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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Ja, Herr Präsident,“ erwiderte der Zeuge, „ich muß hier die Wahrheit sagen, und sollte ich auch auf Erden keine ruhige Stunde mehr haben. Ich habe einen Eid geschworen. – Es war gleich nach Ostern in diesem Jahre, und Ostern war noch im Monat März. Da merkte ich es wieder. Ich hatte seit dem Winter die Beiden nicht aus den Augen gelassen. Es war eine große Jagd in der Gutsforst. Die Herrschaften zogen am Morgen vom Schlosse aus. Auch der Graf Hochhausen war dabei. Sie hatten vorher gefrühstückt. Gegen den Schluß des Frühstücks hatte ich auf einmal den Grafen vermißt. Er mußte sich unbemerkt fortgeschlichen haben. Es fiel mir auf, und ich ging in den Corridor, an welchem die Gemächer der Herrin lagen, und versteckte mich dort. Nach einer Minute öffnete sich leise die Thür des Zimmers der gnädigen Frau. Der Graf kam heraus. „„Zum Abend!““ flüsterte er im Heraustreten zurück. Dann schlich er schnell fort und ein paar Minuten darauf ging es zur Jagd. Ich blieb im Schlosse zurück und beobachtete die Herrin. Sie war in einer sonderbaren Unruhe und Ungeduld. Sie konnte den Abend nicht erwarten. Oder fürchtete sie ihn auch? Ich hoffte das Letztere. Die Jäger sollten um sieben Uhr Abends von der Jagd zurückkehren, und ein großes Souper sollte den Tag beschließen. Um sechs Uhr sah ich die Herrin das Schloß verlassen. Sie war allein und ging in den Garten hinter dem Schlosse, einfach, in Hut und Shawl, wie um einen Spaziergang zu machen. Ich folgte ihr nach, ohne daß sie mich gewahrte. Hinten im Garten, in einem Bosket, war ein Pavillon, der verschlossen werden konnte. Zu ihm ging sie, schloß ihn auf und war darin verschwunden. Ich hatte mich in dem Bosket verborgen. Nach kaum einer Minute kam von einer anderen Seite der Graf. Er ging gerades Weges auf den Pavillon zu, klopfte an die Thür, welche ihm von innen geöffnet wurde, und verschwand ebenfalls darin. Ich wußte genug. Drei Tage lang ging ich mit mir herum, ob ich es dem Herrn sagen solle oder nicht. Ich konnte mich nicht entscheiden, denn ich wußte, was folgen werde, wenn ich es ihm sagte. Am dritten Tage sah ich wieder jene Unruhe und Ungeduld an der Herrin und paßte ihr wieder auf. Am Abend schlich sie wieder in den Pavillon. Der Graf wartete schon auf sie. Der Herr war nicht zu Hause; er war zur Stadt verreist. Mein Entschluß stand jetzt fest, er mußte wissen, was ich wußte. Als er am späten Abend zurückkam, theilte ich ihm Alles mit, was ich gehört und gesehen hatte. Er hörte mir ganz ruhig zu. Als ich fertig war, fragte er mich:

„Hast Du mit irgend Jemandem über die Sache gesprochen?“

„Nein,“ mußte ich ihm antworten.

„Hat irgend ein Anderer von dem etwas gesehen, was Du mir sagtest?“

„Kein Mensch.“

„Weiß Niemand im Schlosse sonst etwas von den Beiden?“

„Keiner. Ich allein weiß nur etwas, weil ich den strengsten Aufpasser machte. Keiner von den Anderen hat nur eine Ahnung. Ich habe sie genau beobachtet, von Tag zu Tag, und hätte es gewahr werden müssen, wenn sie nur das Geringste gewußt oder gemerkt hätten.“

Dann sagte er zu mir, und er war ganz so ruhig, wie er mir zugehört hatte:

„Du hattest Dich geirrt, Freund Bartholomäus. Meine Frau kann keine Untreue gegen mich begehen, und mein Freund keinen Verrath. Ich feiere in drei Wochen meinen Geburtstag; da wollen die Beiden mich mit irgend etwas überraschen. Das ist Alles. Darin hat Deine Liebe zu mir etwas Anderes gesehen. Beruhige Dich nun. Sprich zu keinem Menschen ein Wort von dem, was Du zu mir gesagt hast, damit nicht der falsche Verdacht weiter greift, und verfolge auch nicht ferner mit Deinen argwöhnischen Augen meine Frau und meinen braven Freund.“

Damit verließ er mich. Ich schüttelte den Kopf; aber ich that, wie er mir befohlen hatte. Da geschah das Unglück.“

„Wie faßten Sie die Worte des Freiherrn auf?“ fragte der Präsident. „Glaubten Sie, daß er seine Ueberzeugung gegen Sie aussprach, oder daß er sich gegen Sie verstellte?“

„Ich wußte es nicht. Ich dachte an das Eine und an das Andere und mußte nur den Kopf schütteln.“

