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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Und warum sagt Ihr das?“

„Weil es nicht der Herr war.“

„Und warum war es nicht der Herr?“ fragte der Präsident, zu dem beschränkten geistigen Zustand des Burschen heruntergehend.

„Der Mensch war größer, als der Herr.“

„Das war Alles?“

„Und er hatte so glühende Augen, wie der Herr sie nicht hat.“

„Sonst aber sah er aus, wie der Herr?“

„Das that er wohl.“

„So könnte es doch der Herr gewesen sein!“

„Aber ich sage Ihnen, daß er es nicht war.“

„Ihr könntet Euch geirrt haben!“

„Aber meine Hunde irrten sich nicht.“

„Eure Hunde?“

„Sie kennen den Herrn, und sie knurrten, sie wollten aus dem Stalle, als wenn sie auf einen Fremden los wollten.“

„Es war ja auch ein Fremder da, der Erschossene!“

„Der war ihnen kein Fremder, sie kannten ihn, wie den Herrn, und der Mensch kann sich irren, Herr, aber ein Hund nicht.“

Dabei blieb er, mit jener Zähigkeit; er wurde zuletzt eifrig. Das Nämliche hatte er schon in der Nacht des Verbrechens zu den Leuten gesagt. Sie hatten den Narren ausgelacht. Ueber den Blödsinnigen lächelte man auch jetzt nur, die Geschworenen, die Zuschauer, selbst die ernsten Richter, nur nicht der Angeklagte und sein Vertheidiger.

Die Zeugnisse dreier anderer Leute des Schlosses warfen einen um so tieferen Ernst in den Saal zurück. Sie wurden mit der lautlosesten Spannung angehört, denn sie enthielten das Todesurtheil des Angeklagten; sie stellten den Mord fest und lieferten den Mörder auf das Schaffot.

Die Kammerjungfer der Freifrau wußte zwar keinen einzigen Thatumstand zu bekunden, der auf ein engeres oder gar unerlaubtes Verhältniß zwischen der Freifrau und dem Grafen Hochhausen hätte schließen lassen; sie hatte auch bis zu der Nacht des Mordes nicht einmal eine Ahnung eines solchen Verhältnisses gehabt. Dasselbe hatten auch alle anderen Zeugen ausgesagt. Wenn wirklich eine Liebschaft zwischen dem Grafen und der Freifrau bestanden habe, meinten sie, so müßten die Beiden ihre Sache sehr geheim zu halten gewußt haben, man habe nichts davon merken können.

Aber die Kammerjungfer war Zeugin folgender Thatsachen: Um sieben Uhr des Morgens nach dem Morde war der Freiherr zurückgekommen. Er hatte sich sofort in das Zimmer seiner Frau begeben und die Thür hinter sich abgeschlossen. Die neugierige Zofe war ihm gefolgt. Sie hatte bisher noch keinen Einlaß bei der Herrin erhalten können. Konnte sie nicht sehen, so wollte sie hören. Sie lauschte an der Thür des Zimmers. Die Gatten sprachen leise mit einander. Aber die Frau weinte laut, und zuletzt sprach auch der Mann laut, und die Kammerjungfer hörte deutlich, wie er zu der Frau sagte: „Mein Kopf liegt auf dem Block des Henkers. Ich muß ihn zu retten suchen. Du bleibst meine Frau; aber nur darum. Und nur bis dahin, daß ich gerettet bin. Sprichst Du bis dahin ein Wort, fügst Du zu dem einen Morde den zweiten hinzu, so ist auch Dein Leben verwirkt. Du weißt, es ist immer in meiner Hand; nach meinem Tode in der Hand des Todten, des Hingerichteten.“

Die Worte hatten der Horchenden zugleich wie Abschiedsworte geklungen. Sie hatte ihren Posten verlassen. In der That war der Freiherr gleich darauf aus dem Zimmer der Frau zurückgekehrt. Die Kammerjungfer hatte ihre Herrin erst am Abend gesehen.

„Angeklagter,“ sagte der Präsident, als die Zeugin ihre Aussage beendigt hatte, „wollen Sie über dieses Zeugniß sich auslassen? Es ist besonders gravirend für Sie.“

Der Angeklagte erhob sich mit ruhigem Stolze, indem er kurz erwiderte:

„Mein Herr, ich pflege mich mit meinen Dienstboten nicht zu streiten, und – wer horcht, lügt.“

Da weinte aber die Zeugin laut auf. Sie schien eine durchaus ordentliche, verständige Person zu sein.

