Seite:Die Gartenlaube (1863) 143.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zugleich Wissender des Stuhls, bringt vor dem „Königsstuhl im Graben“ die Klage an, und Mallinkrodt soll vorgeladen werden. Derselbe aber, das alte „procul a Jove, procul a fulmine“ beherzigend, flüchtet nach Unna und lebt in dieser seinem Lehnsherrn zugehörigen Stadt in gemüthlicher Sicherheit, bis ihm in seiner Herberge von zwei Schöffen die Ladung der Vehme überbracht wird. Mallinkrodt, weit entfernt dieselbe mit angstvollem Respect aufzunehmen, erlaubt sich die kräftigsten Ausfälle gegen den Stuhl und bedroht schließlich dessen beide Sendboten mit derben Prügeln, wenn sie sich nochmals zu ähnlicher Ladung verstehen würden. Die Drohnug versetzt, wie aus dem Protokoll deutlich zu ersehen, die beiden Wissenden in nicht geringe Angst, und da jetzt nach dem Herkommen die Ladung zum zweiten Male dem Verklagten und zwar diesmal durch vier Schöffen überbracht werden muß, eine zweite persönliche Begegnung mit solch verwegenem Gesellen aber Leib und Seele in Gefahr bringen dürfte, so werden die vier Schöffen ermächtigt, den Brief zur Vermeidung aller Thätlichkeiten an den Grendel (Thorgatter) von Wetter zu heften. Aber wie unentdeckt hingelangen zu dem hoch und sicher gelegenen Raubneste des Verklagten? Wahrlich, sauer genug lassen sie es sich werden, diese unermüdlichen Priester der Themis. Im Dunkel der Nacht, mit Mühe und Gefahren aller Art betreten sie das gefährliche Gebiet der Burg; in dem zu den Acten gegebenen Protokolle sehen wir die wackern, wenn auch furchtsamen Männer sich an Abhängen verkriechen, hinter Gebüschen verstecken und im Schweiße ihres Angesichts Felsen erklettern, bis sie endlich glücklich und unentdeckt zu dem Burgthore gelangen und an dasselbe die Ladung befestigen.

Mallinkrodt aber, weit entfernt, der Ladung Folge zu geben, steckt sich hinter seinen Lehnsherrn, und nach langem Hin- und Herschreiben vermittelt dieser durch seinen mächtigen Einfluß einen Vergleich, nach welchem Ehren-Mallinkrodt ungestraft davon geht, in die Dienste der Stadt Dortmund tritt und gegen guten Gehalt fortan die wackern Reichsstädter ungeschoren läßt.

In unserem nächsten Artikel werden wir mehr auf einige merkwürdige Specialitäten Westphalens eingehen.

Karl Ueberhorst.




Blätter und Blüthen.

Ein Charakterbild aus dem Fürstenleben. Die durch Geist und Gemüth sieh auszeichnende Herzogin von X. feierte ihren Geburtstag in ihrem freundlichen Palais, einer kleinen deutschen Residenz, wo sie ihren Wittwensitz genommen hatte und als eine Wohlthäterin der Armen und als eine Mutter der Bedrängten so segensreich wirkte, daß ein geistreicher englischer Lord von ihr sagen konnte: „Mildthätigkeit ist ihr Synonym!“

Die Gratulationscour war eben beendet. Ermüdet von dieser ebenso langweiligen als lästigen Ceremonie hatte sich die edle Fürstin aus dem Empfangssaal in ihr Boudoir zurückgezogen. Da hörte sie leichte, eilige Schritte die Treppe heraufkommen.

