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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


ganz anvertraute. Hatte er sich erst in strafbarer Weise compromittirt, so war die Gefahr des Verraths von seiner Seite, wenn man sich ihm schließlich entdeckte, auf das geringste Maß zurückgeführt. Der Verrath hätte die eigene Bestrafung des Verräthers zur Folge gehabt. Es gelang Schurz, den Gefangenwärter Brune, mit dem er zuerst Mitte October in der Nähe des Krüger’schen Hauses, später verschiedene Male auf dem Heinrichsplatze zusammentraf, zur Bestellung von Grüßen und später auch zur Ueberbringung von kleinen beschriebenen Zetteln und von Briefen zu bewegen. Schurz hatte sich die Zuneigung Brune’s gleich anfangs dadurch zu verschaffen gewußt, daß er sich ihm als speciellen Landsmann zu erkennen gab. Ersterer war nämlich aus Lieblar gebürtig, letzterer aus Sassendorf im Kreise Soest. Briefe Johanna Kinkel’s an ihren Mann und umgekehrt wurden demnächst durch Brune befördert. Dieselbe stand aber auch auf officiellem Wege mit Kinkel in Correspondenz. Diese ward freilich durch den Zuchthausdirector Jeserich beaufsichtigt, der die Briefe der Ehegatten persönlich auf’s Strengste controlirte. Dessenungeachtet enthielten dieselben manche werthvolle Mittheilungen, welche dem scharfen Auge des Herrn Directors entgingen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie erfinderisch die Noth macht. Der Criminaldirector Bolte in Bützow, der sich einen scharfen polizeilichen Spürsinn zuzutrauen schien, wird bis auf den heutigen Tag nicht wissen, wie manche Briefe von verfänglichem Inhalt, welche ich schrieb oder empfing, durch ihn selbst befördert sind. Ich erinnere mich z. B., daß er persönlich mir den Brief brachte, in welchem mir, was damals noch ein strenges Geheimniß für mich sein sollte, die Verhaftung meines Bruders mit deutlichen, dem Criminaldirector freilich unverständlichen Worten mitgetheilt ward.

Nachdem in der angegebenen Weise der mündliche und schriftliche Verkehr zwischen Kinkel und der Außenwelt hergestellt war, konnte es nicht schwer fallen, mit demselben den Fluchtplan zu verabreden. Als dies geschehen war, blieb noch übrig, den Gefangenwärter Brune für den letzten entscheidenden Schritt zu gewinnen. Man konnte sich ihm jetzt ohne Gefahr anvertrauen. Er sicherte seine Unterstützung zu und hat sein Manneswort treu gehalten. Brune selbst legte später, als ihm der Proceß gemacht ward, das Geständniß ab, daß ein ihm unbekannter junger Mann – Carl Schurz –, der Rathsherr und Gastwirth Krüger in Spandau und ein oder mehrere ihm unbekannte Männer ihn zu dem Verbrechen verleitet hätten und daß ihm für die Ausführung desselben eine Belohnung von 400 Thalern versprochen und ausgezahlt sei. Aber noch im Laufe der Voruntersuchung nahm er die Angabe wider den Rathsherrn Krüger zurück, stellte in Abrede, daß er durch Bestechung gewonnen sei, und behauptete, daß er nur aus Mitleid mit Kinkel’s Familie die Befreiung unternommen habe. Die Geschworenen haben es verneint, daß Brune die ihm nach seiner anfänglichen, später widerrufenen Angabe versprochene Belohnung von 400 Thalern vorher wirklich erhalten habe. Einerlei, ob Brune die Belohnung erhalten, einerlei, wie groß dieselbe gewesen, gewiß ist, daß ihn nicht der in Aussicht gestellte Gewinn zu seiner That verleitet haben kann. Denn die Summe war jedenfalls kaum ein Aequivalent für das, was er aufgab. Seine Entdeckung war fast mathematisch gewiß und die Entsetzung von seiner Stelle die nothwendige Folge. Carl Schurz machte ihm das Anerbieten, mit ihm und Kinkel nach England oder Amerika zu entfliehen, wo man ihm und seiner Familie eine sorgenfreie Existenz bereiten wolle. Brune schlug dies aus. Wenn er auch sich selbst einem Andern zum Opfer bringen wollte, so durfte er doch seine Familie nicht dem Elende preisgeben. Darum wirft die etwa angenommene Belohnung keinen Schatten auf seine That. Das Gericht mußte ihn verurtheilen, der strenge Moralist wird die That als einen Amtstreubruch verdammen. Aber es giebt Handlungen, welche nicht vom bloßen Standpunkte des positiven Criminalrechts beurtheilt und nicht mit dem gewöhnlichen Maßstabe der Sittenkritik gemessen sein wollen. Brune ist einem höheren Pflichtgefühl gefolgt. Die hohe Geistes- und Gemüthsbildung Kinkel’s mußte in seiner Züchtlingskleidung und seiner jammervollen Lage einen um so mächtigeren Eindruck auf seine Umgebung, die gewohnt war, fast nur mit dem Auswurf der Menschheit zu verkehren, hervorrufen. Ein solcher Mann konnte Brune nicht als ein Verbrecher erscheinen, sondern nur als ein ungerecht Verfolgter, der aller Wahrscheinlichkeit nach in wenigen Jahren den Leiden der Haft erlegen sein würde, wenn nicht rechtzeitige Hülfe kam. Von ihm hing es ab, dem Jammer und Elende, das er täglich vor sich hatte, ein Ende zu machen, einen lebendig Begrabenen zu erlösen, den Gatten der Gattin, den Kindern den Vater, den Freunden den Freund zurückzugeben und unzählige Thränen zu trocknen. Alles dies bestimmte seine Handlungsweise. Die Liebe zu den Menschen stand ihm höher als seine Amtspflicht. Er wußte, daß er, ein unbedeutender geringer Mann in seiner socialen Stellung, den Zorn der Mächtigen auf sich laden würde, daß ihm eine langjährige harte Freiheitsstrafe in Aussicht stände. Dennoch wollte er nicht mit entfliehen, er wollte die Folgen der Verantwortlichkeit für seine That auf sich nehmen. Er opferte sich selbst, um einen Anderen zu retten. Ich habe nur Worte der hochachtenden Bewunderung für diesen Mann. Das deutsche Volk wird ihn in Ehren halten: er hat dem Vaterlande einen seiner besten Söhne und Patrioten und der deutschen Wissenschaft und Kunst einen ihrer würdigsten und begabtesten Jünger erhalten.

