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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


sich auch niederlegen. Wer es vielleicht schon wieder vergessen hatte, erfuhr dabei, daß das Kameel immer noch das Schiff der Wüste ist und daß es bei auf der Reise eingetretenem Wassermangel stellenweise getrunken wird. NB. Wer’s glaubt.

Das Stachelschwein, welches jubelnd aus einem geöffneten Kasten sprang und schnell etwas zu fressen suchte, beschloß die Vorstellung. Auch hier eine naturhistorische Erklärung. Nämlich es schießt, es bleibt ungewiß, ob mittels Armbrust ober Blasrohr, seine Stacheln auf seine Feinde ab, und hat außerdem auch an den Hinterfüßen Sohlen wie „ein klein Kind“. Weiter hatte es keine Eigenschaften und mußte daher wieder in seinen Kasten zurück.

Was machten nun aber diese Leute in der müßigen Zeit, in den Pausen zwischen ihren Vorstellungen? Nun, während ich dasaß und das Kameel zeichnete, vergnügten sie sich nach ihrer Weise. Entweder sie schliefen oder sie zählten wiederholt ihr Geld (was bekanntlich Jedermann gern thut, wenn er welches hat), oder sie balgten sich mit dem Bären, warfen ihn im Spaß auf den Rücken und krabbelten ihn am Bauche, wofür er ihnen, auch blos zum Spaße, die Hosen zerriß und dafür wieder spaßhafte Püffe erhielt. Oder die Thiere bekamen etwas zu fressen, ehe sie zu matt wurden, da besonders immer das Kameel mit baldigem Einsturz drohte. Kurz, wie man schon in Süddeutschland die Landleute an Sonntagen stundenlang auf den Plätzen der Dörfer und Städte stehen sehen kann, ohne daß sie eigentlich irgend etwas vorhaben, so verstanden es vollends diese Südländer vortrefflich, ohne großen Kräfteverbrauch die Zeit mausetodt zu stechen.

Natürlich darf ich, wenn ich von den wandernden Künstlern spreche, diejenigen nicht übergehen, welche uns unsere etwas entfernter wohnenden Nebenmenschen vorführen, insofern dieselben noch wild wie das liebe Vieh und außerdem auch noch schwarz, braun oder roth angelaufen sind.

Eine derartige Schaustellung ist mir unvergeßlich geblieben. Nach dem gedruckten Programm, welches Jedem, der nur einige Augenblicke vor der Bude stehen blieb, sofort in die Hand gedrückt wurde, konnte man in derselben zwei wilde Neger, sowie einen dritten, welcher zugleich Athlet war, sodann zwei nordamerikanische Indianer, Alle im Nationalcostüm, eine Albinodame, eine Schlangenbändigerin und noch Mancherlei sehen.

Der Geschäftsinhaber, der sich seiner Verantwortlichkeit dafür, daß er wilde Menschen frei ohne Kette zeigte, offenbar bewußt war, bereitete das eingetretene Publicum auf den zu erwartenden Anblick durch einige Worte vor. Jetzt setzte er eine nicht ganz seltene Muschel an den Mund, schauerliche Klänge ertönten, daß es Einen eiskalt überlief, und herein traten die furchtbaren Erscheinungen, schrecklich anzuschauen. Ringe in den Nasen, Pantherfelle um die Lenden, kühn geschwungene Keulen, klingende Tambourins, es wurde uns wirklich ganz afrikanisch zu Muthe, d. h. wir machten uns schon gefaßt, gefressen zu werden, denn die gräßlich rollenden Augen schienen in der That nur nach dem Fettesten unter den Zuschauern zu suchen. Jetzt öffneten sie ihre nach Negerart pflichtschuldig aufgeworfenen Lippen, und „tschuppi, tschuppi“ klang es aus dem Loche zwischen denselben. Ehe sich das Publicum noch fragend ansah über die Bedeutung dieses furchtbar afrikanischen Wortes, wurde es vom Geschäftsherrn, welcher, um die Wilden nöthigenfalls bändigen zu können, immer auf der Bühne blieb, belehrt, daß damit die Bitte um Cigarren ausgesprochen sei. Wie Hofmarschall Kalb in „Kabale und Liebe“ aufathmet, als Ferdinand Witze macht, so ging es auch uns Zuschauern. Sie rauchen Cigarren, das bringt sie uns näher, so dachte offenbar Jeder, und in der That kamen die barbarischen Kerle von der Bühne herunter in die Reihen des Publicums zur Cigarrenernte, und die Meisten zögerten nicht, die gefährlichen Menschen sich dadurch geneigt zu machen.

Nunmehr begannen die wilden Freudentänze auf der Bühne; die Wilden leisteten Gewaltiges in allerhand grotesken Stellungen, die Keulen bearbeiteten mit Kraft die Dielen, und die Pantherfelle, soviel die Motten davon übrig gelassen, flogen nach allen Richtungen. Endlich traten sie ab, aber noch ehe sie ganz hinter dem Vorhang verschwunden waren, nahmen sie auch schon die Ringe, welche wahrscheinlich zu sehr knippen, aus den Nasen.

