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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

durch den Föhn vermittelte Zuführung warmer Wasserdünste, welche an den Alpen sich als Schnee niederschlagen, den Grund jener auffallenden Erscheinung, daß auf der Südseite der Alpen mehr Schnee fällt, als aus der Nordseite, daß die Schneefelder und Gletscher dort, trotz der stärkeren Sonnenwärme, tiefer hinabsteigen, die Linie des ewigen Schnees gegen Italien hin also um einige hundert Fuß tiefer sich hinzieht, als auf der deutschen Alpenseite.

Diese gewaltsamen Aeußerungen der entfesselten Naturkraft bilden die Kehrseite des Föhns, der sonst im Ganzen eine wohlthätige Einrichtung genannt werden müßte, wenn überhaupt bei solchen Dingen von einer Absicht für den Menschen die Rede sein könnte. Denn dem Föhn verdankt die Schweiz vorzugsweise die verhältnismäßige Milde ihres Klimas, das frühere Eintreten des Frühlings, sowie die baldige Befreiung der Ebene von Schnee. Bleibt der Föhn im Frühjahre aus, so giebt es einen späten und schlechten Sommer. Nicht mit Unrecht hat Escher von der Linth, der verdienstvolle Geologe, darauf aufmerksam gemacht, daß einer der Factoren, unter welchen die Eiszeit schwand und die Gletscher, welche früher die ebene Schweiz deckten, sich in ihre jetzigen Grenzen zurückzogen, im Föhn zu suchen sei. Als die Sahara noch ein Binnenmeer war – und sie war es vor nicht langer Zeit, nämlich noch in der letzten geologischen Epoche – konnte kein Scirocco, kein Föhn entstehen. Damals deckten Gletscher die Schweiz bis zum Jura, krönten Gletscher die Höhen der Vogesen und des Schwarzwaldes. Als aber mit der Austrocknung der Sahara eine ungeheuere Wüstenfläche geschaffen war, die, einer erhitzten Ofenplatte gleich, Ströme heißer Luft nach Norden entsandte, welche sich Bahn brachen über die Alpen, schmolzen unter dem Hauche des Föhn die alten Gletscher und zogen sich in ihre Berge zurück. Nun erst konnte der Mensch sich in der Schweiz ansiedeln, die anfangs noch, wie Auerochs und Rennthier es beweisen, ein strengeres Klima hatte als jetzt. Ob der Mensch auch schon vor dieser Eiszeit in der Schweiz hauste, ist freilich eine andere Frage – jedenfalls ist soviel gewiß, daß der Föhn erst die seit voradamitischen Zeiten begonnene und bis in die neueste Zeit ununterbrochen fortgesetzte Ansiedelung ermöglichte.

Unsere Abbildung ist von der Hand eines Künstlers, an dessen Augen über hundert solcher Stürme mit all ihren Schrecken vorübergegangen. Was er uns auf dem beschränkten Raume zeigt, ist nur ein kleines Stück von dem Bereiche, über das der Föhn seine wahrhaft unermeßliche Kraft der Zerstörung ausbreitet. Gegen sie verschwindet aller menschliche Widerstand; die Flucht aus seinem Wege ist des Menschen einzige Rettung. Felsen und Schneemassen reißt er mit sich fort und fegt mit ihnen den zitternden Boden. Selbst die festest gebauten Alpenhütten schützen nicht, die fortgerissenen Dachsteine und Balken gefährden nur die Flucht; die stärksten „Schirmtannen“, die den Kampf mit mancher Lawine bestanden, knickt er. Da hat er sie vor uns auf die „Prügelbrücke“ geschleudert und versperrt den einzigen Pfad der fliehenden Familie, als ob er sie so lange hemmen wolle, bis er sie unter den Trümmern ihres eigenen Hauses begraben habe. Alles sucht sein Liebstes zu retten, die Tochter die alte Mutter, die junge Frau ihre Kinder, das Kind seine Puppe und der Vater mit kräftigem Arm den einzigen Fluchtweg für die Seinen und seine beste Habe, seine Thiere zu bahnen; aber der Föhn hat kein Erbarmen. – Zwei Zeugnisse seiner Thaten zeigen uns die beiden Eckbildchen: dort, links, graben die Geretteten die Leichen ihrer Lieben aus dem Schnee unter den Trümmern ihres Hauses; und hier, rechts, hat die vom Föhn zerrüttelte Kirche St. Antonio zu Locarno die zum Himmel flehenden Gläubigen mit dem eigenen Gestein erschlagen. Das Bild erzählt Alles, was der Föhn Schreckliches verbrechen kann.

D. Red.



Aus den Sprechstunden eines Arztes.
V. Der Fettbäuchige und die Wespentaillige.

Sprechen wir aber erst einige Wörtchen mit dem Publicum und zwar über die Rücksichtslosigkeit, mit welcher nicht Wenige aus den sogenannten gebildeten Ständen ihren Arzt behandeln. Wir waren zwar früher schon so frei, über diese Rücksichtslosigkeit von der Leber weg zu sprechen, allein – das kann gar nicht oft genug geschehen, und deshalb heraus mit der Sprache!

