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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Tugend doch einmal ihren Lohn erhalten und der glückliche Zufall gerade sie betroffen habe.

So viel steht fest, daß so ziemlich Alles, was die Schweiz bereist, durch den Bahnhof von Olten passiren und dort aussteigen muß. Mögen die Touristen vom Leman zum Bodensee, vom Gotthard zum Rhein, vom Rigi zum Weißenstein reisen, mögen sie von Paris oder München oder London herkommen – den Bahnhof von Olten müssen sie mindestens einmal berühren. Da ist’s dann in Wahrheit kein schlechter Spaß, all’ die Leute, die sich auf den Trottoirs und in den Erfrischungssälen drängen, gleich den Bildern einer laterna magica an sich vorbeiziehen zu lassen. Auch fehlt es nicht an Gelegenheit, hie und da eine interessante Persönlichkeit und europäische Berühmtheit von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wie z. B. den Grafen Chambord, da er an den Legitimistencongreß nach Luzern fuhr, oder die arme Königin von Neapel, als sie ihrem Gatten aus Rom entflohen. … Als Eisenbahnknotenpunkt ist Olten dann auch zum natürlichen Stelldichein und Zusammenkunftsort schweizerischer Vereine und Versammlungen geworden. Universitätsprofessoren und Zündhölzchenfabrikanten, Thierärzte und Blechmusiker, Sänger, Landwirthe, Naturforscher, Pfarrer, Apotheker und Schullehrer halten hier ihre Berathungen und Bankete. Genaue statistische Notizen, wie viel in Olten für’s Vaterland gegessen, getrunken und gesprochen wird, würden wahrscheinlich die Welt in Erstaunen setzen.

Die „Centralreperaturwerkstätte“ in Olten.

Die Eisenbahn als freundliches Christkindlein hat aber den Oltnern nebst ihrem wimmelnden Bahnhof noch eine zweite Gabe bescheert, eine Maschinenfabrik oder „Centralreparaturwerkstätte“. Es ist dies eine Heilanstalt für sämmtliche unpäßlich gewordene Locomotiven, ein Lazareth für alle im Dienst beschädigten und verletzten Waggons der schweizerischen Centralbahn; es werden darin auch außerdem neue Locomotiven in die Welt gesetzt, eiserne Brücken geschmiedet, Drehscheiben construirt, kurz alles dasjenige verfertigt, was – aus Metall oder Holz bestehend – zum Betrieb einer Eisenbahn gehört. Diese mechanische Werkstätte beschäftigt heute schon nahe an 400 Arbeiter, durch welche die Bevölkerung des Städtchens um ein ganzes Fünftheil vermehrt wurde. Die nächste Folge der Errichtung dieser industriellen Anstalt gab sich eigenthümlicher Weise auf kirchlichem Boden kund. Da viele Arbeiter der reformirten Confession angehören, so wurde aus lauter freiwilligen Beiträgen im katholischen Olten eine protestantische Kirche erbaut, und heute functionirt daselbst in bester Eintracht mit dem katholischen Pfarrer und dem nahen Kapuzinerkloster ein protestantischer Geistlicher.

Die dicht am Bahnhof liegende „Centralreparaturwerkstätte“ ist ein eigentlicher Bienenkorb, in welchem die Hobelmaschinen, die Bohrmaschinen, die Sägemaschinen, von Dampfkraft getrieben, in ununterbrochener Thätigkeit surren und schwirren. Die Werkstätte steht unter der vortrefflichen Leitung des Directors Riggenbach, der für die Arbeitercolonie mehr Vater als Meister ist. Jedes Jahr erhält die ganze Mannschaft einen Tag Ferien, an welchem sie auf Kosten der Centralbahngesellschaft und unter Anführung des Directors eine Lustfahrt macht. Es ist eine wahre Freude, die kräftigen Gestalten der Schmiede und Holzarbeiter an diesem Feiertag zu beobachten, wie sie sauber herausgeputzt in anständiger Lust sich bewegen. – Für Tage der Noth sorgt eine Kranken- und Hülfscasse, welche zum Theil aus den Beiträgen der Arbeiter, zum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_133.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)