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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Zukunft. Da kamen aber „böse zischelnde Zungen“, die von einem bereits seit Jahren bestehenden Verhältniß mit einer verheirateten Frau in Wien sprachen – die nichts unversucht ließen, den eben von Glück Träumenden aus seinen Himmeln zu reißen. Bitterkeit und Mißtrauen gegen die Menschen, dazu wieder seine alte Aengstlichkeit um nachhaltige Existenz stiegen wechselweis in seiner zweifelsüchtigen Seele auf und warfen den kaum Hoffenden wieder zu Boden. Seine damalige Stimmung und deren unmittelbare Folge erhellen am Klarsten aus der Stelle eines Briefes, den er aus dem Hofrath Reinbeck’schen Hause schrieb, wo er die Aufnahme eines Freundes, eines Sohnes fand. … „Nach einer Einsicht in die Reinbeck’schen Wirthschaftsbücher hab’ ich mich überzeugt, daß ich selbst in Stuttgart mit weniger als 2000 Gulden rheinisch als verheiratheter Mann nicht bestehen könnte. Wie wenig ich auf meine poetischen Erwerbnisse (sein Contract mit Cotta war noch in der Schwebe) sicher zählen kann, ersehe ich aus dem bodenlosen Mißmuthe, in welchen mich schon jetzt eine bloße theoretische Berechnung meines wahrscheinlichen künftigen Elends gestürzt hat. Letzten Sonntag, vor vier Tagen, saß ich mit Reinbeck beim Frühstück. Da fiel mir plötzlich das ganze Gewicht meiner Lage auf’s Herz. Ich sprang auf mit einem Aufschrei des höchsten Zorns und Kummers, und im gleichen Augenblick fühlte ich einen Riß durch mein Gesicht. Ich ging an den Spiegel, sah meinen linken Mundwinkel in die Höhe gezerrt, und die rechte Wange war total starr und gelähmt.“

Mit diesem Riß, der sein Gesicht durchzuckte, begann der große Riß in seiner Seele – er fand von Stund an eine unheimliche Lust darin, die Gestörtheit seines Geistes zu prophezeien und sich mit dem Tode in Rapport zu setzen. Ein Brief, den er aus Wien erhielt und dessen Inhalt ihn offenbar im höchsten Grade beunruhigte und verstimmte, war der letzte und bitterste Tropfen, der das Gefäß überfließen machte – und in der darauf folgenden Nacht trat auch wirklich der erste stärkere Paroxysmus seiner Tobsucht ein, indem er ganz schlaflos blieb, eine fürchterliche Angst und Verzweiflung sich seiner bemächtigte, und er mit Fäusten um sich schlug, Selbstmordsgedanken in ihm aufstiegen, und er in einem unbewachten Augenblicke durch das ebenerdige Fenster auf die Straße sprang.

Es kann nicht in unserer Absicht liegen, die einzelnen wiederkehrenden und sich bis zum Entsetzen steigernden Züge dieser Periode zu detailliren – sie sind bekannt genug. Als die unglückliche Braut, welche auf die Nachricht von des Dichters Zustand mit ihrer Mutter sogleich nach Stuttgart aufbrach, in Heidelberg auf die kommende Post warten mußte, nimmt sie unwillkürlich eine Zeitung zur Hand und liest die furchtbaren Worte: „Lenau ist wahnsinnig und liegt in der Zwangsjacke“ –

Am 21. October 1844 wurde er vom Hofrath Zeller nach der nahen Heilanstalt Winnenthal abgeholt. Es verbreitete sich in Stuttgart das Gerücht, dort sei am nämlichen Tage, wo man Niembsch nach Winnenthal brachte, ein trefflich dargestelltes Stück gegeben worden, welches sein Schicksal ganz enthalte: Scribe’s „Fesseln“. Wer von den Lesern dieses Drama nicht kennen sollte, der lese es nach, es wird ihm den treuesten Commentar zur Herzensgeschichte unseres Dichters liefern.

Die erschütternde Kunde, die sich auch bald in Wien von Lenau’s Krankheit verbreitete, führte Freunde wie Bauernfeld und Anastasius Grün nach Winnenthal, um durch ihr persönliches Erscheinen ein günstiges Resultat zu erzielen. Umsonst! Die einst ihm so theuern Gefährten gingen wie Schatten vorüber an seinem leiblichen wie geistigen Auge. Selbst für seinen treuen Schwager Schurz, der schließlich kam, das mühevolle Werk zu übernehmen, den Kranken in die Heilanstalt Döbling bei Wien überzuführen, hatte er nur zeitweilig Gedächtniß. Nie sollte die leiseste Rückerinnerung in ihm wiederkehren – bis zu seinem Tode sollten die Nebelschleier eines gestörten Geistes sein ödes Dasein überschatten. Nur einmal, so theilt sein Wärter in Döbling mit, habe ihm Niembsch beim Spaziergang im Garten auf die Frage: „Wissen Sie, daß Sie Herr von Niembsch sind, der Große?“ geantwortet: „O, Niembsch ist jetzt klein geworden.“

