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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

würde sich sonst melden. Jener Andere muß auch vor drei Monaten bei der Ermordung des Grafen Hochhausen mit dem Angeklagten verwechselt worden sein. Die Zeugen konnten sich damals einer solchen Verwechselung schuldig machen. Sie, meine Herren Geschworenen, können es heute nicht mehr. Ich wenigstens, wenn ich unter Ihnen säße, könnte es nicht auf mein Gewissen nehmen, zu erklären: der Angeklagte ist der Mörder des Grafen Hochhausen. – Und weiter kein Wort an Sie, meine Herren Geschworenen. Doch noch Eins: Sie wollen nicht vergessen, daß wir hier in der Nähe der See wohnen, daß uns zur Rechten und zur Linken bedeutende Seehäfen liegen, und daß von da aus mancher fremde Abenteurer in das Land kommen kann, von dem Polizei, Gerichte und wir nichts wissen.“

Damit schloß der Vertheidiger.

Der Präsident resumirte kurz und unparteiisch die Verhandlungen und sandte die Geschworenen in ihr Berathungszimmer, um ihr Verdict zu geben über die Frage, ob der Angeklagte, Freiherr Wallberg, schuldig sei des Mordes des Grafen Hochhausen.

Die Geschworenen kehrten schon nach einer Viertelstunde zurück.

„Nichtschuldig!“ lautete ihr Wahrspruch.

Der Gerichtshof sprach den Angeklagten von der Anklage des Mordes frei. Der Präsident setzte den Angeklagten sofort in Freiheit.

Der Angeklagte eilte auf seinen Vertheidiger zu, drückte ihm flüchtig die Hand und stürzte aus dem Saale. Der Vertheidiger war unbeweglich und unergründlich.

„Wohin mag der Freiherr so schnell geeilt sein?“ wurde im Saale gefragt.

„Zum Gefängniß!“ wurde verwundert die Nachricht gebracht.

„Aber er ist ja in Freiheit gesetzt!“

Ich wußte wohl, warum er dennoch dahin geeilt war. Noch Einer wußte es außer mir. Ich wartete, als ich den Saal verließ, auf den Vertheidiger. Er kam allein.

„Sie haben ein gewagtes Spiel gespielt,“ sagte ich zu ihm. „Aber Sie haben es gewonnen.“

Er sah mich einen Augenblick betroffen an. Er erkannte mich wieder, freilich ohne zu wissen, wer ich war.

„Mein Herr,“ erwiderte er mir, „jeder Proceß ist ein gewagtes Spiel, das der Eine gewinnt und der Andere verliert.“

„Es kommt aber auf den Einsatz an,“ sagte ich.

„Ja.“

„Und hier haben Sie Leben um Leben gespielt.“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Hat nicht das arme, blasse Kind aus jenem Gefängnisse das Leben des Angeklagten gerettet?“

Er verfärbte sich doch.

„Mein Herr –“

„Und war nicht ihr Leben der Einsatz, der Preis für jenes gerettete Leben?“

„Mein Herr, wer sind Sie?“

„Es wird nichts zur Sache thun. Jedenfalls bin ich ein Mann, der es nicht unternimmt, geschehene Dinge ändern zu wollen. Der Freiherr ist einmal freigesprochen.“

„Und, mein Herr, den freisprechenden Wahrspruch der Grschworenen kann nichts mehr aufheben oder ändern, gar nichts in der Welt.“

„Ich weiß es. Auch nicht der vollständige Nachweis, daß der Freiherr auch der Verbrecher der heutigen Nacht war –“

„Auch der Nachweis nicht.“

„Daß das arme Kind ihn aus seiner Haft hinausgelassen und, um die Beamten zu täuschen, bis zu seiner Rückkehr seine Zelle eingenommen hatte –“

„Auch das nicht.“

„Daß sein Vertheidiger den Plan angegeben und mit ausführen geholfen hatte –“

„Mein Herr, wenn das Alles bewiesen werden könnte, so wäre die einzige Folge, daß ich meine Stelle als Rechtsanwalt, mithin auch als Vertheidiger verlöre. Ich kann aber leben, und was das Vertheidigen anbetrifft, glauben Sie mir, mein Herr, ich habe es herzlich satt. Tage, wie der heutige, gehören zu den schwersten meines Lebens.“

Die Worte kamen ihm aus dem Herzen, und aus einem schwer gedrückten Herzen.

