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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

schwarzes Scheitelhaar unter demselben vordrängte. In Evi’s Gesicht schimmerten tiefblaue Augen über angenehm gerötheten Wangen, kräftiger Nase und anmuthig geschwellten Lippen voll der Farbe des Kornmohns – Kordel’s Antlitz war bleich, von südlich gelbem Hauche überflogen, zu welchem die funkelnden kohlschwarzen Augen ebenso gut stimmten, als der schmale, tief rosig überflogene Mund. Evi trug das offene unverkennbare Gepräge deutscher Abstammung; bei Kordel wurde man unwillkürlich an die alte Sage erinnert, als seien die ersten Bewohner des Ramsauer-Thals Römer gewesen, die sich in diesen Bergversteck flüchteten, an welchem der Sturm der Völkerwanderung unbemerkt vorüber brauste.

„Und schau,“ begann Kordel wieder, „da ist ja eine ganze Burd’ von lauter Almenrausch und ganz frisch gebrockt … wo hast’n her?“

„Ich bin den Abend selber noch einmal hinauf in’s Gewandt, wo’s gegen das Geisterbrünnl hinauf geht, und hab’ das Blumwerk gesucht – es ist so viel schön da droben. D’rum hab’ ich mir’s noch einmal angeschau’t und hab’ mir einen Buschen geholt … und für mein Vieh muß ich doch auch was haben zu einem Kranz … weißt ja, daß wir morgen abtreiben!“

„Leider Gottes!“ sagte Kordel mit einem tiefen Seufzer. „Es liegt mir schwer genug in den Gliedern und auf dem Herzen!“

„Warum?“ fragte Evi entgegen. „Bei mir ist’s was and’res, wenn’s mich hart ankommt, von den Bergen fortzugehen. … Ein Dienstbot, wie ich einer bin, der muß bald da, bald dort sein … Du bist in Deiner Heimath!“

„Ja wohl,“ seufzte Kordel wieder, „… und ich wär’ glücklich, wenn ich frei wär’ und fort könnt’, wie Du! Mir graust, wenn ich d’ran denk’, wie der Winter hinüber gehen soll!“

„Das kann ich mir gar nit vorstellen!“ rief Evi verwundert. „Du bist doch auf der Ledermühl’ daheim, hast Vater und Mutter … ich hab’s meiner Lebtag nit so gut gehabt! Ich bin ein armes, ledig’s Kind – meine Mutter ist gestorben, wie ich noch so klein gewesen bin, daß ich’s nimmer denk’ … von meinem Vater weiß ich nichts, als daß er selbigesmal, wie sie hineinmarschirt sind in’s Rußland, nicht mehr zurückgekommen und mit den Andern erfroren ist. Ich bin im Hüthaus und im Gemeindhaus aufgewachsen und alleweil unter fremden Leuten ’rumgefahren … ich weiß nit, wie das thut, wenn man sagen kann, daß man auch einen Menschen hat, dem man angehört!“

Kordel war noch trauriger geworden und hielt den Kopf gesenkt. „Ich weiß nit, was besser ist,“ sagte sie kummervoll, „gar keine Heimath und keine Eltern haben, oder … Aber ich mag nit reden davon; sie bleiben doch meine Eltern und mein armer guter, guter Vater. … Man hört Dir’s an, Evi, daß Du noch kein Jahr in der Ramsau bist und daß Du noch nie in die Ledermühl’ kommen bist, Du thätst Dich sonst nit wundern, warum ich Sorg’ hab’ auf den Winter. … Aber ich glaub’ gar, ich hab’ nasse Augen?“ lachte sie scharf auf, indem sie die Schürze an’s Gesicht drückte. „Die könnt’ ich gerade brauchen! Fort mit den traurigen Gedanken! Ich mein’, es ist nit umsonst, daß wir heuer miteinander zusammen ’kommen sind auf der Alm und daß wir so gute Cameradinnen ’worden sind! Ich denk’, wir fahren im Auswärts wieder miteinander gen Alm … Warum sollt’st nimmer da sein, Evi? Ich mein’, es gab’ doch genug Bandeln, die Dich halten könnten in der Ramsau …“

„Was meinst damit?“ fragte Evi, indem sie das Gesicht abwandte, um ein leichtes Erröthen zu verbergen, das doch im Dunkel nicht mehr sichtbar gewesen wäre.

„Sei so gut und stell’ Dich an, als wenn Du’s nit wüßtest!“ lachte Kordel. „Meinst, ich hab’ keine Augen im Kopf, weil ich eine lustige Gesellin bin? Kennst dasselbe Gassel-G’sangel nit?

