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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und Flüchen unterbrochen, konnte ich wahrnehmen. – Meine körperliche Lage war schon jetzt so entsetzlich unbequem geworden, daß ich es oft wie einen Krampf durch einzelne meiner Glieder gehen fühlte, und doch wollte mir der enge Raum kaum eine Veränderung meiner Lage erlauben. Ich gedachte so eben, während die Aufmerksamkeit der Nachsuchenden sich dem Zimmer zugewandt, eine leichte Wendung zu versuchen, als die rauhe Stimme von Stevens ganz dicht an dem Eingang zur Garderobe erklang und mir fast den Athem raubte: „Hier ist noch ein Raum, und die Lady wird sich wohl der Untersuchung fügen müssen – der Bursche war hübsch genug, um allerhand Gedanken aufkommen zu lassen!“

„Halt, Sir!“ rief Maggy in eigenthümlich verändertem Tone, und zugleich hörte ich den Hahn eines Revolvers knacken. „Ich habe Gentlemen den Eintritt in mein Schlafzimmer gewährt, und wer mir hier zu nahe kommt, wo kaum Raum genug für mich ist, den schieße ich wie jeden frechen Eindringling nieder – kann mein Vater nicht die Ehre seiner Tochter vor Beleidigungen schützen, so werde ich es selbst vermögen.“

„Maggy, es wird Dir Niemand etwas zu Leide thun,“ klang die Antwort des Alten, „es ist aber Krieg, und ich will mir nicht nachsagen lassen, daß ich der Durchsuchung meines Hauses eine Schwierigkeit in den Weg gelegt hätte!“

„Gut, Vater, so frage Dich selbst, ob es eine Möglichkeit ist, daß hier Jemand noch neben mir versteckt wäre – ich habe gesagt, daß ich mich so nicht vor Männern sehen lassen kann, und Amerikaner, welche die einfachsten Rücksichten gegen ihre eigenen Ladies bei Seite setzen, verdienen keine andere Behandlung als der gewöhnliche Loafer!“

„Lassen wir es genug sein – unser Verdacht ist am Ende zu oberflächlich, um das tapfere Mädchen noch länger zu peinigen!“ hörte ich jetzt dieselbe Stimme, welche früher die Befehle zur Besetzung des Hauses gegeben hatte. „Sie glauben auf Ihre Ehre, Sir, daß die Vermuthung dieses Mannes auf einem Irrthum beruht?“

„Ich bin vom Anfange davon überzeugt gewesen, da ich meine Tochter kenne, Sir,“ erwiderte der Alte, „indessen mochte ich bei den jetzigen Zeiten Ihnen nicht das geringste Hinderniß in den Weg legen!“

„Und haben Sie keine Ahnung irgend eines Verstecks in der Nähe, wohin sich der Mensch geflüchtet haben könnte?“

„Ich sehe nicht ein, Sir, warum er sich nicht unter irgend eine Feldeinzäunung gedrückt, oder in dem hohen Unkraute nach dem Walde hinüber liegen sollte. Wenn er hier seine Richtung geändert hat, so ist doch eher alles Andere zu vermuthen, als daß er in ein Haus einsteigt, in dem er keinen Menschen kennt!“

Eine kurze Pause erfolgte, in welcher ich mein eigenes Herz schlagen hörte. „Es scheint allerdings, daß wir uns hier unnöthig aufgehalten haben,“ ließ sich dann die erste Stimme wieder vernehmen; „Verzeihung, Miß, aber die Verhältnisse drängen zu manchem sonst ungewohnten Schritte!“ Ein kurzes halblautes Gespräch von mehreren Theilnehmern trat jetzt ein; dann wurde das Oeffnen der Thür und gleich darauf der Schritt der sich entfernenden Männer auf der Treppe laut. „Geh’ wieder zu Bett, Maggy, Du bleibst hoffentlich jetzt unbelästigt!“ klang noch die Stimme des Alten, dann fiel die Thür in’s Schloß.

Ich athmete tief und erleichtert auf, wartete aber vergebens auf eine Bewegung meiner Beschützerin. Erst als von außen Pferdegetrappel laut wurde und bald darauf eiliger Hufschlag die Entfernung der Dränger verkündete, erhob sie sich schwer und langsam, that einen Schritt nach dem Ausgange und faßte dort plötzlich mit beiden Händen nach dem Thürpfosten. Hätte mich auch nicht der peinliche Schmerz in allen meinen Gliedern gedrängt, mein Versteck zu verlassen, so würde mich doch jetzt eine erwachende Sorge um den Zustand des Mädchens, verbunden mit einem Gefühle glühender Dankbarkeit für sie, dazu gebracht haben. Ich war rasch und mit möglichster Geräuschlosigkeit auf meinen Füßen – der schon tiefstehende Mond blickte voll durch das Fenster und beleuchtete ein bleiches, weich modellirtes Gesicht mit halb geschlossenen Augen, das unter dem vollen dunkeln Haare kaum von dem weißen Nachtgewande abstach, welches nur nachlässig ihre schlanke Gestalt umhüllte. Sie schien augenblicklich gegen das Schwinden ihrer Besinnung zu kämpfen; als ich aber, dem warmen Gefühle in mir folgend, halblaut rief: „Miß, um Gotteswillen, kann ich nichts für Sie thun?“ schienen ihr meine Worte plötzlich einen Theil ihrer Kraft wieder zu geben. „Nichts, Sir, nichts,“ erwiderte sie, sich wie unter einem leisen Schauder aufrichtend; „treten Sie zurück und schließen Sie die Thür!“ Sie that zugleich einige wieder völlig sichere Schritte in das Zimmer hinaus, und ich hörte, wie sie die Eingangsthür desselben verschloß; ich aber hatte, ihr Gefühl, das ich völlig verstand, ehrend, bereits die kleine Thür nach meinem Aufenthaltsorte zugezogen und mich auf der Kiste niedergelassen, erwartend, daß sie mich bei völlig eingetretener Sicherheit selbst aus meinem Versteck erlösen werde.

