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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Starke Schläge an der Hausthüre unterbrachen das Schweigen der einsamen Stube; die Müllerin öffnete und kam mit dem Brigadier der Gensd’armerie-Station zurück, der in voller Bewaffnung mit Ober- und Untergewehr, sich in der niedrigen Thüre bückend, eintrat. „Ist der Quasi nicht hier gewesen?“ rief er mit barscher Stimme. „Ist er etwa noch hier versteckt? Was für Gesindel habt Ihr sonst im Hause? Macht mir keine Flausen vor,“ fuhr er fort, als die Müllerin antworten wollte, „ich glaub’ Euch doch nichts! Ich werd’ selber nachsehen und Haussuchung halten!“

„Thu’ das der Herr,“ sagte Kordel vortretend „Ich weiß nit, ob der Quasi da war, und will nit hoffen, daß er noch da ist – aber von der Stund’ an bleib’ ich in der Ledermühl’ und steh’ dem Herrn gut, daß er nit wieder hereinkommt!“

Der Brigadier hatte Kordel sogleich respectvoll und soldatisch begrüßt. „Die Jungfer ist hier?“ rief er jetzt. „Sehr charmirt! Schon zurück von der Alm? Hab’ der Jungfer oft nachgefragt … sollte nicht mehr auf die Alm’ gehen, ist keine Beschäftigung für Sie! Wenn Sie Augen haben wollte, es gäbe Männer, die sehr charmirt wären – angesehene Männer …“

„Ich versteh’ den Herrn nicht…“

„Wird schon kommen! Sehr charmirt, daß die Jungfer im Hause bleibt – werde einsprechen! Sie wird nichts Unrechtes dulden im Hause, keine Schwärzer, keine Schnapssäufer…“

„Sicher nicht!“

„Weiß das vorher! Und wäre im Augenblick doch charmirt, wenn die Mühle eine Winkelkneipe wäre … ein Gläschen käme mir nicht ungelegen.“

„Damit kann ich doch aufwarten,“ sagte Kordel und holte ein Fläschchen aus ihrem Bündel hervor, „ich hab’ das dem Vater mitgebracht – es soll gut sein für den Magen und soll die Glieder schmeidig machen. …“ Sie schenkte dem Brigadier ein Glas ein, das er ausstürzte und sich schüttelte. „Ein bischen stark,“ sagte er, „aber eine wahre Herzstärkung! Sehr charmirt! Kann’s brauchen, wir haben einen harten Strauß vor. … Gute Nacht, Jungfer – sehr charmirt!“

Er ging. Bald waren seine Tritte den dunklen Bergweg hinunter verhallt, und nichts regte sich im Umkreise der einsamen Mühle. Nur in dem Gebüsche des Grabens, wo den Tag über der Blöde seine vierfüßigen Spaziergänge gemacht hatte, lauschte wieder eine dunkle Gestalt und starrte unbeweglich zu einem kleinen Fensterchen im obern Stockwerk der Mühle empor, in dessen halberblindeten Scheiben nach kurzer Zeit ein trüber Lichtschimmer aufgegangen war. Der Lauschende war Quasi. Lange und regungslos wartete er und zählte Viertelstunde für Viertelstunde die Schläge der Thurmuhr, welche von der nahen Ramsauer Dorfkrche herauf klangen. „Schon zehn Uhr,“ murrte er endlich, „und um elf Uhr muß ich auf meinem Posten sein! Aber ich geh’ nit von der Stell’, bis ich weiß, wie ich d’ran bin! Ich kann ja dann geschwinder laufen und das Versäumte wieder herein bringen!“

Das Licht war in der Schlafstube Kordel’s, die träumerisch vor sich hinstarrend auf dem armseligen Lager saß. Die Vergangenheit zog an ihr vorüber, eine Reihe trüber Erinnerungen, in welchen dunkle Ranken die wenigen lichten Stellen überwucherten, die etwa aus Tagen aufblickten, da sie als Kind mit den Kieseln des Mühlgrabens gespielt und mit den gefiederten Bewohnern seiner Büsche um die Wette gezwitschert hatte. Dann wandte sie den Blick in anderer Richtung der Zukunft zu, um einem Gewühle von noch dunkleren und unheimlicheren Gebilden zu begegnen. Sie sah eine trostlose, nicht endende Ebene vor sich, ohne jede lockende Erhöhung, ohne erquickende Quellen, ohne stärkenden Schatten – eine Wüste, der Frucht wie der Blüthe beraubt. Sie hatte sich die Verhältnisse im elterlichen Hause schlimm vorgestellt und erwartet, aber noch schlimmer gefunden; der Zustand des unglücklichen Vaters war noch trostloser, noch verwahrloster, der häusliche Verfall noch größer und sichtbarer, als sie Beides bei ihrem Scheiden hinterlassen hatte. Sie durfte, sie konnte nicht mehr fort, das stand klar vor ihrer Seele; dennoch entdeckte sie keine Hoffnung, daß sie durch ihr Opfer etwas bessern und dem Einen oder Andern abhelfen könne. Sie vermochte nichts Gedeihliches zu erwarten von dem Zusammenleben mit ihrer Mutter, deren leichtsinniges Wesen der Zartheit des ihrigen so durchaus widersprach.

