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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Ich werde doch meinen Herrn kennen!“ war die Antwort.

„Aber es war Mitternacht!“

„Ich kenne ihn auch bei Nacht, und der Mond schien, und der Herr stand keinen Schritt weit von mir, und er trug den langen grauen Mantel, in dem er am Tage vorher ausgeritten war.“

„Sagtet Ihr aber nicht, der Blick seiner Augen sei Euch so sonderbar vorgekommen?“

„Das war auch so; aber es waren doch seine Augen.“

„Und seine Stimme – erkanntet Ihr auch sie?“

„Ich erkannte auch die.“

„Und sie kam Euch nicht anders vor, als sonst?“

„Sie war wohl etwas sonderbar.“

„In welcher Weise?“

„Sie schien mir zu zittern; sonst kann ich nichts sagen. Aber es fiel mir auf.“

„Noch Eins, nannte er Euch bei Eurem Namen?“

Der Zeuge stutzte; er sann nach. „Ich erinnere mich nicht.“

„Besinnt Euch.“

Der Zeuge besann sich – es dauerte lange. Der Präsident wurde ungeduldig. Er wandte sich an den Vertheidiger, etwas scharf; gereizt war er früher gewesen, und er mochte wohl nicht haben vergessen können, daß er es hatte sein müssen. „Wozu überhaupt die Frage an den Zeugen?“

„Ich lege Gewicht darauf.“

„Und welches?“

Der Zeuge hatte sich besonnen. „Nein, nein,“ sagte er. „Der Herr hat mich nicht bei meinem Namen genannt, und es fällt mir jetzt auf.“

„Wie nannte er Euch denn?“ fragte der Vertheidiger.

„Er nannte mich gar nicht.“

„Und wie nennt er Euch sonst, wenn er mit Euch spricht?“

„Christian, oder auch Nachtwächter.“

„Gab er überhaupt zu erkennen, daß er wußte, wer Ihr wart?“

Der Zeuge mußte sich wieder besinnen. „Nein,“ sagte er dann. „Ich kann es nicht sagen. Er sprach mit mir, wie er auch mit einem fremden Menschen hätte sprechen können.“

„Gut,“ sagte der Vertheidiger. „Und nun noch Eins. Nannte Euch der Herr die Lage des Zimmers seiner Gemahlin?“

„Er wußte ja, daß ich es kannte,“ antwortete der Zeuge.

„Aber gab er durch seine Worte zu erkennen, daß auch er es kannte?“

„Das kann ich nicht sagen.“

Der Vertheidiger hatte an den Zeugen keine Frage mehr, aber er hatte eine Bemerkung an die Geschworenen.

„Meine Herren Geschworenen,“ sagte er ihnen, „ich bitte Sie, die Aussage dieses Zeugen wohl im Gedächtnisse zu bewahren. Sie werden dann zwei bemerkenswerthe Thatsachen festhalten. Zuerst, daß diesem Zeugen, dem einzigen, der in jener Nacht die Stimme des Mörders gehört hat, diese Stimme sonderbar vorgekommen und daß ihm dies schon gleich damals aufgefallen war. Zum andern, daß der Mörder durch kein Wort zu erkennen gegeben hat, daß ihm der Name des Nachtwächters oder nur dieser selbst, und ferner die Lage des Zimmers der Freifrau bekannt gewesen sei. Sie werden dabei bemerkt haben, daß dieser Zeuge seinen vollen klaren Verstand hat, und ganz den Eindruck eines besonnenen und wahrheitsliebenden Menschen macht. Sollte in Beziehung auf ihn und seine Aussage noch irgend ein Zweifel obwalten – er steht noch da, für mich würde es die größte Genugthuung sein, wenn er noch weiter befragt würde.“

Die Geschworenen sahen wohl einander an; auch die Richter; es schien ihnen nicht klar werden zu wollen, welches Gewicht auf jene unbedeutenden Nebenumstände gelegt werden könne, allen den bestimmten Zeugnissen gegenüber, daß der Angeklagte da gewesen sei. Am nachdenklichsten war der Staatsanwalt; indeß auch er hatte keine Frage weiter an den Zeugen. Aber einen besonderen Grund mußte der Vertheidiger zu seinen Fragen an den Zeugen und zu der Hervorhebung der Antworten desselben haben, trotz seines unbeweglichen und undurchdringlich ruhigen verschlossenen Gesichts. Ja, ich glaubte es gerade in der Undurchdringlichkeit dieses Gesichts zu lesen.

