aus Baumstämmen gezimmerte Kirche war inwendig mit einer schneeweißen Kalkschicht überzogen, und der Altar war besser decorirt, als ich in diesem entlegenen Winkel der Welt erwarten konnte, da dessen Ausstattung ein Geschenk des Bischofs von Montreal war. Als die Messe celebrirt wurde, sah ich einen hochgewachsenen Indianer als Sacristan ministriren, dessen würdevolles Wesen mir unwillkürlich Achtung abzwang, obgleich in seinem wild scheuen Blick etwas Unheimliches lag, während er die vorgeschriebenen Ceremonien pünktlich ausführte. Das ganze Benehmen des Ministranten erinnerte mich nicht etwa an Schiller’s Fridolin, der mit kindlicher Frömmigkeit dem Priester die Stola und das Cingulum umhängt, sondern an die düstere Trauer von Lord Byron’s Mönch, der in seinem Giaur sich in Selbstzerknirschung kasteiet.

„Aus brauner Kutte stiert voll Graus
Unheimlich scheu der Blick heraus,
Des Auges Blick, geöffnet weit,
Spricht zu viel von vergangner Zeit.“

Nach beendigtem Gottesdienst, als ich unter Vater B.’s gastfreundlichem Dache die einfache Mittagsmahlzeit mit verzehren half, konnte ich nicht umhin, mich über den Eindruck zu äußern, den der seltsame Meßner auf mich gemacht hatte, und bat den ehrwürdigen Missionär, mir etwas über die Geschichte des Mannes mitzutheilen.

„Sie haben Recht,“ sagte der Geistliche, „Neykeemie ist kein gewöhnlicher Indianer, er besitzt einen großen Verstand und tiefes Gefühl, auch hat kein anderer auf der ganzen Mission solche Fortschritte in den göttlichen Lehren gemacht, als er, und darum habe ich ihn zu jener Stellung erhoben, um die ihn Alle beneiden. Ein großes Unglück hat seinen Stolz, den er als Häuptling der Odjibbewas früher zur Schau trug, gebrochen. Von seinem eigenen Stamme wegen einer That der Verzweiflung verbannt und im Herzen zerknirscht, kam der früher so rauhe Krieger hieher, um bei dem Gotte der Blaßgesichter Versöhnung zu suchen. Seine Geschichte ist wirklich interessant, und wenn Sie dieselbe hören wollen, so will ich sie Ihnen erzählen. Aber ich sage Ihnen, es ist eine traurige Geschichte, voll von Verzweiflung, die selbst in diesem Lande der blutigen Scalps und Hände fast unerhört ist. Hören Sie!

Neykeemie war noch vor wenigen Jahren der angesehenste Häuptling der Odjibbewas. Als ich vor einiger Zeit in das Land kam, sagte er mir für einen kleinen Dienst, den ich ihm erwies, seinen Schutz zu, und er hat treulich sein Wort gehalten, indem er der Mission jedweden Vorschub leistete, trotz der Eifersucht der Methodisten in Assiniboja, welche ihn und andere Sagamores gegen mich aufzuhetzen suchten. Bei allen sonstigen guten Eigenschaften war er nichtsdestoweniger in den Vorurtheilen seiner Stammgenossen befangen und er war stets der Erste, wenn es darauf ankam, den blutigen Kriegspfad zu betreten. So bereitete er vor einigen Jahren mitten im Winter einen Zug gegen die Yanktons über die Grenze von Dacota vor, von dessen Ausgang er sich viel versprach. Ach! hätte er das Ende voraussehen können!

