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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


auch zuletzt selbst mit einer Flucht aus Schweden in Zusammenhang zu bringen, wenn dieselbe nur über Frankreich sich gerichtet hätte. Mehr nach einer abenteuerlichen Erfindung schmeckt aber die weitere Beigabe, daß die Flüchtige auf der Flucht ihre einzige Tochter verloren habe, daß dieselbe unter eine Seiltänzertruppe gerathen sei, welche im Vorüberziehen auch den Gleißberg bestiegen habe, daß da die Tochter, ohne es zu wissen, mit der Mutter gesprochen habe. Dann sei die Truppe weiter gezogen nach Jena, Weimar und Erfurt. Hier habe die junge Seiltänzerin, welche durch ihre Schönheit und Grazie allerorts die Herzen bezaubert habe, die Augen eines jungen Fürstensohnes (den Namen nennt die Fabel nicht) so auf sich gezogen, daß er beim Director der Truppe um die Hand des Mädchens förmlich angehalten habe, derselbe habe aber erklärt, daß das Mädchen nicht, wie er es ausgegeben, sein Kind sei, daß sie vielmehr ein Fürstenkind sei. Zum Schluß dieses gewöhnlichen Romans habe denn natürlich der ebenbürtige Fürst von dem Vater, Fürst von B., welcher in Wien beim Congreß gewesen sei, die Hand der Tochter erhalten. Wir überlassen diese und andere Phantasieproben zur Aufklärung des Geheimnisses sich selbst. Vor der Hand ist und bleibt diese schwedische Gräfin eine Dritte[1] im Bunde mit Caspar Hauser und der eisernen Maske, eine unenthüllte Erscheinung.

Müssen wir denn überhaupt den Schleier über die Geheimnißvolle lüften? Wer weiß, ob wir damit der Todten nicht wehe thun, da die Lebende ihn so ängstlich bewahrt? Und liegt nicht in dem Geheimnisse oft mehr Reiz als in der enthüllten Wahrheit? Einst vielleicht zu einer Sage des Saalthals geworden, bleibe sie für uns jetzt noch die geheimnißvolle schwedische Gräfin von der Kunitzburg.

Fr. Hbg.


Eine Nacht in Missouri.
Erinnerung eines amerikanischen Freiwilligen.
(Fortsetzung.)


„Ich denke aber anders, Sir, und bitte Sie, den Mann gefälligst frei zu geben!“ erwiderte mein bisheriger Begleiter zu dem Patrouillenführer, seine Augen unmuthig zusammenziehend. „Er ist freiwillig nach unserm Lager gekommen, hat sich meinem Schutze anvertraut, will in unsere Reihen treten, und Niemand soll sagen, daß ihm bei uns ungehörige Gewalt angethan worden ist. General Price soll selbst über den Mann entscheiden!“

Ein häßlicher Zug legte sich um den Mund des Ersteren. „O, Sie kommen eben von einem guten Abendbrod aus Ihrem eigenen Hause,“ sagte er; „wenn ich aber den Mann für verdächtig halte, so werden Sie hoffentlich nichts dagegen haben; ich meine, ich habe das Gesicht schon einmal gesehen und nicht in Laclede County. Denken Sie doch nur daran, daß Sie sich selber nicht verdächtig machen – Mr. Werner!“ Der Sprechende legte einen so besondern Accent auf den deutschen Namen, daß mir es sofort klar wurde, wie dieser schon hinreiche, um unter den Secessionisten ein volles Vertrauen zu schwächen; zugleich aber wußte ich nun auch, daß der Träger dieses Namens zu den Angehörigen jenes Hauses gehöre, das mir durch die Sauberkeit und Ordnung seiner Umgebung so aufgefallen.

„Well, Sir,“ sagte ich mit Bestimmtheit, der Antwort meines Begleiters zuvorkommend, „ich werde meinen Weg zum General finden, mögen Sie mich jetzt hier auch festhalten und ausrauben; dann aber werden wir ja erleben, was Die zu erwarten haben, die mit dem besten Willen nach dem Lager kommen. Ich bin auch von deutscher Abstammung, Sir, heiße Reuter, und wenn Sie etwas Weiteres wissen wollen, so habe ich ein Paar tüchtige Fäuste, die ihren Mann zu vertheidigen wissen – hoffentlich werden ja wohl nicht Alle hier den Dieb an mir machen wollen!“ und im gleichen Augenblick hatte ich mich mit einem kräftigen Ruck seiner Hand entzogen, mich ihm mit vorgehaltenen Fäusten gegenüberstellend. Ich wußte, daß mit dieser Art Leuten in ihrer eigenen Sprache geredet werden mußte, wollte man etwas bei ihr erzielen, und daß ein Zurückweichen ihre oft feige Brutalität nur verstärkte – hier indessen schien ich fehlgegriffen zu haben. „Sei verdammt für den „Dieb“!“ schrie der Mensch auf, während er das Gewehr an die Backe riß; im nämlichen Augenblicke aber hatte auch mein Begleiter schon die Waffe in die Höhe geschlagen, während sich zwei Mann aus der Patrouille zwischen uns warfen. „Halt, Stevens, halt, es scheint ein braver Kerl zu sein; der General könnte uns schon um der Hühner willen schlimm heimleuchten!“ hörte ich in einzelnen abgerissenen Rufen, und Stevens senkte mit einem giftigen Blicke das Gewehr. „Gut, so kommt er mit uns nach dem Lager,“ sagte er nach einem kurzen sichtlichen Kampfe mit sich selbst, „aber verdammt will ich sein, wenn ich das Gesicht nicht kenne, und Gnade ihm Gott, wenn nicht Alles richtig mit ihm ist!“ Er gab seiner Mannschaft einen kurzen Befehl, mich zwischen sich zu nehmen, und so setzten wir uns im Geschwindschritt dem Lager zu in Marsch.