Und wenn auch an allen Thüren der ärztlichen Wohnung mit großen Buchstaben angeschrieben steht: „Sprechstunde von – bis - “, so verlangen doch gar nicht selten Kranke (zumal dickthuige Geldprotzen), die sich recht wohl mit ihren Geschäften so einrichten konnten, daß sie zur richtigen Zeit beim Arzte einzutreffen im Stande waren, daß derselbe auch nach dieser Zeit noch, auf Kosten seiner Studien- oder Erholungszeit, ihr Genörgele über unbedeutende Beschwerden mit Aufmerksamkeit anhören soll. Und warum verlangen sie das? Weil sie den Arzt für eine Art Dienstmann ansehen, der für Geld zu jeder Zeit den Leuten zu Diensten stehen muß. – In diesem Sinne honoriren sie auch sehr oft den Arzt in einer Form, die äußerst verletzend für denselben ist. Der Eine sucht in allen Taschen nach dem Portemonnaie herum und langt, wenn er’s endlich gefunden hat, mit großer Behäbigkeit die Groschens heraus, um sie dem Arzte in die Hand zu zählen. Ein Anderer wünscht auf einen Fünfthalerschein vier und einen halben Thaler zurück; ein Dritter drückt dem Arzte wie einem hübschen Dienstmädchen, welches ihm die Treppe herableuchtete, mit einer Art von Gefühl einen Thaler in die Hand. Selbst Personen von sogenannter feiner Bildung lassen sich diese Handgelddrückerei zu Schulden kommen, anstatt das Honorar (wo möglich in ein Couvert eingeschlagen) ohne auffallendes Gebahren auf den Tisch zu legen oder nachträglich zu übersenden.

Auch von der Inhumanität solcher Kranken gegen einander, welche einen beschäftigten Arzt in seiner Sprechstunde besuchen, läßt sich Manches sagen, denn nicht nur, daß der später gekommene wohlhabendere oder höher gestellte Patient gar oft vor dem schon länger wartenden ärmern Kranken aus niedrigerm Stande den Vortritt haben will, auch in ihrer langweiligen Unterhaltung mit dem Arzte bedenken Manche gar nicht, daß im Vorzimmer noch andere Kranke auf Rath warten.

Viele Kranke nehmen den ertheilten ärztlichen Rath in einer Art und Weise hin und versprechen denselben zu befolgen, gerade als ob sie dem Arzte einen ganz besondern Gefallen damit erzeigten, für den er sich womöglich noch bedanken soll. – Von innerem Grimm kann aber der Arzt verzehrt werden, wenn Patienten, die entweder Jahre lang ihren Körper mißhandelten und sich dadurch ein langwieriges Uebel zuzogen, oder kürzlich von einem schweren Leiden heimgesucht wurden, dem Arzte Vorwürfe über die langsam fortschreitende Besserung machen. Vorzüglich wohlhabende Geschäftsleute sind es, die sich dies gegen den Arzt erlauben und ihr ebenso unartiges wie unverständiges Benehmen dadurch noch verletzender machen, daß sie sich auf diesen oder jenen Freund berufen, der bei einem ähnlichen Leiden wie das ihrige von diesem oder jenem Arzte weit schneller hergestellt wurde. Sie scheinen die Herstellung der Gesundheit wie eine Schuhflickerarbeit zu betrachten.

Kurz, aus dem Benehmen der Patienten gegen ihren Arzt läßt sich recht deutlich auf die Bildungsstufe derselben schließen. Nun, merken Sie sich das, geehrter Leser.

1. „Muß ich denn durchaus nach Carlsbad?“

Mit diesen Worten warf sich mein dicker, spitzbäuchiger Freund, vom Treppensteigen noch ganz außer Athem, in die Sophaecke, daß Alles krachte.

„Ein Muß ist’s nicht. Aber –“

„Nun, das ist mir lieb, denn ich möchte meine Familie und mein Geschäft nicht gern verlassen.“

„Aber dann mußt du freilich zu Hause auch Alles das auf’s Strengste befolgen, was Dir von deinem überflüssigen Fette verhelfen kann. Und das thun die allerwenigsten Schmeerbäuche gern. Uebrigens kenne ich das schon, wenn ein solcher dicker Patron sein Geschäft als Hinderniß gegen die Badereise vorschiebt; nur Bequemlichkeitsliebe und das Nichttrennenkönnen von den lieben alten Gewohnheiten halten den Herrn zu Hause fest.“

„So hat meine Frau auch gesprochen.“

„Wenn das ist, dann rathe ich jedenfalls zur Badecur. Denn Gnade Gott mir und dir, wenn du auf meinen Rath hin nicht

nach Carlsbad gingst und nächsten Winter wieder deine alte Staupe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_215.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)