Die heilig’n drei König
Hab’n ein’ einzigen Stern:
Drei Bueben hat ’s Dirndl,
Wie wird denn das wer’n?“

Sie lachte muthwillig auf nach dem Gesang und hielt Evi’s Hand gefaßt, die ihr diese vergebens zu entziehen trachtete. „Laß mich aus, Kordl,“ sagte sie verlegen, „und häng’ mir Deinen Namen nit an! Ich mein’, Du sollst Dich selber bei der Nasen nehmen, wenn Du an den Brigadeer, an den Grenzwächter und an Deinen Schatz, den Quasi denkst …“

Aus Kordel’s Wesen und Miene war auf einmal wieder die Lustigkeit entwichen; sie senke den Kopf wie eine niedergeregnete Blume und sagte mit dem Tone herzlicher Betrübniß: „Ja, der Quasi macht das Kraut erst fett! Ich mag keinen Grünling, keinen Stichauf, der sein Brod davon hat, daß er and’re Leut’ in’s Unglück bringt – und der Quasi ist … ein Lump!“

Ueberrascht wandte Evi sich zu der Redenden. „Wirst doch nicht selber schlecht reden von Deinem eigenen Schatz!“ rief sie. „Oder ist’s aus mit Euch Zweien?“

„Ich weiß, was ich sag’, und ich wollte ich hätt’ den Quasi nit gesehen mein Leben lang! – O mein’ Evi, wenn ich noch einmal siebzehn Jahr alt werden könnt’, ich wollt’ meine Sache wohl so gescheidt machen, daß die Leut’ Recht haben, wenn sie sagen, daß ich eine lustige G’sellin bin … aber ich hab’ die Kappen verschnitten!“

„Red’ nur, was Dir ist, Kordl!“ rief Evi theilnehmend. „So hab’ ich Dich ja noch nie geseh’n!“

„Was wird mir sein!“ antwortete diese, in lautes unaufhaltsames Weinen ausbrechend. „Betrübt bin ich, daß ich mich der Läng’ nach in’s Grab legen möchte. Ja, Du – Du hast es gut … Du kannst einmal in Ehren und mit dem Kranzl zum Altar gehen, aber ich … O mein Gott, mein Gott!“ schluchzte sie noch stärker, „warum bin ich nit gestorben selbiges Mal! Neben meinem armen Würm’l wär’ ich am besten aufgehoben gewesen. …“

Evi war der Freundin näher gerückt, hatte ihr den Arm um die Hüfte geschlungen und drückte sie tröstend an sich. „Du machst mir ja ganz bang,“ sagte sie herzlich. „Sei doch gescheidt und laß Dir das Herz nit so völlig hinunter fallen. …“

Kordl biß, sich ermannend, die Zähne zusammen und faßte die Hand der Freundin. „Es ist so gefährlich nit, Evi,“ sagte sie. „Wenn mir das Herz auch hinunter fallt, wie in einen Ziehbrunnen – es hängt an einer starken Kette und ist das Auf- und Abwinden schon völlig gewohnt … es braucht nur ein paar Rucker, so ist’s wieder oben und so lustig wie zuvor! Wer wird sich ein graues Haar’l wachsen lassen um die Mannerleut …“

Dabei sprang sie auf und lachte so hell und laut, daß Evi ihr verwundert nachsah. „Na, Du hast wirklich das Lachen und Weinen in Einem Säck’l beisammen,“ sagte sie, „Du bist ein seltsames Leut!“

„Hörst?“ rief Kordel, wie um eine Antwort zu vermeiden. „Der Gaisbub schreit herüber von meiner Hütten. … Er wird die g’scheckete Pinzgauerin gefunden haben, die sich verstiegen hat und die wir g’sucht haben den ganzen Nachmittag – muß doch nachschau’n, ob Alles in Ordnung ist. … Es kommt mir auch vor, als wann Du mich nimmer brauchen thätst. … Hörst?“

Ein starker lustiger Juchzer klang unfern aus dem Gestein.

„Ich mein’, den Juchezer kenn’ ich!“ fuhr sie fort. „Du nit auch, Evi? Es wird wohl Numero Eins von den heiligen drei Königen sein. … B’hüt’ Dich Gott, Evi; ich komm zu Dir in Dein’ Kaser in Heimgarten, wann ich Dir nit im Weg umgeh!“

Sie ging und war bald im Dunkel verschwunden, während Evi sich bückte, um die Alpenrosen am Boden aufzulesen und in ihre Schürze zu sammeln. Nur wenige Augenblicke waren vergangen, als hinter ihrem Rücken aus dem Gestein die dunkle Gestalt eines Mannes hervorkam, der mit Hut, Rucksack und mächtigem Bergstock in der Entfernung von einigen Schritten stehen blieb. „Was ist denn das wieder für ein neuer Brauch?“ rief er mit wohlklingender, aber unwilliger Stimme. „Seit wann giebt einem denn die Sennerin keine Antwort, wenn man sie anschreit?“

„Du bist’s, Mentel?“ sagte Evi sich aufrichtend. „Ich hab’s wahrhaftig nit beacht’, daß Du mich angeschrieen hast. …“

„Hast es so nothwendig? Hast gewiß angenehme Gesellschaft gehabt? Schneid’ nur nit lang um und sag’s gerad’ heraus, ich hab’s doch geseh’n, daß Jemand justament weggewitscht ist von Dir!“

„- Und wenn’s so wär’?“ sagte sie, sich zum Gehen anschickend. „Ging’s Dich was an, Mentel? Bin ich etwa nit mein eigner Herr?“

Sie wollte rasch hinweg, aber noch rascher und wie im Sprunge war der Bursche neben ihr und hatte sie so fest am Arme gefaßt, daß ihr das Ende der Schürze entglitt und die Alpenrosen daraus zu Boden fielen. „Sag’ so was nit, Evi,“ rief er mit zorngedrücktem Tone, „Du weißt, daß ich’s nicht hören kann! Bleib’ da, ich muß mit Dir reden!“

„Laß mich aus – ich muß fort und nach dem Vieh umschau’n. …“

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