Der letzte Zeuge wurde in den Saal geführt, der alte Kammerdiener Bartholomäus, der mehr der Vertraute, als der Diener seines Herrn war, der in der Voruntersuchung anfangs gar nichts hatte wissen wollen und dann die wichtige Mittheilung gemacht, daß er es gewesen, der dem Angeklagten die Untreue seiner Frau entdeckt hatte und so zu dem Morde die wenn gleich unvorsätzliche Veranlassung geworden war. Ja, er war der einzige Zeuge, der überhaupt etwas über diese Untreue bekunden konnte, und ohne diese war kein Grund zu der That des Angeklagten zu denken, schwebte also die ganze Anklage wie in der Luft. Sein Zeugniß war daher das erheblichste von allen. Es war deshalb auch wohl bis zum Schlusse der Vernehmung der Zeugen verschoben. Seine Abhörung wurde von dem Präsidenten mit besonderer Sorgfalt bewirkt. Er war ein noch sehr kräftiger alter Mann. Sein finsteres Wesen zeigte zugleich Entschlossenheit und Verschlossenheit, dabei eine Ehrlichkeit, die trotz jenes finsteren Wesens Vertrauen zu ihm einflößte.

„Sie stehen schon lange in den Diensten des Angeklagten?“ fragte ihn der Präsident.

„Ich stand schon bei seinem seligen Vater in Diensten,“ war die Antwort. „Ich war mit ihm aus Deutschland nach Spanien gegangen. Er war ein braver Mann, so blieb ich bei ihm. Auch sein Sohn war brav, mein jetziger Herr, und ich blieb auch bei ihm und ich bin mit ihm durch die Welt gereist, bis wir hierher kamen.“

„Sie haben mithin große Anhänglichkeit an Ihren Herrn und sind ihm zu Danke verpflichtet?“

„Gewiß.“

„Ich muß Sie um so mehr ermahnen, hier nur die Wahrheit auszusagen.“

„Ich werde.“

„Sie haben in der Voruntersuchung lange mit der Wahrheit zurückgehalten.“

„Es war ein Fehler von mir.“

„Und was hatte Sie dazu veranlaßt?“

„Die Liebe zu meinem Herrn, den ich als ein kleines Kind auf meinen Armen getragen hatte, aber –“

„Aber?“

„Ich bin katholisch, Herr, und da ich zur Beichte ging und dem Geistlichen Alles offenbarte, da hielt mir der vor, welch eine große Sünde ich begangen hätte, und befahl mir, sofort zum Gerichte zu gehen und die volle Wahrheit zu sagen. Das that ich.“

Der Mann sprach Alles kurz, klar, in einem eben so ruhigen, wie festen und überzeugenden Tone.

„Was der Zeuge da erklärt hat,“ bemerkte der Präsident den Geschworenen, „wird durch die Acten der Voruntersuchung vollkommen bestätigt.“ Er fuhr dann in der Befragung des Zeugen fort.

„Sie hatten schon einige Zeit vor dem Tode des Grafen Hochhausen ein Gespräch mit Ihrem Herrn über den Grafen. Von welchem Inhalte war es?“

Der Präsident hatte durch die Frage sofort den Kern der Antwort getroffen, die der Zeuge zu geben hatte. Die Antwort wurde dem Zeugen schwer. Er kämpfte sichtlich mit sich, bevor er sprach, und wurde blaß und roth; er wollte seinen Herrn ansehen, aber er konnte die Augen nicht zu ihm erheben; man sah die Brust des alten Mannes arbeiten. Aber er mußte antworten.

„Es muß heraus, Herr Präsident,“ sagte er. „Gott weiß, wie schwer es mir wird.“

Er hatte sich das Herz genommen, nach seinem Herrn hinzublicken. Der Angeklagte saß nicht mehr in seiner bisherigen Theilnahmlosigkeit da. Er hatte sein Gesicht aufgerichtet. Seine großen, dunklen Augen warfen sich, wie drohend, auf den Zeugen. Es mochte unwillkürlich geschehen, aber der alte Mann war erschrocken. Er stockte und konnte nicht sogleich weiter sprechen. Dann ermannte er sich wieder.

„Ja, lieber, gnädiger Herr,“ sagte er zu seinem Herrn, „ich muß die Wahrheit sagen. Es geht um die Seligkeit, und was der Herr im Himmel über Sie beschlossen hat –“

Er mußte doch wieder abbrechen und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann wandte er sich wieder an den Präsidenten und er fuhr klar und ruhig in seiner Aussage fort, und was er sagte, wurde mit verdoppelter Aufmerksamkeit angehört. Die kleine Zwischenscene, der Kampf des treuen Dieners mit dem gewissenhaften Zeugen hatte wohl nur wenige Menschen im Saale ohne Rührung gelassen.

„Unter den Herren,“ sagte er jetzt, „die oft nach Schloß Hard kamen, war auch der Graf Hochhausen. Er war freundlich aufgenommen und wurde der Freund meines Herrn. Um se schrecklicher war es mir, als ich entdeckte, daß er darauf ausging, an

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