Nach kaum fünf Minuten wurden die Gruppen um die nächsten Lagerfeuer deutlich erkennbar, und ich gestehe ehrlich, daß vor dem Ernste meiner Lage, die erst jetzt recht deutlich vor mich trat, mir das Herz stärker zu schlagen begann. Wohin ich auch blickte, konnte ich nur ähnliches Gesindel, wie das, zu welchem mein augenblicklicher Hüter gehörte, entdecken, Menschen, die sich im Kampfe wohl eben so todesverachtend zeigen würden, wie sie dies bei jeder Massen-Schlägerei mit Messer und Revolver zu thun gewohnt waren, in denen aber kaum ein anderes Gefühl als die Rohheit der Bestie leben mochte, und die sich wohl auch nur aus der Lust an blutigen Raufereien dem jetzigen Kampfe gegen die „damned Dutchmen“ – denn in Missouri war der Krieg gleich beim Beginn zu einem Kampfe der deutschen und amerikanischen Nationalitäten ausgeartet – angeschlossen hatten. Kartenspiel und Flüche, hier und da wohl auch ein Lustigmacher, der einen Negertänzer nachäffte, schienen die einzige Unterhaltung abzugeben, und erst als wir, ohne besonders beachtet zu werden, fast bis zur Mitte des Lagerplatzes gelangt waren, begann sich der wüste Lärm, welcher uns bis dahin begleitet, zu legen; ich sah die Uniform einiger regelmäßigen Miliz-Compagnien aus St. Louis, zu welchen nur Vollblut-Amerikaner gehörten, erscheinen; dann öffnete sich ein weiter Raum, in dessen Mitte ein einzelnes Lagerfeuer loderte, und zwanzig Schritte vor dem letzteren wurde gehalten, während der Patrouillenführer und mein anfänglicher Begleiter sich von uns lösten, um dem Feuer zuzuschreiten.

Ich hatte volle Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Jedenfalls waren wir in der Nähe eines der höhern Officiere, und der Haupttheil meiner Rolle begann; wie ich aber, selbst wenn ich ohne Verdacht blieb, mich unbemerkt aus der Mitte dieser lagernden Menge stehlen sollte, erschien mir für den Augenblick noch unerklärlich; geradezu unmöglich aber ward die Aufgabe, wenn ich als verdächtig beobachtet wurde, wozu dieser Stevens die beste Neigung zu haben schien. Indessen sollte ich mich nicht lange mit unnützen Grübeleien zu quälen haben. Stevens erschien wieder und forderte mich mit einem barschen Winke zum Folgen auf. Vor das Feuer war jetzt ein Officier in reicher Uniform, von einigen gleichfalls uniformirten Begleitern umgeben, getreten; was die Rückseite des Feuers barg, deuteten mir nur die ab- und zugehenden Ordonnanzen von den St. Louiser Miliz-Compagnien an – keinesfalls hatte ich es in dem mich Erwartenden mit dem General Price selbst zu thun.

Mein Examinator war ein echter Südmann mit bleichen Zügen, dunkelm Haar und Barte und schwarzen, blitzenden Augen, welche bei meiner Annäherung auf mir ruhten, als wollten sie in das Geheimste meiner Seele dringen. „Was hat Sie in’s Lager geführt, Sir?“ fragte er kurz.

„Dasselbe, was auch wohl Andere hierher gebracht, Sir,“ erwiderte ich, meiner Stimme die möglichste Festigkeit gebend; „ich habe die letzten Hühner und Eier von unserer Farm genommen, um sie dem General zu bringen und nebenbei zu fragen, ob hier ein Gewehr für mich übrig ist!“


  1. Ueber eine vierte solche Erscheinung, die geheimnißvolle Gräfin zu Eishausen bei Hildburghausen, wird die Gartenlaube nächstens berichten.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_190.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)