Um sich zu beruhigen und auf andere Gedanken zu bringen, ging sie daran, ihre Kleider und Habseligkeiten in den blau angestrichenen und buntgeblümten Schrank einzuschichten, der in der Kammer stand. Sie fand ein Gebetbuch, legte es auf das Bett und kniete davor, indeß hie und da eine Thräne auf die großen Druckbuchstaben und das vermürbte Papier fiel; zuletzt, überwältigt von Müdigkeit, löschte sie das Licht und legte sich, wie sie war, angekleidet auf das Lager.

Kaum war sie eingeschlafen, als sich in der Mühle Geräusch hören ließ; die Holzklinke an der hintern Thüre des Mühlenwerks wurde behutsam und geräuschlos ausgehoben, und Quasi schlüpfte herein. Es war daselbst vollständig finster, aber wohlvertraut mit der Oertlichkeit tastete der Bursch sich an dem einzigen Mahlgange vorüber bis zu den hölzernen Stufen, welche steil und geländerlos auf den Umgang zum Aufschütten des Getreides und von dort in die obern Kammern des Wohnhauses führten. Er stand bald vor Kordel’s Thüre, horchte daran mit angehaltenem Athem, und als nichts in dem Stubchen sich regte, versuchte er, selbe zu öffnen; sie wich seinem Druck, in seiner kummervollen Betrübniß hatte das Mädchen nicht daran gedacht, sie zu verschließen. Mit geräuschlosen Katzentritten schlich er dem Lager zu, das bei dem graulichen Scheine des Fensters trotz der Dunkelheit wohl zu erkennen war. Schon war er nahe an der Bettstelle und konnte schon die Umrisse von Kordel’s Gestalt unterscheiden; schon streckte er die Arme aus, sie zu umfassen, als die Schlafende, von dem Vorgefühl einer unheimlichen Annäherung geweckt, auffuhr und mit einem Schrei dem Fenster zusprang.

„Sei still … mach’ keinen Lärm’,“ rief Quasi halblaut, „ich bin’s!“

„Wer?“ entgegnete sie entsetzt. „Hinaus – ich kenn’ Dich nicht! Wer’s auch ist, hinaus aus der Kammer … hinaus!“

„Bin ich Dir so ganz fremd ’worden, Kordel? Ich bin’s – der Quasi!“

„Hinaus mit Dir, frecher Mensch … was willst bei mir?“

„Eine g’spaßige Frag’! Was will der Bue, der zu seinem Schatz fensterln geht? Plauschen will ich mit Dir und spenzeln und fragen, wann wir die Stuhlfest machen!“

Er versuchte sich ihr zu nähern, aber sie stieß ihn mit entrüstetem Abscheu von sich. „Komm’ mir nit zu nah’,“ rief sie, „mach’ Du die Stuhlfest, mit wem Du willst – ich hab’ Dir’s schon gesagt, daß ich nichts mehr wissen will von Dir!“

„Das ist nichts als Spreizerei!“ entgegnete er zudringlich. „Warum willst wohl nichts mehr wissen von mir? Du hast doch schon einmal Dein Klamperl (Makel) von mir und mußt aushalten bei mir – also gieb Dich lieber gutwillig drein!“

„Das sagst mir selber in’s Gesicht und schamst Dich nit?“ sagte Kordel mit wiederkehrender Besonnenheit, aber bebend vor Entrüstung und Unmuth. „Und doch wird’s nit so sein, wie Du meinst! Daß ich Dir einmal angehört hab’, das bring’ ich freilich nit wieder los … aber die Leut’ sollen seh’n, daß ich wenigstens nit d’rin stecken bleiben will in der Schand’!“

„In der Schand’?“ rief Quasi mit wutherstickter Stimme. „Also eine Schand’ wär’s, wenn Du mein Weib werden thätst? Das will ich Dir merken, Kordel! Das sollst mir nit umsonst gesagt haben. … Und jetzt sollst Du erst ganz gewiß mir angehören! Jetzt mußt aushalten mit mir in meiner Schand’ … wann sie so tief wär’ wie der Hintersee … hinein mußt, Kordel, und hinunter bis auf den Grund. …“

Er wollte auf sie eindringen, als von der Straße her ein leiser schrillender Pfiff erscholl, wie der Schrei eines Nachtvogels. „Halt’ Dich still,“ rief Quasi, indem er Kordel ergriff, vom Fenster wegriß und auf’s Lager schleuderte. „Das kommt gerade recht!“ Ehe das halb betäubte Mädchen es fassen und hindern konnte, hatte er das Fenster aufgerissen, wiederholte den Pfiff und rief leise hinunter. „Wer ist da? Was willst?“

„Bist Du’s, Lateinischer?“ rief eine gedämpfte Stimme entgegen; der „Lateinische“ war der Spitzname, unter welchem er bei Schwärzern und Landstreichern bekannt war, weil ihnen der Name des heiligen Quasius zu befremdlich und unbekannt dünkte. „Wie kommst da hinauf?“

„Ist das nit der Hennenrupfer? Grüß Gott und frag’ nit so dumm – wie kommt der Bue zu sein’m Schatz!“

„Zu der Kordel! Hat’s doch geheißen, sie mag Dich nit mehr! Hat also doch wieder klein beigeben?“

„Weißt ja, wie’s geht mit den Madeln!“ lachte Quasi frech. „Aber wo kommst her, Hennenrupfer, wo gehst hin?“

„Ich hab’ mich verspät’ unterwegs, auf’m Wachterl droben,

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