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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Almenrausch und Edelweiß.
Aus dem bairischen Hochgebirge.
Von Herman Schmid.


1. Am Scharten-Kaser.

Drob’n auf die Berg da saust der Wind,
Der Bach drunt’ in der Klamm:
Und Wind und Wasser, Berg und Thal,
Wie kamen die wohl z’samm’! (f. kämen.)

So klang es von einer der höchsten Höhen des Steinbergs lustig in den blauen, herbstlich klaren Abendhimmel hinein. Die Sängerin saß an einem weit vorspringenden steilen Bergabhang auf mächtigem Felsblock, zu dessen Füßen aus schauervoller Tiefe die Gipfel des hundertjährigen Tannenwaldes emporragten, der die Mitte des Gebirgs umgürtet. Hart daneben, durch eine Lücke in den Bäumen öffnete sich ein Ausblick in den schmalen, schon dunkelnden Thalgrund der Ramsau, aus welchem die Ach, vom Hintersee heranrauschend, hie und da flüchtig durch die Ahornkronen ihrer Gestade aufschimmerte. Gegenüber stiegen die schroffen Gewände der Reiser-Alm und die riesigen Mühlsturzhörner in das Abendroth empor, das auf den kahlen und grauen Häuptern schimmerte, wie eine Rosenkrone auf einer Greisenstirn. Es waren nur noch die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, welche die obersten Schrofen und Grate erreichten; tiefer hinab verdämmerten schon die Risse und Spalten der Felswände mit den Säumen des Waldes, während es auf dem Steinberg selbst und um den Sitz der Sängerin bereits tiefer dunkelte; die Strahlen drangen nicht mehr über seinen gewaltigen Rücken, und die mächtige, scharf gerissene Scharte in demselben, das Denkmal eines vor Jahrhunderten dort abgegangenen ungeheueren Bergsturzes, ragte scharf gerändert und schwarz in den darüber verglühenden Abendhimmel. Beinahe völlige Nacht lag hinter dem Mädchen auf den zerstreuten Almhütten, aus deren offenen Thüren von fern her die rothen Heerdfeuer loderten. Weit und breit war es einsam und stille, nur einige verspätete Bergraben schwebten mit gemessenen Flügelschlägen dem Walde zu; der Gesang des Mädchens drang darum weithin in die Gegend, er traf das lauschende Ohr der Bauersleute, die drüben auf dem Lattengebirg bei der Wegscheid oder am Schwarzeck feiernd vor dem Hause sitzen mochten, und verweilte den Wanderschritt des Holzknechts, der vielleicht unten im Thale an den Mühlen vorüber von der Arbeit heimkehrte.

Ein schwacher Wiederhall antwortete den Tönen des Liedes, an den fernen Bergwänden verschwebend. Die Sängerin schien dem Nachklange mit Vergnügen zu lauschen und ihn selbst hervorzurufen, denn sie zog und schwellte die Töne lang hinaus und hielt dann inne, gleich als wenn sie prüfen wollte, ob die unbekannte ferne Stimme wirklich im Stande sei, sie ebenfo hell wiederzugeben, und fuhr emsig fort, ihren hohen breitkrämpigen Hut, den sie vor sich auf dem Schooße hielt, mit Alpenrosen zu bestecken.

Jetzt hatte sie geendet und horchte wieder mit gehobenem Kopfe auf das Hinsterben des Wiederhalls. Mit einem Male aber flog ein munteres Lächeln über das feingeformte Gesicht, denn das Echo dauerte ganz ungewöhnlich lange und schien sogar seinen Standpunkt ändern und näher kommen zu wollen. „Das ist einmal ein g’spaßiger Wiederhall,“ sagte sie vor sich hin, „der rührt sich vom Fleck und singt was Ander’s, als man ihm vorgesungen hat! Den muß ich schon ein Bissel auf die Prob’ setzen!“

Sie erhob die Stimme noch heller als zuvor und begann das zweite Gesätzel ihres Liedes zu singen:

„Jetzt treib’ ich von der Alma ab;
B’hüt Gott, Du Schatzel mein,
Und wenn der Auswarts wiederkimmt,
Wo wer’ ich nachher sein?“

Es dauerte nicht lange, so ließ die nachahmende Stimme sich wieder hören und verwebte sich begleitend und secundirend geschickt mit jener der Vorsingenden. Während des Jodlers am Schlusse kam sie immer näher und ertönte zuletzt hart unter dem Felsen, auf welchem das Mädchen saß, aus dem Walde herauf. Als das Lied zu Ende war, fügte die unsichtbare Begleiterin noch einen hellen, langgezogenen Juhschrei hinzu, und im nämlichen Augenblick tauchte zwischen den Steinblöcken und Tannenwipfeln ein Mädchen empor.

Die auf dem Felsen wendete sich nach ihr hin. „Die Kordel!“ rief sie lachend. „Du hast mich so gefoppt? Hab’ ich mir’s doch halb und halb gedacht, daß es Niemand Anderer ist, als Du unmüßige Dingin!“

„Hast mich wirklich nit gleich an der Stimm’ gekennt, Evi?“ sagte die Angekommene, indem sie näher trat und sich leichthin neben ihr auf den Felsblock setzte. „Ich mein’, wir hätten doch oft genug mit einander g’sungen, daß Du wissen könnt’st, daß es in der ganzen Ramsau keinen Stimmstock mehr giebt, als wie unsere Zwei? Mußt ja völlig tief in Gedanken gewesen sein!“

Die beiden Mädchen boten, als sie so nebeneinander saßen, ein ungemein reizendes Bild. Sie waren beide jung und schön, beide Bauerndirnen und doch vollständig verschieden. Evi war eine große, wohlgebaute und schlanke Gestalt, Kordel erschien kleiner und von feinem, fast zierlichem Bau; Jene hatte das reiche lichtbraune, beinahe blonde Haar in stattlichen Zöpfen um die Stirn geschlungen, diese trug ein Kopftuch, welches in breiten Zipfeln den Nacken hinunter fiel, während nach vorne zu sich dichtes, glänzend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_161.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)