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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

da sie in der uralten Sanskritsprache einen Namen hat, in Indien seit unvordenklicher Zeit die Pflege des Menschen genossen haben.

Unser Gartensalat wird als Abart des in den Kaukasusländern heimischen, jetzt fast in ganz Deutschland verwilderten Lattichs (Lactuca scariola) betrachtet, dessen Milchsaft nicht, wie der seines nächsten Verwandten (Lactuca virosa), giftig wirkt. Schon die Perser zu Kambyses’ Zeit genossen den Salat; bei den alten Griechen und Römern stand er in hohem Ansehen, Virgil singt von ihm, daß er „die edleren Schmäuse beschließe.“ Bei uns ist er zur sommerlichen Alltagsspeise geworden, welche die Melonen der Südländer ersetzt. Die Endivie, unserer Cichorie ganz nahe stehend, scheint aus Ostindien zu stammen und ist in China urväterliches Salatkraut. Die Gartenkresse, deren schnell keimenden Samen Liebende zu grünen Namenszügen erwachsen lassen, um später die herben Blättchen zu verspeisen, wächst wild auf der in alter Zeit der Liebesgöttin geweihten Insel Cypern. Der nicht so häufig als Salat gegessene Boretsch ist auch ein Orientale.

An die Salatpflanzen reiht sich passend die Gurke an. Von ihr und ihren Verwandten, dem Kürbis und der Melone, kennt man zwar – wie auch von den meisten Hausthieren – die ursprüngliche wilde Stammart nicht mehr; man weiß aber, daß alle drei im warmen Morgenlande zu Hause sein müssen, weil sie sehr früh von den Asiaten angebaut worden sind und ihr kältescheues Wesen nicht haben ablegen können. Die alten Israeliten, welche die Wassermelonen in Aegypten kennen gelernt hatten, zogen Kürbisse und Melonen (sprüchwörtlich sind die Kürbisse des Jonas geworden); auch bei Griechen und Römern wurden diese Gewächse gepflegt, letztere erzogen die Gurken schon in Mistbeeten.

Von Wurzelspeisen hat Asien den Gärten nichts geliefert, als das aus China stammende Radieschen, welches indeß, zugleich mit seinem europäischen, minder sanften Vetter, dem Rettig, in den Augen der Biertrinker alle andern Wurzeln überwiegt. Als Kohlpflanze hat Asien die Gartenmelde bescheert, die aus der Tatarei stammt und jetzt hier und da in Deutschland verwildert ist.

Am reichsten hat uns der Erdtheil, der auf seinen Inseln und Halbinseln Pfeffer, Zimmt, Muscat und Nelken erzeugt, mit Gewürzpflanzen versorgt. Zur Verfeinerung des Gebäcks liefert Asien den Nebenbuhler des bei uns wild wachsenden Kümmels, den Anis; zur Würzung des Essigs und Senfs den aus der Tatarei und Sibirien stammenden Estragon, einen nahen Verwandten unserer Gänsebratenwürze, des Beifußes; als stechendes Reizmittel, das vielen Zungen gerade deshalb zusagt, weil es wie ein Zerrbild unschön, aber reizend ist, lieferte Asien die mancherlei Lauch- und Zwiebelarten. Die Griechen waren schon im Alterthum so leidenschaftliche Knoblauchesser, wie sie es jetzt im Wetteifer mit den Spaniern sind. In Aegypten war der Genuß des Lauchs und der Zwiebeln den Isispriestern verboten; die gemeinen Aegypter müssen aber gewaltige Liebhaber dieser Speisen gewesen sein, wenn auch an Herodot’s Angabe, daß bei dem Baue einer einzigen Pyramide an Knoblauch, Zwiebeln und Meerrettig für mehr als zwei Millionen Thaler verzehrt worden sei, einige Nullen überschüssig sein mögen. Der Knoblauch scheint sein Heimathland in den ungarischen Steppen zu haben. Die Zwiebel findet sich nicht mehr im wilden Zustande, stammt aber jedenfalls aus Asien.

So hat uns denn die geschichtliche Betrachtung der Gemüse weit über Italien und über die Römerzeit hinausgeführt. Die Römer, denen wir zunächst die meisten der bisher genannten Gartenpflanzen verdanken, waren wohl nur für wenige die ersten Anbauer; aber sie behalten das Verdienst, bei ihren Eroberungszügen und Handelsfahrten, die Unheil genug geschaffen haben, die Verbreiter der Errungenschaften alter Culturvölker geworden zu sein.

Es scheint nicht, daß Afrika darauf Anspruch machen dürfe, die Urpflegerin einer Gemüsegarten-Pflanze zu sein, obgleich wahrscheinlich manche der den südlichsten Ländern Europa’s entlehnten Küchenkräutern auch am Nordrande des Atlas wild wachsen. Sicher steht, daß Neuholland, dessen arme Urbewohner von der Natur weder ein Hausthier, noch eine dankbare Culturpflanze zum Angebind erhielten, in unsern Gärten keinen Vertreter besitzt.