Aber ich saß lange Zeit in dieser Erwartung, ohne daß nur ein Laut aus dem Nebenzimmer zu meinen Ohren gedrungen wäre; ungerufen stiegen langsam die einzelnen Bilder dieser Nacht vor meiner Seele auf, und ich begann allgemach eine tiefe Ermattung über mich kommen zu fühlen. Das bleiche, schöne Gesicht des Mädchens, das in seinen weichen, anmuthigen Zügen der von ihr entfalteten Energie durchaus nicht zu entsprechen schien, stand endlich noch allein, aber wie in halbem Traume vor mir. Die Ruhe, die ich genoß, that mir so wohl, daß ich mich zurücklehnte und kaum an den gefährlichen Aufenthalt in einem Hause, dessen männliche Bewohner der Secessionspartei anhingen, dachte; die warme Nachtluft, welche durch einzelne Luken des Daches drang, umhüllte mich wie mit einer weichen Decke ich war zuletzt eingeschlafen, ohne daß ich nur eine Ahnung davon gehabt.

Erst als ich ein leises Rütteln empfand, fuhr ich aus allerhand unbestimmten Träumen wieder in die Höhe. Es war völlig dunkel um mich her; aber die halblaute, melodische Stimme, welche jetzt in mein Ohr klang, gab mir schnell meine völlige klare Besinnung. „Der Mond ist hinunter, Sir, aber in einer Stunde wird auch der Morgen da sein,“ hörte ich; „machen Sie sich jetzt rasch zum Gehen fertig!“

„Ich bin bereit, Miß!“ sagte ich, mich geräuschlos erhebend. „So geben Sie mir Ihre Hand und folgen Sie mir leise. Nehmen Sie behutsam Ihren Weg wieder durch das Fenster, gleiten Sie an einem Pfeiler der Gallerie hinab und gehen Sie dann, in gerader Richtung mit dem Hause, durch den Obstgarten bis zur Einzäunung – dort erwarten Sie mich! – Kein Wort, Sir!“ setzte sie hinzu, als ich mit ein paar kurzen Worten meinem Herzen Luft machen wollte.

Ich fühlte ihre weiche, schmale Hand, an welcher nichts die Tochter des Farmers verrieth, in der meinen, aber ich mochte nicht einmal den Händedruck des Dankes wagen, ich sah mich an das offene Fenster geleitet, durch welches sich der untergehende Mond nur noch durch einen helleren Rand des Horizontes bemerkbar machte, hörte ihr „Vorsichtig jetzt!“ als sie mir die Hand entzog, und bewerkstelligte mit beinahe völliger Geräuschlosigkeit meinen Rückzug. Unten entpfing mich ein so völliges Dunkel, daß ich erst eine kurze Zeit brauchte, ehe ich über die mir angewiesene Richtung sicher ward; kaum wenige Secunden hatte ich indessen das hintere Gartenstacket erreicht, als auch bereits das leise Rauschen von Kleidern mir Maggy’s Ankunft verkündete. „Folgen Sie jetzt dicht hinter mir,“ sagte sie, als sie neben mir stand, „Sie dürfen nicht auf der geraden Straße nach dem deutschen Lager zurück, denn ich müßte mich sehr irren, wenn Ihnen dort nicht aufgelauert würde. Vor Allem aber sprechen Sie kein Wort!“ Sie hatte behutsam eine Thür des Stacketes geöffnet und schritt nun in leichten, raschen Schritten voran. Es ging gerade über die Furchen des kahlen Feldes. Zwei oder drei Einzäunungen, welche auf unserm Wege lagen, überkletterte sie mit der Leichtigkeit der Gewohnheit, daß ich oft nur mit Hülfe des erblassenden Sternenlichts ihre Gestalt wieder zu finden vermochte. Dann merkte ich, daß wir einen Fußweg betreten hatten, welcher über die freie Ebene zwischen hohen Unkrautbüschen hinlief, und zuletzt ward der sich dunkel vor uns abzeichnende Waldessaum erreicht, den wir jetzt theils verfolgten, oder dessen oft hervortretende Gebüschpartien wir abschnitten. In immer gleicher Schnelle und Sicherheit schritt mir das Mädchen voran; gern hätte ich zu ihr ein kurzes Wort gesprochen, aber ich glaubte ihr jetzt eben nur durch die genaueste Befolgung ihrer Anordnung danken zu können und schwieg. Dagegen aber strebte ich um so mehr die Umrisse ihrer leichten Gestalt, wie sie das matte Sternenlicht abzeichnete, zu erkennen und mir ein ganzes Bild von ihr zu entwerfen. Nach etwas über einer halben Stunde, meiner Zeitrechnung nach, begann der Tag zu grauen; aber jetzt führte unser Pfad gerade in den Wald hinein. „Halten Sie sich dicht hinter mir, damit Sie mich nicht verlieren,“ ließ sie sich jetzt zum ersten

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