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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Aus dem mittleren Holstein schreibt mir noch ferner ein Landmann, Herr Ernst Glismann von Klein-Kummerfeld, die nachfolgende Notiz:

„An dem 20. d. M. Abends zwischen 6 und 7 Uhr passirte ich in Begleitung eines Herrn aus Altona zu Wagen die Segeberg-Neumünstersche Landstraße und zwar auf der Strecke zwischen Kummerfeld und Gadeland. Bald nachdem wir ersteres Dorf verlassen, verfinsterte durch aufsteigende, augenscheinlich von Schnee oder Hagel erfüllte Wolken der Himmel sich dermaßen, daß mein Begleiter und ich, obgleich wir Seite an Seite auf einem gewöhnlichen Wagenstuhl saßen, uns nicht durch das Gesicht, sondern nur durch das Gehör von unserer beiderseitigen Gegenwart überzeugen konnten. Indem wir noch hierüber unsere Bemerkungen austauschten, sahen wir zu unserem Erstaunen aus den Bäumen, womit hier die Landstraße an beiden Seiten bepflanzt ist, sowie auf den Pfählen und dem Draht der ebenfalls hier befindlichen Telegraphenlinien unzählige kleine Flämmchen erscheinen, so daß das Ganze, weil die Landstraße sehr weit zu übersehen und sonstige Bäume nicht vorhanden, einer über alle Maßen großartigen Illumination zu vergleichen war, nur mit dem Unterschiede, daß die in Rede stehenden Flammen, obgleich sehr glänzend und der Zahl nach Legion, nicht die geringste Helligkeit verbreiteten. Während dessen hatten die schwarzen Wolken bereits begonnen sich ihres Inhaltes mit einer furchtbaren Wucht zu entladen, was die Flämmchen aber nicht im Mindesten zu stören schien. Ueber die Dauer der Erscheinung und namentlich darüber, ob, wie bei Ihnen, die Flammen in Folge eines Blitzes verschwanden, kann ich leider nichts sagen, weil meine Pferde, sehr beunruhigt bei der herrschenden Dunkelheit, eine Zeit lang unser Beider ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, und die Erscheinung verschwunden war, als wir uns ihr wieder zuwenden wollten.“

Aus diesen verschiedenen eben so klaren als reichhaltigen Schilderungen gewinnt man ein so deutliches und anschauliches Bild des ganzen Phänomens und des St. Elmsfeuers überhaupt, wie es vorher noch nicht zu haben war, und was die Verbreitung anlangt, so ist von ganz Holstein nur die östlichste Ecke ausgenommen, denn den Anschluß der zuletzt genannten Localitäten an unseren Ausgangspunkt, in der Nähe von Hamburg, kann ich durch die mündlichen Mittheilungen zweier Ständeabgeordneten vollenden. Bei Oldesloe, südlich von Segeberg, hat der Dampfmaschinenschornstein der Sonder’schen Papierfabrik oben so geleuchtet, daß man allgemein geglaubt hatte, er brenne aus, und in der Nähe des sogenannten Ochsenzolles der holsteinischen Zollgrenze im Norden von Hamburg sind noch die mit Lichtern bestreuten Hecken wahrgenommen worden.

Auffallend bleibt mir, daß aus Hamburg und Altona gar keine Nachrichten mitgetheilt worden, obgleich doch dort die höchsten Thurmspitzen dieser Gegend vorhanden sind, und obgleich der Natur der Sache nach selbst auf den durch Sturm und Schneegestöber verödeten Straßen doch immer noch mehr Augen offen sind, als in den theilweis höchst einsamen Landschaften, die genannt wurden.

Da nun aus den öffentlichen Blättern hervorgeht, daß an demselbigen Tage ein von Stürmen begleitetes Gewitter ganz Deutschland heimsuchte, ein Gewitter, das von unseren Nordseeküsten bis an den Fuß der Alpen reichte, und da gemeldet wird, daß während dieser Zeit die Telegraphendienste größtentheils unterbrochen gewesen sind, so bleibt kein Zweifel, daß auch in Mitteldeutschland ähnliche elektrische Spannungen obgewaltet haben.

Es war mir daher auffallend, daß ich in den hier gelesenen Zeitungen von St. Elmsfeuern nichts finden konnte, und ich kam daher zu der Vermuthung, daß das Elbthal, welches außer dem eigentlichen Flusse in gegenwärtiger regnerischer Zeit durch Auffüllung aller Gräben und Niederungen in den horizontalen Marsch- und Moordistricten eine nasse Fläche von 5 bis 6 und mehr Meilen Breite darstellt, wie es im Munde des Volkes stets als Wetterscheide gilt, auch in diesem Falle eine Scheide, wenigstens für das abnorme elektrische Phänomen, geworden sei. Nun aber theilt mir Herr Carl von Wehrs, Gutsbesitzer von Alt-Böternhöfen im mittleren Holstein, auch noch positive Nachrichten über eine weitere Ausdehnung des St. Elmsfeuers mit.