„Herr Präsident!“ rief sie, „so wahr ich hoffe, zu Gott zu kommen, so wahr habe ich nicht gelogen, kein Wort, keine Sylbe. Gehorcht habe ich, ich war neugierig; aber eine Lügnerin bin ich darum nicht. O, hätte ich es nicht gethan! Ich gäbe mein halbes Leben darum!“

Man konnte den Ausdruck der Wahrheit nicht wahrer und nicht überzeugender hören, als in den Worten, den Mienen, den Bewegungen, dem Schluchzen des weinenden Mädchens. Aber ich mußte plötzlich wieder auf etwas Anderes achten. Als der Angeklagte nach seiner Antwort an den Präsidenten sich wieder niederlassen wollte, warf er vorher den ruhigen, stolzen Blick im Saale umher, und auf einmal starrten seine Augen nach einem Punkte und sein bleiches Gesicht wurde noch blässer; ein Ausdruck tiefer Wehmuth schien es zu durchziehen. Indeß er ließ sich nieder, und man sah nur wieder sein stolzes, kaltes, theilnahmloses Gesicht. Ich war seinem Blicke gefolgt, wie vorhin dem des Vertheidigers, und ich traf denselben Gegenstand, nach dem eine Stunde vorher dieser mit jenem Unwillen und dann mit der plötzlichen stechenden Angst geblickt hatte.

Das blasse, feine Mädchengesicht war noch neben der Thür, in der letzten Reihe der Zuschauer. Es war in dem Augenblicke, als ich zu ihr hinsah, von dunkler Röthe übergossen. Ihre Augen waren niedergeschlagen. Ihr Blick mußte dem des Angeklagten begegnet sein. Sie schlug ihn unmittelbar nachher wieder nach ihm auf. Er sah nicht mehr nach ihr; er sah vor sich hin. Die Röthe ihres Gesichts verschwand; ein tiefer Schmerz durchzog es. Sie setzte sich, und ich konnte sie nicht mehr sehen. Ich meinte, sie habe sich hinter den Leuten niedersetzen müssen, um unbemerkt weinen zu können.

Der Nachtwächter des Schlosses Hard wurde vernommen. Sein Nachtdienst auf dem Schlosse bestand darin, daß er während der Nachtstunden sich wachend in seiner Stube und unten im Hause aufhielt und von Stunde zu Stunde das Schloß mit den Nebengebäuden umging. So war es auch in der Nacht des Mordes gewesen. Er hatte seinen Umgang um zehn Uhr, um elf Uhr gemacht, und es war ihm nichts Verdächtiges vorgekommen, auch in dem Garten hinter dem Schlosse nicht, durch den sein gewöhnlicher Weg ihn führte. Um zwölf Uhr war ihm zwar hinten in den Feldern der Galopp eines Pferdes aufgefallen; aber es war noch weit entfernt vom Schlosse, es schien ihm nicht näher zu kommen; so hatte er nicht weiter darauf geachtet und seinen Weg fortgesetzt. Er war zu den Scheunen und Remisen gegangen, hatte sich überzeugt, daß da Alles in Ordnung sei, und hatte nun zu seiner Stube zurückkehren wollen. In der Nähe der letzteren war plötzlich der Freiherr auf ihn zugetreten und hatte ihm befohlen, zu dem Zimmer der Herrin zu gehen und ihr durch die Thür zuzurufen, daß so eben der Herr zurückgekommen sei; er solle nichts Anderes sagen und nicht so laut rufen. Der Freiherr war eilig gewesen und hatte sehr blaß ausgesehen; seine Augen hatten so sonderbar geleuchtet. Den Zeugen hatte ordentlich ein Schreck erfaßt. Er war sofort in das Schloß gegangen und war dem Befehle nachgekommen.

„Ich horchte zuerst eine Weile an der Thür,“ erzählte er. „Ich hörte nichts. Dann klopfte ich leise an. Sofort erhielt ich Antwort. Wer da klopfe? fragte es. Es war die Stimme der gnädigen Frau. Der Nachtwächter, antwortete ich.

„Was giebt’s?“ fragte sie eilig und erschrocken. „Es ist doch kein Unglück geschehen?“

„Der gnädige Herr kommt soeben zurück,“ sagte ich.

„Warum sagt Ihr mir das?“ fragte sie mich noch.

Aber der gnädige Herr hatte mir verboten, etwas Anderes zu sprechen; ich antwortete daher nicht und kehrte geschwind zurück. Ich ging wieder zu meiner Stube. Den Herrn hatte ich nicht mehr gesehen. Als ich gerade die Thür zu meiner Stube aufschließen wollte und über die Sache noch nachdachte, hörte ich auf der anderen Seite des Schlosses, im Garten, einen Schuß fallen. Während ich hineilte, fiel schon der zweite. Nachher fanden wir den Grafen todt in seinem Blute.“

„Warum,“ fragte der Präsident den Zeugen noch, „hattet Ihr anfangs bei Eurer Vernehmung in der Voruntersuchung alle diese Umstände abgeleugnet?“

„Der alte Bartholomäus hatte es mir so befohlen,“ antwortete der Zeuge.

„Wer ist der alte Bartholomäus?“

„Der Kammerdiener des Herrn, der auch heute als Zeuge hier ist.“

Der Präsident wollte den Zeugen entlassen. Der Vertheidiger bat, ihm noch vorher einige Fragen vorlegen zu dürfen. Es wurde ihm gestattet.

„Habt Ihr Euren Herrn bestimmt erkannt?“ fragte der Vertheidiger den Zeugen.

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