„Mein Herr,“ erwiderte ich ihm, „ich konnte Ihnen vorhin kein Glück zu dem Gewinnen Ihres Spieles wünschen. Ich hatte das Rechte getroffen. Aber darf ich mir die Frage erlauben, warum Sie denn solche Spiele spielen?“

„Warum haben wir solche Geschworenengerichte?“ sagte er.

„Vor anderen ständigen Gerichten hätten Sie es nicht gewagt?“

„Nein. Vor ihnen kann man keine Schauspiele aufführen.“

„Und warum haben wir diese Geschworenengerichte?“

„Weil man aus zweien Uebeln das kleinere auswählen muß, weil die Geschworenen unabhängige Männer sind, und unsere von der Regierung angestellten und unter Disciplinargesetze und andere Maßregelungen gestellten ständigen Richter –“

Er brach ab.

„– das nicht sind?“ fragte ich.

Er antwortete nicht.

„Eine andere Frage dann noch.“ sagte ich. „Verdient dieser Freiherr das Opfer des jungen Lebens, das für ihn im Sterben liegt?“

Er wurde wieder herzlich.

„Ja, mein Herr,“ sagte er. „Wie das Kind ihn mit aller Kraft seines zarten Lebens liebt, so liebt er sie mit seinem ganzen starken, muthigen Herzen. Er war es, der die große That des Kindes nicht annehmen wollte. Aber sie wäre mit ihm gestorben. Er fühlte es; da gab er nach, und sein festester Vorsatz ist es, sofort nach seiner Freisprechung von seinem untreuen Weibe sich scheiden zu lassen und dem edlen Kinde seine Hand zu reichen.“

„Ich fürchte, es war sein Vorsatz,“ mußte ich sagen.

„Nur der Tod des Kindes würde ihn lösen können.“

„Das befürchte ich.“ –

Und ich hatte Recht darin. Am folgenden Morgen früh kam der Vertheidiger zu mir. Er war voll Schmerz.

„Die Arme ist todt,“ sagte er. „Sie ist um Mitternacht in seinen Armen gestorben.“

„Und er?“

„Er nennt sich ihren Mörder. Er will sich den Gerichten überliefern. Er will sterben. Aber er ist einmal für nicht schuldig erklärt; nichts in der Welt kann das Verdict der Geschworenen wieder aufheben.“

„Und Sie?“ fragte ich noch.

„O, mein Herr, ich habe gestern zum letzten Male vertheidigt.“


Der Baunscheidtismus.

Lebensweckerei durch feine Nadelstiche und reizende Oeleinreibungen.

Was ein Mensch, mag er nun eine alte Frau oder ein Schuster, Schäfer, Postsecretär, Drechsler, verkommener Buchhändler u. s. w. sein und vom menschlichen Körper auch nicht das Geringste wissen, was er nur Blödsinniges ersinnen kann, es wird sicherlich, sobald er es gegen eine bestimmte Krankheit oder lieber gleich gegen das ganze Krankheitsheer als heilsam ausposaunt und ausposaunen läßt, sofort von der kranken Menschheit in Gebrauch gezogen. Daß das so ist, ist sehr traurig, aber erklärlich. Nur wenige Menschen kümmern sich ja um die in der Natur herrschenden Gesetze und strotzen deshalb über und über von Aberglauben; je unnatürlicher eine Heilmethode und je mehr dieselbe auf „geheime Kräfte“ gegründet ist, desto mehr glauben jene unwissenden Abergläubischen an die Heilmacht derselben. Manche lassen sogar, wie sie sagen, ihr Leben für die Wirksamkeit dieses oder jenes Heilhokuspokus, denn sie sahen mit eigenen Augen, daß nach dessen Anwendung Besserung oder Heilung eines Kranken erfolgte. Daß aber diese Besserung und Heilung, deren Existenz ja gar nicht bestritten werden soll, nicht in Folge der Anwendung jener Charlatanerie zu Stande kam, sondern ein Werk des so oft besprochenen Natur-Heilungsprocesses ist (s. Gartenl. 1855, Nr. 25), davon wollen sich auch gebildete Menschen, ja sogar Aerzte (besonders die Homöopathen), nicht überzeugen lassen.

„Prüfet Alles und das Beste behaltet“ wird beim Bekanntwerden der unsinnigsten Curarten von den Laien dem Arzte in den Bart geworfen. Gewiß geht Probiren oft über Studiren, aber Etwas, was gegen die Naturgesetze und den gesunden Menschenverstand verstößt, zu prüfen, ist nicht Sache der Wissenschaft und des Verstandes. Deswegen wird sich auch die Heilkunde (die

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