„Und welcher Meinung sind Sie jetzt?“

„Jetzt kann ich wohl nicht mehr zweifeln, daß er sich gegen mich verstellte.“

„Und warum glauben Sie das?“

„Weil doch das Unglück darauf folgte.“

„Wie viele Zeit vor dem Tode des Grafen geschah jene Mittheilung?“

„Es war am zweiten Sonnabend vorher.“

„Also am 31. März, gerade elf Tage vor der That?“

„So wird es sein.“

„Haben Sie in dieser Zwischenzeit irgend etwas Ungewöhnliches an dem Freiheren bemerkt?“

„Gar nichts. Ich mußte ihn oft genug ansehen. Aber ich sah nichts an ihm. Es war mir wie ein plötzlicher Donnerschlag, als ich in der Nacht die beiden Schüsse hörte. Ich mußte sogleich an ihn denken, und da ich ihn sah, wußte ich Alles.“

„Auch Sie erkannten in jener Nacht den Freiherrn?“

„Unzweifelhaft. Er war nur wenige Schritte von mir.“

Der Präsident schloß das Verhör des Zeugen.

„Hat der Herr Staatsanwalt noch Fragen an den Zeugen zu richten?“ fragte er.

„Nein,“ antwortete der Staatsanwalt.

„Auch der Herr Vertheidiger nicht?“

„Nein,“ antwortete der Vertheidiger, eben so kalt und ruhig, wie der Staatsanwalt. Vom ihm schien man eine andere Antwort erwartet zu haben.

„Wie?“ las ich auf manchem Gesichte im Saale. „Er hat keinen Vorhalt, keine Erinnerung zu der Aussage, die den Angeklagten vernichtet? Ah, er kann nur seine Sache verloren geben.“

Aber der fremde Advocat sah so gelassen, so gleichgültig drein – ich mußte den Kopf schütteln, wie der alte Kammerdiener gethan hatte. Der Präsident ließ den Angeklagten wieder herein führen und theilte ihm, wie das Gesetz es vorschrieb, ausführlich die Aussage des vernommenen Zeugen mit. Der Angeklagte hatte seine volle frühere Ruhe und Theilnahmlosigkeit wieder gewonnen. Er hörte die Mittheilung an, als wenn ihm wildfremde Dinge erzählt würden.

Die Zeugenvernehmungen waren beendigt. Die gerichtsärztlichen Protokolle über Verletzungen und Tod des Grafen Hochhausen wurden noch verlesen. Die beiden Wunden waren, jede für sich, unbedingt tödtlich gewesen. Die in der Brust war zuerst zugefügt; die zweite, die den Hirnschädel zerschmettert hatte, war aber nach so kurzem Zwischenraume gefolgt, daß die Aerzte nicht mit Bestimmtheit erklären konnten, ob bei ihrer Zufügung in Folge der ersten Wunde der Tod schon eingetreten gewesen sei oder nicht. Es kam nicht darauf an. Gericht, Staatsanwaltschaft und Vertheidigung hatten keine Erinnerung gegen die Protokolle. Einer weiteren Befragung der Gerichtsärzte bedurfte es daher nicht.

Der Präsident erklärte die Beweisführung für geschlossen und forderte den Staatsanwalt auf, die Anklage zu begründen. Ich sah den Vertheidiger unruhig. Ich hatte ihn eine Zeitlang aus den Augen gelassen. Er blickte mit einer gewissen Ungeduld bald in den Zuschauerraum, bald nach den verschiedenen Thüren, die in den Saal führten.

Der Staatsanwalt begann seine Rede. Er habe leichte Mühe, sagte er, und er hatte sie. Er konnte aus den Zeugenaussagen vollständig jede Behauptung der Anklage nachweisen. Von besonderer Wichtigkeit waren die Bekundungen des Nachtwächters und des Kammerdieners. Es wurden durch sie namentlich zwei Punkte festgestellt, die entscheidend waren. Nach der Aussage des Kammerdieners, dieses treuesten aller Diener, dessen Zeugniß fast mehr durch seine Thränen, als durch seinen Eid befestigt wurde, war der Angeklagte von der Untreue seiner Gattin unzweifelhaft überzeugt gewesen; er hatte es, zumal bei seinem leidenschaftlichen, aufbrausenden Charakter, nothwendig sein müssen. Hatten sein Benehmen und seine Worte gegen den Diener etwas Anderes zu erkennen geben wollen, so war dies eine Verstellung, die nur um so mehr auf die Intensität seiner Rachegedanken schließen ließ. Der Mord des Grafen, des Räubers seiner Ehre, war von dem Augenblicke an in seinem Innern beschlossen. Er suchte nur noch nach einem günstigen Momente zur Ausführung. Er unternahm die Reise nach H. Es war eine Geschäftsreise, die gemacht werden mußte, und es war schon tagelang vorher von ihr gesprochen. Da konnte er seiner Sache sicher sein. Der Graf fiel in seine Hände. Er erschoß ihn. Es war ein Mord, ein zehn bis elf volle Tage lang bedachter, planmäßig angelegter und planmäßig ausgeführter Mord. Die bevorstehende Reise nach H. hatte er acht Tage vorher bekannt gemacht, um den Grafen ganz sicher heranzulocken.

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