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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


„Mir scheint aber, trotz Ihres geläufigen Englisch, als wären Sie selbst ein Deutscher!“ gab er mit scharfem Blick zurück.

„Mag wohl noch so etwas in meiner Sprache klingen,“ erwiderte ich, gerade auf diese Aeußerung längst vorbereitet, „meine Großeltern kamen als Deutsche in’s Land, und meiner Mutter ist die Deutsche bis zu ihrem Tode anzuhören gewesen. Das Alles hat aber mit mir nichts zu schaffen. Ich bin in Laclede County geboren, bin schon als Junge ein guter Demokrat gewesen und wünsche jetzt, daß die Republikaner, Deutsche, Irische oder Amerikaner, zur Hölle gehen – das ist Alles!“

„Und wahrscheinlich wollen Sie sich da jetzt den Truppen des Governor anschließen?“ fragte er mit einem lauernden Lächeln.

„So ist es, Sir!“ versetzte ich bestimmt, „vorausgesetzt, daß ein Gewehr für mich übrig ist. Was noch auf der Farm zu nehmen war, habe ich mitgebracht – zwei Hühner und ein Dutzend Eier für den Gov’rnor oder den General – Andere mögen mehr gethan haben, aber ich hatte nichts Besseres.“

Er sah mich noch immer wie halb unsicher an. „Well, Sir, die Abkömmlinge von Deutschen haben im Lügen meist die wenigste Fertigkeit,“ sagte er endlich langsam, „es giebt auch deren so Manche hier herum, die scharf zur guten Sache des Südens stehen, und so will ich Ihnen glauben. Wir gehen allerdings denselben Weg, und habe ich Sie hier examinirt, so erspart Ihnen das viele Worte bei unserer Ankunft!“ Er warf die Büchse über die Schulter, winkte mir den Weg fortzusetzen und schritt dann, immer einen Fuß zurück, an meiner Seite her. Ich aber betrachtete diese Begegnung als ein glückliches Omen für die Ausführung meines Vorhabens; durch ihn schon halb legitimirt, konnte mich ein besonderer Verdacht kaum mehr treffen, und fing ich meine Sache nur einigermaßen klug an, so konnte mir auch mein Rückzug im Laufe der Nacht nicht allzuschwer werden. „Scheint ein ganzes Theil Reiterei bei sich zu haben, der Gov’rnor,“ begann ich nach einer kurzen Weile schweigsamen Marschirens, wie nur um ein Gespräch zu beginnen, und deutete auf das zertretene Gras.

„Möchten wohl gern genau wissen, wie viel?“ klang es in einem so eigenthümlichen Tone zurück, daß ich mich rasch umwandte und mit meinem Manne wieder plötzlich Aug’ in Auge stand.

„Warum nicht, wenn Sie mir’s sagen können?“ erwiderte ich ruhig, „ist die Frage nicht erlaubt?“

„Sie tragen mir nur zu feine Hemden für einen Farmerburschen aus Laclede,“ versetzte er mit einem neuen Lächeln finstern Mißtrauens auf meinen linken Arm deutend, wo unter dem etwas zu kurzen Rockärmel die Manschette meines Hemdes herumgekrochen war, und es bedurfte in diesem Momente aller meiner Selbstbeherrschung, um keine Verlegenheit zu zeigen. Indessen half mir das Bewußtsein, mit welchem ich ausmarschirt, nur durch dreiste Lügen zu meinen Zwecke gelangen zu können, rasch zu völliger innerer Fassung. Bei dem früheren Worte meines Begleiters: daß er mir glauben wolle, weil die Abkömmlinge von Deutschen im Lügen keine Fertigkeit besäßen, war mir es allerdings wie eine Art Scham in der Seele aufgestiegen; indessen führten wir Krieg gegen einen Feind, der keine Rücksicht irgend welcher Art gegen uns kannte, der harm- und wehrlose Deutsche in St. Louis mit der scheußlichsten Brutalität gemordet, den unionstreuen Landbewohnern Nachts die Häuser angezündet und mit einer unglaublichen Rohheit überall dem einfachsten Menschenrechte Hohn gesprochen hatte; wir führten Krieg gegen wilde Raubthiere, in welchem jedes Mittel zum Zweck ein erlaubtes und ehrenhaftes war. „Wissen Sie wohl,“ sagte ich, meinen Rockärmel aufstreifend und die Manschette ruhig wieder zurückschlagend, „daß ich versucht war, Sie Ihrer vorigen Aeußerungen halber ebenfalls für deutsch-amerikanisches Blut zu halten? Ich habe mich freilich geirrt, denn sonst müßten Sie wissen, daß die meisten der alten deutschen Einwanderer im Staate den gebildeten Ständen angehört und daß sie auch hier ihren Kindern und Enkeln immer die bestmöglichste Erziehung gegeben haben. Ich selbst habe vor Jahren das College in St. Louis besucht, und wenn ich jetzt ein anständiges Hemd trage, so geschieht das, weil ich es so gewohnt bin. Meine Kleider sind schlecht, aber ich wollte mir bessere nicht unterwegs möglicherweise vom Leibe ziehen lassen. Im Uebrigen habe ich mit Ihnen nichts zu thun, sondern nur mit dem General oder dem Governor, dem ich meine Hühner und Eier bringe!“ Ich wandte mich mit einer Bewegung des Unmuths ab, rasch weiter schreitend, und wortlos folgte mein Begleiter.