Denken Sie sich ein großes Indianerdorf mitten zwischen schwarzen Schierlingstannen, unter denen die Hütten von Birkenrinde und die mit buntbemalten Fellen bedeckten Wigwams vor dem eisigen Nordwinde Schutz suchen. Die ganze Bevölkerung vom Greise bis zu den Pagoosen hinunter ist auf den Beinen, und die jungen Squaws haben ihre buntesten Decken umgeworfen, um vor den Tapfern des Stammes zu glänzen; um den gestreiften Pfahl, der in der Mitte des Lagers steht, versammeln sich stillschweigend die rothen Krieger, den Federputz im schwarzen Haar und mit phantastisch gemalten Gesichtern. Diesem so grimmig schauenden Farbenwechsel liegt aber keine planlose Idee zu Grunde, sondern jeder Strich, jeder Punkt hat seine Bedeutung; man möchte diese blauen, schwarzen und rothen Streifen ebenso gut entziffern können, wie die primitive Keilschrift der altägyptischen Denkmäler. Der eine Krieger hat sich wie ein Skelet bemalt, weil er den Feinden schon früher den Tod gebracht, der andere hat auf seiner Brust ein blutendes Herz gezeichnet, und schielt dabei verstohlen nach einer jungen Squaw, die eben beschäftigt ist, einem Trupp langhaariger Pferde Mais vorzuwerfen. Und wie werden jene Jünglinge von den Mädchen des Stammes bewundert, wenn sie ihre mit Zobelfellen und Fuchsschwänzen verzierten Häupter schütteln und die mit Falkenflügeln und Streifen rothen Tuchs geschmückten Lanzen mit drohender Gebehrde schwingen! –

Unter einem solchen Haufen seiner Krieger stand in tiefem Nachdenken Neykeemie, denn er hatte die Nacht einen beängstigenden Traum gehabt, und alle Indianer sind abergläubisch. Doch war es die kalte Morgenluft oder der Anblick seiner Braven, er warf die Sorgen von sich und gab den Zurückbleibenden die nöthigen Befehle. Stolz ließ er die Narben sehen, welche ihn zierten, und sein befriedigter Blick fiel auf die Scalps, die an seinem Gürtel hingen, wie auf die Krallen des grauen Bären, welche, auf eine Schnur gereiht, über seine breite Brust herabfielen. Die dumpfe Trommel schlug in immer rascherem Tempo, der herausfordernde Kriegsgesang seiner Braven stieg und fiel in immer wilderen Cadenzen, und jeder Krieger schlug, seinen Schlachtruf ausstoßend, den Tomahawk in den gestreiften Pfahl. Neykeemie, auf den nackten Rücken seines Pferdes springend, gab nun das Zeichen zum Aufbruch und setzte sich an die Spitze seiner Leute, die einer hinter dem andern reitend bald im Dunkel des Waldes verschwanden, während der gedämpfte Schall der Trommel ihnen nachtönte. So zogen sie hin zum blutigen Werke, entschlossen, den ersten besten Feind, sei es aus dem Hinterhalt heraus oder im offenen Kampfe, zu tödten, und die zum Schutz des Dorfes zurückgebliebenen alten Krieger machten mißmuthig die Runde, weil sie die Gefahren ihrer Brüder nicht theilen konnten.

Dieses Mal war Neykeemie nicht glücklich auf seinem Kriegspfade, da die Yanktons, frühzeitig von luchsäugigen Spähern unterrichtet, ihre Vorkehrungen getroffen hatten und so ein erfolgreicher Ueberfall nicht gut möglich war; zudem fing ein heftiger Nordwind an zu wehen, der über die Polargegenden herstreifend hier stets eine grimmige Kälte mit sich führt, so das das Liegen in den Wäldern selbst den Odjibbewas zu beschwerlich wurde. Daher entschloß sich der Häuptling, um doch nicht ganz ohne Beute heimzukehren, die große Truppe seiner Krieger in kleinere Banden zu vertheilen, weil eine solche jedenfalls mehr Aussichten hat, dem Feinde auf Schleichwegen beizukommen. Ihm selbst in Begleitung von etwa einem Dutzend seiner Braven gelang es auch, während eines heftigen Schneegestöbers eine kleine Abtheilung der Yanktons zu überfallen, mehrere derselben zu tödten und einige Squaws gefangen zu nehmen, worauf er beschloß, da das Wetter immer rauher wurde, ungesäumt nach dem Dorfe zurückzukehren. Nach einem mühsamen Ritt durch die Wälder gelangte Neykeemie endlich auf die weite schneebedeckte Prairie, die sich längst des Assiniboinflusses hinzieht, und glaubte sich nun mit seinen Gefangenen in Sicherheit, als auf einmal die Pferde stutzig wurden und deutliche Zeichen des Schreckens von sich gaben. Ja, es nahten sich Feinde, aber grimmiger und

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