Seite:Die Gartenlaube (1863) 152.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Seekrankheit (durch Baunscheidtisiren der Waden), Nervenfieber und Gehirnentzündung, Geisteskrankheit, Fett- und Fallsucht, Lähmung nach Schlagfluß, Geschwülste (die von der alten Medicin nur durch das Messer entfernt werden können, müssen dem Lebenswecker schmerz- und narbenlos weichen), Cholera, Bräune und Kehlkopfschwindsucht, Auszehrung, Muttervorfall und Pollutionen, Hundswuth und Syphilis, Kothbrechen und schwarzer Staar etc. etc. – Man braucht wahrlich nicht Arzt zu sein, um schon aus der Aufzählung dieser wenigen Krankheiten und Krankheitserscheinungen, welche durch den Baunscheidtismus gehoben werden sollen, einen Schluß auf den Grad der Charlatanerie bei dieser Heilmethode machen zu können.

Arbeitet man sich nun noch durch die im Baunscheidt’schen Buche abgedruckten, rein kindischen Krankengeschichten und Danksagungen hindurch, so wird’s jedem recht klar, weß Geistes Kind der Herr Baunscheidt und welcher Art die Uebel sind, wo die Lebensweckerei geholfen haben soll. In den Krankengeschichten des Herrn Baunscheidt floriren hauptsächlich Worte, wie: Schmerz im Rücken, Kopfgicht, rheumatisches und drüsiges, überhaupt schlimmes Augenübel, Gichtübel, schmerzhafter Rheumatismus u. s. f. Aus den Danksagungsschreiben lassen sich zwar, da meistens nur einzelne Krankheitserscheinungen angeführt sind, die Uebel, an welchen die Dankenden gelitten haben wollen, nicht sicher ergründen, aber geringfügiger Art scheinen die meisten zu sein.

Charakteristisch und äußerst spaßhaft sind ferner die sogenannten Erfahrungen des Herrn Baunscheidt, von denen wir einige dem Leser nicht vorenthalten können. – „Oft scheint der Krankheitsstoff während der Operation in einem vernehmbaren Geräusche mit den Nadeln zugleich hinausscheiden zu wollen.“ – „Wenn Patienten, welche an schweren Fiebern (Nervenfiebern) sich auf- oder durchgelegen, ferner keine Medicin bekommen, so genesen sie. Will alsdann aber der unvernünftige Arzt die Wunde heilen, so tödtet er den Kranken. Jeder Denkende muß darin einen neuen Beweis für die Richtigkeit meiner Lehre finden.“ (Das heißt also: der Krankheitsstoff fährt durch das Loch in der aufgelegenen Haut heraus.) – „Wo der Körper am wenigsten Widerstandsfähigkeit besitzt, da will aller Krankheitsstoff am ersten hinaus, und das ist durch die Augen.“ – „Chemiker, Apotheker, Schulmeister und Sattler sind oft wunderliche Leute. Jenen steigt der Dunst, diesen der Staub in’s Gehirn.“ – „Bei Schwindsüchtigen wächst der Bart drei Tage vor dem Tode gewöhnlich nicht mehr.“ – „Eine Blase frisch aus Metzgershand hat ihre Normalgröße; kommt sie aber nur einige Minuten mit der Luft in Berührung und wird kalt, so schrumpft sie zusammen, und die Wände derselben verdicken sich. Ebenso verhält es sich auch mit dem Magen und den Gedärmen eines Hypochondristen. Dieselben schrumpfen sogleich zusammen, und der innere Raum geht darin verloren, sobald der Körper kalt wird, welches immer vom Rücken her ausgeht. Der Lebenswecker als Heilmittel stellt die körperliche Wärme sowohl, als den Körper selbst, wieder in’s Gleichgewicht.“ – „Bei dem Krebsübel spielen die Genitalien die Hauptrolle.“ – Doch genug des Unsinns!

Schließlich möge die Welt wissen, wie Herr Baunscheidt seine große Entdeckung gemacht hat. „Eines Tages nämlich, als der Erfinder, der eben an einem rheumatischen Handübel litt, unbeschäftigt in seinem Zimmer saß und die Hand auf den Tisch hingelegt hatte kamen einige Mücken zugleich auf ihn heran, um sich auf der kranken Hand dreist niederzulassen. Weil sie sich gar nicht wollten abwehren lassen, so ließ er sie in ihrer Zudringlichkeit gewähren. Die Mücken aber stachen. Doch kaum hatten sie ihren zudringlichen Dienst verrichtet, als auch eine fast plötzliche Veränderung mit der kranken Hand vor sich ging. Mit den Mücken war der Schmerz wie fast weggeflogen, und die Mücke lehrte ihn also das Geheimniß: wie auf eine ganz einfache und natürliche Weise die eingefangenen Krankheitsstoffe ohne allen Blutverlust aus dem leidenden Theile des Körpers herausgezogen und abgeleitet werden können.“ Er erdachte darauf hin den Lebenswecker, welcher erwärmend, reinigend, ableitend, den Blutumlauf befördernd, aufregend und auslösend wirken kann.