„Ah ha,“ sagte sie, „das sind meine glückwünschenden Enkel!“ und so war es. Zwei frisch und munter „aufquellende“ Knaben von 10 und 11 Jahren traten ein, die wir mit den Namen Ernst und Albert bezeichnen wollen. Ehrerbietig die Hand küssend nahete sich zuerst Ernst und sprach die geflügelten Worte: „Ich gratulire Dir recht schön zu Deinem Geburtstage und wünsche Dir viel Glück! Der liebe Gott erhalte Dich recht gesund und behalte Du uns nur immer recht lieb, gutes Großmütterchen.“

„Nun,“ erwiderte die Herzogin, „das wird hauptsächlich von Euch abhängen. Wenn Ihr recht gut und fromm und freundlich und gehorsam seid, so werde ich Euch auch immer recht lieb behalten. Wie ist es denn damit gewesen, seitdem Ihr mir im vorigen Jahre an diesem Tage Glück gewünscht habt? Seid Ihr auch immer recht fleißig und gut gewesen?“

„Gewiß, liebe Großmutter,“ erwiderte Ernst und fing an aufzuzählen, was er Alles seitdem gelernt habe, während Albert bescheiden schwieg.

„Gut, gut,“ sagte die Herzogin, „aber besser als das Alles ist ein guter, frommer Sinn, den Euch Gott bewahren möge. Wie steht es denn aber mit Eurer Casse? Wie habt Ihr den Zuschuß, den ich Euch im vorigen Jahre gab, angewendet?“

Ernst zählte sogleich genau auf, was er dafür angeschafft hatte. Albert stockte dabei etwas. Aber die Herzogin schien seine Verlegenheit nicht zu merken, sondern gab jedem der beiden Enkel die gewöhnliche Festgabe von 10 Friedrichsd’or und entließ sie mit folgender Ermahnung:

„Es war einmal ein Kaiser in Rom, der pflegte zu sagen, Niemand müsse von der Unterredung mit einem Fürsten traurig hinweggehen. Er war unermüdet thätig, Gutes zu thun und für das Wohl seines Landes zu sorgen, und als er eines Abends bei der Hauptmahlzeit zu seinem Schrecken sich erinnerte, daß er an dem zu Ende gehenden Tage noch Niemandem eine Wohlthat erwiesen habe, rief er mit wehmüthigem Gefühle aus: Freunde, diesen Tag habe ich rein verloren! – Nehmt Euch diesen Kaiser zum Vorbild und lebt fürstlich wie er.“

Munter und seelenvergnügt sprangen die Knaben die Treppe hinab. Als sie am Portal angekommen waren, trat ihnen ein von Sorgen und Mühen zusammenkrümmtes Mütterchen entgegen.

„Ach meine lieben jungen gnädigen Herren,“ redete sie die Alte an, „wollen Sie nicht einer armen alten Frau eine kleine Gabe mittheilen? Mein Häuschen soll Schulden halber verkauft werden, und ich weiß dann nicht, wo ich mein Haupt hinlegen soll. Dazu ist mir noch heute Morgen, weil ich die Steuern nicht bezahlen konnte, mein Hauptnahrungsquell, meine Ziege, abgepfändet worden. Nun weiß ich gar nicht mehr, wovon ich leben soll. Sein Sie so barmherzig.“

Ernst versicherte ihr, daß er keine kleine Münze bei sich habe, und eilte von dannen. Alberten waren bei den rührenden Worten der Alten Thränen in die Augen getreten. Er schien einen Augenblick zu schwanken, dann aber griff er, nachdem er sich an die schöne Kaisergeschichte der Grosmutter erinnert hatte, rasch in die Tasche, drückte dem alten Mütterchen die zehn Friedrichsd’or in die Hand und lief, quasi re bene gesta, fröhlich davon.

Als die Alte die Hand öffnete und die Goldstücke blinken sah, war sie zum Tod erschrocken. Sie ging sogleich zum Portier, um ihm den Vorfall zu erzählen. Dieser rief den Kammerdiener. Der Kammerdiener nahm, nachdem das Mütterchen seine Erzählung wiederholt hatte, die Goldstücke und brachte sie mit den nöthigen Erläuterungen der Herzogin. Diese ließ die Alte zu sich kommen, sich deren hülflose Lage noch genauer schildern, lobte ihre Ehrlichkeit und gab ihr zu den 10 noch 2 Goldstücke. Unter hellen Freudenthränen darüber, daß sie nun ihr Häuschen frei machen und ihre Ziege wieder einlösen könne, verließ die Alte die gerührte Fürstin mit einem herzinnig dankenden „Vergelt’s Gott!“

Ein Jahr war rasch vorübergegangen; die Herzogin feierte wieder ihren Geburtstag. Wiederum war die Cour vorüber, und die beiden Enkelkinder stürmten zur kleinen Gratulationscour heran.