„Diese Dimensionen,“ schreibt derselbe, „gewinnen durch einen mir zugegangenen Bericht aus Hannover noch bedeutend. Man hat nämlich am 20. Januar zu Jork im Altenlande, am jenseitigen Ufer der Elbe und ungefähr Wedel gegenüber belegen, anfänglich geglaubt, der Kirchthurm brenne, sich dann aber bald überzeugt, daß es ein mehrere Minuten anhaltendes St. Elmsfeuer gewesen. Dann schreibt man mir weiter, dieselbe Erscheinung habe sich zu der nämlichen Zeit an den Bäumen der Chaussée, die von Hildesheim nach Osterode führt, gezeigt, also noch anderthalb Breitengrade weiter nach Süden.“

Diese Nachricht und die überraschende Thatsache, daß auch hier noch die Gleichzeitigkeit stattfand, bestätigt, daß wir ein höchst ungewöhnliches und bedeutendes meteorologisches Ereigniß erlebt haben, und das veranlaßt mich, diese Mittheilung gerade in der Gartenlaube, welche jetzt das beliebteste Volksblatt in Deutschland ist, mitzutheilen, um dadurch vielleicht Anlaß zu weiteren Nachrichten zu geben und einem Meteorologen von Fach für die strengere Beurtheilung der Sache Material von solcher Reichhaltigkeit zuzuführen, wie es weder durch Hülfe der streng wissenschaftlichen Journale, noch durch die meteorologischen Observatorien geliefert werden kann, deren Aufzeichnungen über die gleichzeitigen Stände und Bewegungen der meteorologischen Instrumente vollständig genug sein werden, um ohne Beobachtungslücken ein vollständiges Gemälde des Ereignisses den meteorologischen Annalen zu überliefern.

Dr. L. Meyn, Fabrikant zu Uetersen.




Streiflichter aus Westphalen.
Nr. 1.

Horch auf! Die Ladung! Du verschrie’ner Strich,
Land meiner Väter, ich berufe Dich!
Keck vor dem Stuhle laß Dein Banner strahlen!
Wie Forst und Strom und frischgepflügtes Land
Dreifarbig schimmern lassen Dein Gewand,
Grün, weiß und schwarz – so stelle Dich Westphalen!

 Freiligrath.

Zur „rothen Erde“ will ich den Leser führen, zu einem der verschrieensten Striche Deutschlands, zum Lande der Schinken, des Pumpernickels und – des horribelsten Dialekts. Durch die Porta westphalica über die schimmernden Bleichplätze Bielefelds, durch die wogenden Kornfelder des Hellweges will ich Euch hinabführen in die schwarzen Schlünde der Kohlenwerke; ich will Euch führen zu den dampfenden glühenden Hochöfen, zu den pochenden Hämmern, in die rußigen Werkstätten der Metallarbeiter; durch die belebten, grünen Thäler geleite ich Euch auf die kahlen Höhen von Winterberg, wo erst die Junisonne den Schnee zu schmelzen vermag, wo fast jede Vegatation erstorben ist und nur der helle Ruf des Hirsches, der unheimliche Schrei des Uhu die Todtenstille der starren Natur unterbricht.

Indem wir zuerst die Industrie betrachten, müssen wir die Worte eines deutschen Dichters citiren. „Ist’s, wo der Märker Eisen reckt?“ singt Arndt in seinem Liede vom deutschen Vaterland, und Mancher wird diesen Punkt vergebens auf den Karten Deutschlands gesucht, Viele, besonders Süd-Deutsche, ihn mit der Mark Brandenburg für identisch gehalten und diese „Streusandbüchse des heiligen römischen Reichs“ mit der Grafschaft Mark in Westphalen, einer der schönsten Perlen in Preußens Krone, einer Gegend, überreich sowohl an landschaftlicher Schönheit, als auch an Schätzen des Bodens, an Erzeugnissen der Industrie, verwechselt haben. Wer auf der Kölner-Mindener, aus der Ruhr-Sieg-Bahn das Land durchfliegt, berührt die Grafschaft so ziemlich in ihren äußeren Grenzen. Belohnend ist ein Blick in diese gesegneten Gegenden, ein Aufenthalt in den unzähligen Werken und Etablissements, welche der unermüdliche, rege Geist der Bewohner hier errichtet.

Denn woher stammen die Näh- und Stricknadeln, von den schlanken, goldumränderten in den Händen zarter Damen bis herab zur starken, kräftigen Nähnadel des Schneiders? Woher die köstlichen Bronze- und Messingarbeiten, woher die Knopf- und Neusilber-,

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