(Fortsetzung folgt.)



Joseph Ressel und Wilhelm Bauer.
Eine Schicksals-Parallele.


Am 10. October 1857 war in Laibach ein k. k. Förster gestorben, und fünf Jahre später setzte man in der Kaiserstadt Wien demselben Manne, der es im Leben nie über eine untergeordnete Dienststellung hatte bringen können, ein Monument, wie man sie nur den Großen der Erde errichtet, und die Enthüllung desselben erhob den 18. Januar 1863 zu einem Festtag, wie sie nur für Wohlthäter der Menschheit gefeiert werden.

War der Gefeierte Eines von Beiden? – Die Gegenwart muß mit tiefer Scham gestehen: er war Beides. Er war Beides und hat durch Beides für sich Nichts errungen, als im Leben das Loos eines deutschen Erfinders, und nach seinem Tode dieses Denkmal.

Joseph Ressel ist der Erfinder des Schraubendampfers, der im Seewesen, insbesondere im Seekriegswesen, eine neue Epoche begründete und eine ganze Reihe neuer Erfindungen und Verbesserungen im Schiffbau, bis zu Monitor und Merrimac herab, erst möglich machte; ferner erfand Ressel die atmosphärische Briefpost, die in der Vollkommenheit seiner Darstellung bis jetzt ebenso wenig zur Ausführung gekommen ist, wie das Schraubendampfschiff. Diese beiden Erfindungen sind jedoch nur die durch ihre englische und französische Ausbeutung am berühmtesten gewordenen Thaten seines großen Geistes. Wir stehen geradezu erschüttert vor den Zeugnissen der riesigen Fruchtbarkeit und Kühnheit desselben, wir müssen die Jahrzahlen seines Lebens wiederholt genau ansehen, um die häßlichen, widerlichen Hemmschuhe seiner Thätigkeit nicht in früheren Jahrhunderten zu suchen; aber leider ist es und bleibt es so: es hat ein Mensch mit uns gelebt, in dessen Kopf Erfindung sich an Erfindung reihete, jede sofort lebensfähig und kräftig ausgebildet, jede ein Werk des ernsten, rastlosen Nachdenkens, keine ein wohlfeiles Kind des Zufalls, die Mehrzahl hervorgerufen von dem mit wissenschaftlicher Klarheit ausgesprochenen großen Gesammtgedanken: „sämmtliche Naturkräfte der Herrschaft des Menschen durch die Macht des Genies zu unterwerfen“ – und eine wie die andere von seinen Zeitgenossen entweder ignorirt, oder nur beachtet, um vom Inland belächelt, vom Ausland geraubt, von der eigenen Regierung als unnütze eder unbequeme und störende Projectenmacherei zurückgewiesen oder gar von einer allzuväterlichen Polizei unterdrückt zu werden. Ja, es giebt noch Märtyrer, nur in den Kirchen suche man sie nicht mehr, sondern in den stillen Werkstätten solcher Erfinder, an denen Unkenntniß, Gleichgültigkeit, Neid und Hochmuth vornehm vorübergehen, bis das Ausland, mit den Millionen des Gewinns aus ihren Werken in der Hand, hohnlachend auf sie hinweist, um

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