Lenau’s Aussehen und Zustand in der letzten Zeit seines Lebens und Leidens schildert uns der Maler Aigner in charaktervollen, ergreifenden Zügen. „Als wir in Lenau’s Zimmer in Döbling traten, zeigte sich uns ein wahrhaft erschütterndes Bild. In einem braunen Lederstuhl saß die gebrochene Gestalt mit der kranken Seele, ein gelblich bleiches Gesicht, langes, hinter die Ohren gestrichenes Haar, voller Bart, und ein Auge so voll Leiden und ganz unbeschreiblicher Wehmuth begegnete fragend meinem Blick, daß es mir das Herz zerschneiden wollte. Auf die freundlich gegebene Erklärung des Arztes, daß er jetzt gemalt werde, stieg ein leises Wimmern aus seiner Brust als Antwort auf. Aufmerksam folgte er mit den Augen allen Vorbereitungen, die nöthig waren, bis er zum eigentlichen Sitzen kam. Endlich konnte ich beginnen, fieberhaft aufgeregt entwarf ich rasch mit Kreide auf Leinwand die Contouren und fing zu malen an. Zusammengekauert, die Hände auf der Brust gefaltet, den Kopf gesenkt, begegnete der Strahl seines Blickes immer dem meinigen, so oft ich ihn ansah, aber regungslos ließ er mich gewähren, nur stieg in immer kürzeren Zwischenräumen der leise, tiefeinschneidende, wehklagende Ton aus seiner Brust, der mich so ergriff, daß ich meiner kaum mehr mächtig war; langsam drängte sich eine Thräne aus meinem Auge und schmerzhaft folgte mir eine zweite, die mein Schauen verdunkelte; in demselben Momente stößt der Kranke ein krächzendes Geschrei aus, zitternd und mit grimmigen Blicken will er sich erheben – - ich war erstarrt. Schnell stürzte der Wärter herein, ihn zu beruhigen, und mich nicht minder, indem man mir erklärte, das sei bei ihm etwas ganz Gewöhnliches, und seit Monaten wäre er nicht so lange ununterbrochen ruhig gewesen. – Nach diesem Vorfall war es mir unmöglich, das Bild weiter auszuführen, halb vollendet mußte ich es stehen lassen, und er wurde erst wieder ruhig, nachdem ich von dem verhängnißvollen Hause weit weg war.“

Nicht menschliche Fürsorge – nur göttliche – konnte diesen Leiden ein Ziel setzen. Am 22. August 1850 starb Nicolaus Lenau – in den Armen seines treuen Anton Schurz.

Auf dem Weidlinger Gottesacker, auf dem er immer gern ruhen wollte – liegt er begraben. Eine Säule mit seinem Relief-Bildniß bezeichnet die Stätte, die seine sterblichen Reste weihen.

H. Kg.


Zu Deutschlands Größe auf dem Meere.


Es ist eine neue Welt entdeckt worden und zwar mit vielen Millionen Einwohnern, die ihre Verfassungen, Sitten und Gebräuche für sich haben und von auswärtigen Mächten ganz unabhängig sind, wobei es Fremden aller Art ganz frei steht, beliebig aus- und einzuziehen, ohne nach Paß, Zöllen und Abgaben nur gefragt zu werden. Das neue Land besteht aus einer Art von Hoch-Plateau mit einigen besonders hervorragenden Felsenkegeln. Der Boden ist kiesig, hier und da fein sandig, buchtig, höhlig und dabei fruchtbarer, als irgend ein Stück Erde, so weit man bis jetzt urtheilen kann.

Diese neue Welt umfaßt etwa 40,000 englische Quadratmeilen oder ist auf Deutsch 20–25 geographische Meilen lang und 10–12 breit. Dies ist der Größe nach nicht viel, aber dem Inhalte nach mehr, als Europa brauchen, von dort wegschleppen kann, obgleich die unermeßlichen Schätze dieses neuen Inselreichs Jedem durchaus umsonst geboten werden.

Es liegt im nördlichen Theile des atlantischen Meeres zwischen Europa und Amerika, aber ersterem bedeutend näher, nämlich unter 57° 35’ nördlicher Breite und 13° 40’ westlicher Länge, so daß sich’s Jeder auf der Karte suchen und in allgemeinen Umrissen einzeichnen kann. Man wird dann gleich sehen, daß es entschieden zu Europa gehört und wahrscheinlich nur eine Fortsetzung der Inselgruppen ist, die sich vom Norden Schottlands nach Island hin hinter den Hebriden größtentheils unter Wasser hinstrecken, von welchen es wohl nur eine etwas höher gehobene und ausgedehntere Hauptbank sein mag.

Hier wird man billiger Weise gleich fragen: Und diese neue Welt soll erst jetzt entdeckt worden sein? Allerdings, insofern die Welt im Ganzen und Großen diese europäische Reichthumsquelle erst ganz neuerdings zu beachten angefangen hat und sie namentlich für Deutschland geradezu als Aufforderung, endlich auch mal aus dieser Quelle wahrer „Machtfülle“ zu schöpfen, erkannt wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_168.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2018)