Unser Urtheil über den Baunscheidtismus wäre nun: diese sogenannte Heilmethode ist eine durchaus nicht ungefährliche Charlatanerie, bei welcher, aber nicht durch welche, wie bei allen anderen Charlatanerien, Kranke gesunden können.

Bock.


Gottfried Kinkel’s Befreiung.
Von Moritz Wiggers.
(Schluß.)


Die unter der Hand eingezogenen Erkundigungen, um eine Schiffsgelegenheit nach England ausfindig zu machen, hatten zu keinem Resultate geführt. Wir deliberirten eben darüber, was jetzt zu thun sei, als Ernst Brockelmann in’s Zimmer trat.

„Nun wird uns wohl nichts Anderes übrig bleiben, als uns dem Correspondentrheder der auf Rhede liegenden Brigg anzuvertrauen,“ sagte ich zu Ernst Brockelmann.

„O nein,“ erwiderte dieser verheißungsvoll, „die Sache ist bereits arrangirt.“

„Haben Sie eine Schiffsgelegenheit ausfindig gemacht?“ fragte Kinkel gespannt.

„Das nicht. Aber ich habe mir die Sache überlegt. Es ist doch besser, daß nicht mehr Personen, als unumgänglich erforderlich, in’s Geheimniß gezogen werden. Ueberdies,“ setzte er lächelnd hinzu, „ist es Ihrer nicht würdig, daß Sie gleichsam als blinde Passagiere mitgenommen werden. Eins meiner kleineren Schiffe, ein Schooner von einigen vierzig Last, vereinigt die Vortheile in sich, daß es ein guter Segler ist und daß seine Befrachtung keine lange Zeit in Anspruch nimmt. Ich habe bereits Ordre gegeben, daß die „Anna“, eine Namensverwandtin Ihrer Johanna, in möglichst rascher Zeit mit Weizen nach Newcastle befrachtet wird. Die Cajüte ist zwar nicht groß, aber ein paar Wochen werden Sie es sich schon darin gefallen lassen.“

Wir waren alle dankerfüllt und drückten ihm gerührt die Hand. Die aufopfernde Hülfe Ernst Brockelmann’s hatte die Hauptschwierigkeit beseitigt. Die goldene Hoffnung einer baldigen Befreiung lächelte. Doch war keineswegs schon alle Gefahr beseitigt.

Bereits am Freitage nach der Flucht empfingen wir in den Zeitungen die ersten Nachrichten von der Entweichung Kinkel’s. Als ich am Nachmittage in’s Lesecabinet ging, um nachzusehen, ob schon etwas darüber zu lesen sei, und kaum die Thür geöffnet hatte, rief mir ein Freund mit einem Berliner Blatt in der Hand triumphirend entgegen:

„Kinkel ist entflohen!“

„Nicht möglich!“ rief ich anscheinend überrascht.

„Ja, hier steht’s,“ sagte mein Freund und las in freudiger Aufregung die kurzen bedeutungsvollen Worte: „Kinkel ist aus dem Zuchthause in Spandau entsprungen.“

Ich glaubte die Rolle des Ueberraschten sehr gut gespielt zu haben, mußte aber später zu meinem Leidwesen von meinem Freunde erfahren, daß es ihm aufgefallen sei, daß seine Nachricht keinen größeren Eindruck auf mich gemacht habe. Aber der Umstand, daß ich an demselben Morgen die Zusammenkunft mit den Flüchtlingen auf dem „Weißen Kreuz“ gehabt hatte, wird mein Benehmen einigermaßen entschuldigen.

Den Steckbrief, der gegen Kinkel sofort nach seiner Entweichung erlassen ward, las ich selbst den Flüchtlingen vor; sie machten scherzende Randglossen dazu.

Die Presse erging sich inzwischen in den abenteuerlichsten Nachrichten über die Kinkel’sche Flucht. Bald sollte er wieder eingefangen, bald hier, bald dort angelangt sein. Je größer das Gewirre der falschen Nachrichten war, desto mehr freuten wir uns. Den wichtigsten Dienst leistete uns der Pastor Dulon in Bremen, der, um die Polizei irre zu führen und von der ihm selbst unbekannten richtigen Fährte abzulenken, in seinem „Sonntagsblatt“ mit allen möglichen Details die Mittheilung brachte, daß Kinkel glücklich über Bremen auf einem nach England segelnden Schiffe entkommen sei.

Die „Anna“ konnte auch bei der größten Eile nicht unter acht Tagen die volle Weizenladung an Bord nehmen. Es traten aber Umstände ein, welche zu einer größeren Beschleunigung der Flucht dringend aufforderten.

In der Kaufmannswelt hatte es Aufsehen gemacht, daß

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_152.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)