„Gut, Sir, Sie mögen richtig gerathen haben, ich bin selbst von deutschen Großeltern,“ begann er nach einer Weile, als wolle er damit von mir eine neue Aeußerung herausfordern; mir aber schien es am gerathensten mich nicht in weitere, zu tiefe Untersuchungen einzulassen.

„Sie sagen es, und somit ist es gut,“ erwiderte ich, ohne meinen Schritt anzuhalten, „ich aber habe in Ihrer Weise gegen mich noch nichts davon gemerkt!“ Von da an fiel kein weiteres Wort zwischen uns, bis wir nach Verlauf von vielleicht einer Viertelstunde eine weite, waldlose Hochebene erreicht hatten und den Schein einzelner Feuer in kurzer Entfernung sich wundersam mit dem Lichte des Mondes mischen sahen. Noch funfzig Schritte weiter, und ein kräftiger Anruf erfolgte. „All right!“ gab mein Begleiter zurück und schritt mit einem Winke an mich, stehen zu bleiben, auf den Posten zu, welcher hinter einem Busche des eigenthümlichen hohen Unkrauts aufgetaucht war. Nur wenige Worte tauschten Beide aus, dann ward ich herangewinkt und unter dem musternden Blicke des Streiters für die Südrechte, welcher übrigens in seinem verlumpten Aeußern meine bisherige Vorstellung von dem „Gros“ der Secessionsmacht völlig bestätigte, folgte ich meinem jetzt rasch den Feuern zuschreitenden Führer. Sobald wir den ersteren nahe genug waren, um etwas zu erkennen, gingen alle meine Sinne in mein Auge über. Ich hatte den Blick über das ganze Lager und strebte schon jetzt, mir eine Idee über die ungefähre Stärke des Feindes zu machen; war ich einmal in das Gewühl vor uns gerathen, so fand sich, wenn ich nicht verdächtigende Fragen thun wollte, vielleicht keine Gelegenheit zu einer annähernd richtigen Schätzung des Ganzen wieder.

Links hinüber konnte ich deutlich zwischen den Lagerfeuern die Reihen der Pferde, deren Wiehern bis zu unseren Ohren drang, sehen, und die ganze Aufstellung sagte mir, daß der Oberbefehl in völlig kriegserfahrener Hand liegen müsse. In bedeutend größerem Umfange als das uns’rige breitete sich das übrige Lager aus, von dem ein wildes Summen, hier und da durch lautere, schnell verhallende Rufe übertönt, herüber klang; jetzt sah ich auch grobes Geschütz im Feuerscheine glänzen – zwei Stück waren indessen Alles, was ich trotz scharfen Suchens zu entdecken vermochte, und in dem Drange, mir Gewißheit über die Stärke dieser Waffengattung zu verschaffen, wandte ich mich nach meinem Begleiter. „Ein paar von den Brummern dort mehr, Sir, könnten eigentlich nichts schaden!“

Der Angeredete drehte mir rasch die gerunzelte Stirn zu. „Ihnen aber könnten dergleichen vorlaute Worte schaden, Sir; Sie haben ein merkwürdig rasches Auge für einen ruhigen Farmer.“

Ein lautes: „Halloh, Charley, wen haben wir denn hier?“ in unserem Rücken schnitt meine Antwort ab, und im nächsten Augenblicke waren wir von fünf oder sechs Bewaffneten, welche allem Anscheine nach von einer Patrouille zurückkehrten, umringt; der Führer derselben aber, eins der echten Raufbold- und Vagabondengesichter, wie sie an der Mississippi-Landung in St. Louis zu Hause sind, und der sich von den dortigen Gestalten nur durch sein Gewehr unterschied, legte die breite knochige Hand fest auf meine Schulter. Es zuckte in mir, den Griff von mir zu weisen, aber noch zeitig genug bezwang ich die unwillkürliche Regung.

„Bin selbst noch nicht ganz im Klaren!“ erwiderte mein bisheriger Begleiter, während sein Gesicht indessen ein halbes Mißbehagen über die vertrauliche Begegnungsweise des Andern zeigte, „er will aus Laclede County sein und hat Eier und Hühner für den General oder Governor im Sacke!“

„Halloh, halloh, Eier und Hühner!“ lachte plötzlich der Patrouillenführer in der rohen Weise seines Gelichters auf, während seine Hand mit festerem Drucke meine Schulter faßte, „ich sage, Charley, das Kind ist verdächtig, sonst müßte es wissen, daß die getreue Missouri-Bevölkerung weder den Governor noch den General an solchen Leckerbissen Mangel leiden läßt, während die Armee freilich in alten Speck und verdorbenes Pökelfleisch beißen muß. Ich schlage vor, wir examiniren ihn selber gründlich, geben ihm nach Befinden, was ihm gehört, und berechnen ihm, was er bei sich hat, als Gebühren des Kriegsgerichts!“

(Fotsetzung folgt.)
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