„Nun,“ sagte die Herzogin, nachdem die Knaben ihre Herzenswünsche, Jeder in seiner Weise, dargebracht hatten, „wie habt Ihr denn Euere vorjährige Geburtstagsgabe angewendet?“

Ernst war wieder gleich bei der Hand aufzuzählen, was er Alles davon gekauft habe. Obenan stand ein kleines Puppentheater und eine das Orchester vorstellende Ziehharmonika. Dann folgte eine Drehorgel für kleine Concerte und eine Armbrust für kleine Schützenfeste.

„Und Du,“ sagte die Herzogin zu Albert, als er verlegen schwieg, „wo bist Du mit Deinem Gelde hingekommen?“

„Ich habe – ich hin – ich –“ stotterte Albert; weiter konnte er nichts hervorbringen.

„Ich weiß schon,“ fiel die Herzogin ein, „Du bist nicht ein so gewissenhaft rechnungführender Haushalter, als Dein Bruder, und weißt daher nicht, wie er, so genaue Rechenschaft und Auskanft zu geben; aber an irgend Etwas wirst Du Dich doch noch erinnern, was Du Dir für das Geld angeschafft hast. Besinne Dich – sonst müßte ich Dir heute die gewohnte Gabe versagen.“

Albert schlug, über und über roth werdend, den Blick zur Erde nieder, rieb sich immer verlegener werdend die Hände und küßte endlich, wie wegen einer Schuld um Verzeihung bittend, der Großmutter Hand, während ihm Thränen in die Augen traten.

„Nun, nun, beruhige Dich nur, mein lieber Albert,“ sagte die Herzogin, und auch ihr waren die Thränen in die Augen getreten. „Ich weiß schon seit einem Jahre, wo Du mit dem Gelde hingekommen bist. Du hast es sehr gut, viel besser als Dein Bruder angewendet, in echt fürstlicher Weise angewendet, indem Du Thränen des Elendes damit getrocknet hast. Dein heutiges Benehmen giebt Deiner Liebesthat erst den rechten Werth. Die Linke soll nie wissen, was die Rechte thut, hat der große Menschen- und Kinderfreund im Evangelium gesagt, und seinem Wort gemäß hast Du getreulich gehandelt. Dafür sollst Du heute 20 Friedrichsd’or bekommen. Du aber, Ernst, erhältst heute nichts, komme aber morgen früh um diese Stunde wieder zu mir, da will ich Dir die Geschichte von dem römischen Kaiser noch einmal ausführlich erzählen, die ich Euch im vorigen Jahre mittheilte. Albert bedarf das nicht, denn er hat schon getreulich darnach gehandelt.“

Und so geschah es. Die Herzogin erzählte dem Enkel die Geschichte von Kaiser Titus ausführlich mit den nöthigen Nutzanwendungen und Ermahnungen, und zwar mit solchem Erfolg, daß derselbe beim nächsten Geburtstag für würdig befunden wurde, ebenfalls 20 Friedrichsd’or zu erhalten, und ein recht mildthätiger Fürst geworden ist und ein echt deutscher dazu. Exempla optime docent.


Jean Paul in Coburg. Am 21. März dieses Jahres feiert ganz Deutschland das hundertjährige Geburtstagsfest eines seiner größten Dichter und Schriftsteller, Jean Paul Friedrich Richter’s. Wird die Dankbarkeit der Nation diese Feier überall hervorrufen, wo der Geist des unsterblichen Mannes seine Saat ausstreute, so werden zu einer ganz besondern Festlichkeit sich diejenigen Orte berufen fühlen, in welchen der Gefeierte selbst geweilt, und wo sich noch eine Erinnerungsstätte an ihn erhalten hat. Zu diesen Orten gehört auch Coburg.

Jean Paul siedelte im Frühjahr 1803 von Meiningen und Hildburghausen, dessen Herzog ihm den Legationsraths-Titel ertheilt hatte, nach Coburg über. Hier verlebte er einen so schönen und glücklichen Sommer

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_143.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2022)