Amerika hat uns nur wenige Arten von Nahrungspflanzen, darunter aber eine geliefert, die so massenhaft angebaut und genossen wird, daß man ihre Knollen schon lange nicht mehr als Zukost und Gemüse, sondern als einen mit dem Getreidemehle gleichberechtigten Nahrungsstoff bezeichnet. Noch vor 100 Jahren waren die Kartoffeln indeß bei uns noch eine Gartenpflanze, was sie auch jetzt in den armen Dörfern des Erzgebirges und im nördlichen Scandinavien ist, und zwar meist als alleiniger Inhaber aller Beete. Auch sie liebt, gleich dem Mangold, Sellerie, Kohl und Spargel, als Wildling die Nähe des Meeres, sie wächst ursprünglich auf felsigem Boden längs der Küsten von Peru und Chili. An Zahl der Spielarten übertrifft sie alle andern Knollengewächse.

Außer diesem mehr als irgend eine Gartenpflanze von weltgeschichtlicher Bedeutung gewordenen Knollengewächse hat uns Amerika noch zwei Wurzelgewächse dargeboten, die indeß kein großes Glück gemacht haben. Die aus Peru stammende Erdbirne (Topinambur), die Schwester der Sonnenblume, ist wegen der Fadheit ihrer wäßrigen Knollen nunmehr fast aus den Gärten verschwunden und wird nur als Viehfutter auf dürren Feldern gezogen; die andere, die schön blühende Nachtkerze oder Rhapontik (Oenothera) ist dermaßen in Ungnade gefallen, daß sie in den Gärten wohl gar nicht mehr gefunden wird, dagegen ist sie als Gartenflüchtling an Straßenrändern und auf Flußgeröllen verwildert.

Der Mais, dessen unreife Körner in Nordamerika als Gemüs anstatt der Zuckererbsen genossen werden, tritt in unsern Gärten nur als Zierpflanze auf.

Von Gewürzpflanzen hat uns Amerika blos den spanischen Pfeffer dargeboten, dessen brennenden Geschmack indeß die Deutschen nicht so lieben, wie die Engländer, welche sich dieses wahrhaft feurige Gewürz in ihren Colonien angewöhnt haben mögen.

Damit hätten wir denn unsere geschichtliche Heerschau im Gemüsegarten beendigt und überlassen es dem stillen Nachdenken des Gartensfreundes, sich in Betrachtungen über all die weltgeschichtlichen Ereignisse zu versenken, welche vorhergehen und zusammenwirken mußten, um unsere Gartenbeete zu einer solchen Prachtsammlung von Leckerbissen zu erheben. Wir sehen Chinesen, Perser, Aegypter, Griechen und Römer als thätige Gärtner; wir erkennen, wie Kriegszüge und Ansiedlungen von Missionaren und Mönchen, wie tausend Entdeckungsreisen und Handelsfahrten nöthig waren, um alle die Fremdlinge zusammenzubringen, die wir jetzt auf deutschem Boden erziehen; wir beobachten, daß nicht nur die Lust am Neuen, sondern auch religiöse Satzungen, z. B. die Fastenzeit, die Zahl der Culturpflanzen gemehrt, aber auch gewisse Pflanzen in Verruf gebracht haben; zum Schlusse verfolgen wir mit Antheil die Wanderungen, welche unsere einheimischen und eingeführten Gemüsepflanzen in neuester Zeit über die ganze Erde machen. Am Cap der guten Hoffnung, in Brasilien, in Nordamerika, in Australien, wo sich nur irgend europäische Ansiedler niedergelassen haben, werden die meisten unserer Küchengartenpflanzen angebaut. Manche freilich, z. B. die Erdbeeren und Himbeeren, gedeihen in heißen Ländern nicht; die meisten dagegen sind wahre Allerweltspflanzen und kommen, mit Ausnahme der Polargegenden, überall fort. Ein vorzügliches Gemüseland scheint Californien werden zu sollen; auch Südaustralien läßt unsere Gemüse vortrefflich gedeihen; es klingt gar befremdend, wenn man im Haushaltungskalender für Adelaide liest: „Im October lege Bohnen und Gurkenkerne; im December säe Blumenkohl.“

Zuletzt regt sich in dem, der in der traulichen Gartenlaube die Geschichte der Gärten erwägt, noch die Lust, in die Zukunft zu blicken. Werden, so fragt man sich, unsere Gemüsebeete noch wesentliche Bereicherungen erfahren? Es scheint nicht so. Was die gemäßigten Erdgürtel an dankbaren Pflanzen bieten, ist seit uralter Zeit in unsere Gärten aufgenommen; die tropischen Gemüsepflanzen dagegen haben bis jetzt keine so ausgezeichneten Vorzüge geoffenbart, daß man an ihre im Erfolge zweifelhafte und jedenfalls große Kunst und Mühe erfordernde Zucht denken möchte. Unsere seit Jahrhunderten gebauten Gemüse- und Obstpflanzen liefern ja für jede Tonart des Geschmacks so treffliche Vertreter, daß wir keinen Grund haben, uns nach andern umzusehen. Selbst die Ananas, die als Leckerei für vornehme Tafeln in manchen Warmhäusern gezogen wird, möchten wir nicht gegen die Erdbeere vertauschen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_187.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)