Sehr gespannt, ich gestehe hier meine schändliche Leichtgläubigkeit, erwartete ich nun die Indianer aus Nordamerika mit den üblichen Habichtsnasen und dem langen strähnigen Haar. Da traten sie ein; aber nein, das waren ja wieder Neger, so kraushaarig, stulpnasig und schwärzlich war ihr Aussehen. Doch der Geschäftsführer versicherte dem Publicum, daß es Indianer seien, und der mußte es doch wissen. In der That, es ging mir ein Licht auf, denn da schon seit langen Zeiten so viel Neger nach Nordamerika gebracht werden, warum sollen sich durch öfteres Sehen die beiden Racen nicht so ähnlich geworden sein, daß sie nicht mehr zu unterscheiden sind? Auch ihre Tänze waren ganz ähnlich. Ob alle diese Wilden einmal früher Kellner, Lakaien oder dergl. waren, und irgendwie aus Aerger wieder wild wurden, wer konnte es wissen?

Jetzt erschien der schwarze Athlet mit der nicht mehr ganz ungewöhnlichen schweren Stange. Früher wurde immer ein gewisser Preis Demjenigen geboten, der solche Stange in gleicher Weise wie der Athlet heben würde. Da es aber noch vor Kurzem vorgekommen (wovon ich zufällig Augenzeuge war), daß die besagte Stange wirklich von Jemand aus dem Publicum, nämlich einem Markthelfer der auch sonst wohlrenommirten Flinsch’schen Papierhandlung in Leipzig, gehoben wurde, so ist man jetzt praktischer geworden, und auf dem Programm, das unsern Hercules empfahl, stand daher, „daß man recht gut hundert Thaler Belohnung demjenigen bieten könnte, welcher“ u. s. w.

Nachdem man in dieser Bude man noch die Vorstellung der Albinodame (natürlich auch von der Landenge von Panama) und der Schlangenbändigerin, welche außer dem Schlangenbändigen auch das Einsammeln des Trinkgeldes besorgte, ausgehalten hatte, konnte man endlich gehen.

Wie wenig Respect vor der Echtheit dieser fahrenden Wilden die betreffende Künstlerwelt selbst hat, mag Folgendes zeigen. Als früher der gewiß noch manchem Leser erinnerliche „Eskimo“, welcher von Warzen strotzte, aber großen Zulauf hatte, gezeigt wurde, versicherte mir ein Wärter der damaligen Liphard’schen Menagerie, daß er einen Eskimo ebenso vorstellen wolle und dies seinem Herrn schon angeboten habe. Derselbe wolle aber nicht darauf eingehen.

Als einen ausgezeichneten Künstler und Geschäftsmann mußte man jedenfalls den Herrn neben der eben besprochenen Bude betrachten. Er war der Unglückliche, dessen Hercules, wie vorhin erwähnt wurde, zur großen Befriedigung des patriotischen Leipziger Publicums, so blamirt worden. Nun hätte er sich leicht einen andern anschaffen können, denn in manchem Jahre gerathen dieselben sehr zahlreich und gut, aber als Mann mit richtigem Blick ließ er diesen Kunstzweig nun fallen, und was er nun zeigte, soll jetzt erzählt werden.

Vor dem Eingange der Bude wurden von dem Besitzer selbst zwei theilweise costümirte Affen mit furchtbarer Vehemenz an einem Strick hin- und hergeschaukelt, so zwar, daß sie trotz ihrer vier Hände Mühe hatten, sich vor dem Abfallen, oder vielmehr Abfliegen, zu schützen. Schon das mußte natürlich zum Eintritt in’s Innere locken. Aber es gab noch stärkere Zugmittel. Aus einem Kasten nahm (natürlich unter gewaltigem Geschrei) ein Bursche eine Anzahl Kaninchen, hielt sie erst hoch und warf dann die Zappelnden ohne Weiteres in’s Innere der Bude, d. h. in den Rachen der lauernden Hyäne, wie versichert wurde, hinein. Was blieb Einem übrig, als schnell in die Bude zu stürzen, ehe alle Kaninchen verschlungen waren? – Richtig, da liefen sie noch alle unversehrt in der Bude umher. Aber eben wurden sie ernstlich einer alten Hyäne und einem Wolfe, welche sich schändlicherweise gichtbrüchig stellten, zum Fraße vorgehalten. Doch Kaninchen, Wolf und Hyäne waren offenbar alte Bekannte, und es fiel letzteren, wohl in Erwägung der sonst unvermeidlichen Hiebe, nicht ein, zuzuschnappen. „Sie haben keinen Hunger,“ mit dieser Aufklärung mußten wir blutdürstigen Zuschauer uns begnügen.

Nach dieser beinah ergreifenden Scene trat hinter einem alten zusammengeflickten Vorhange eine „Indierin“, allerdings schon mehr Mulattin, hervor. Sie und eine Schlange waren von dem Chef behalten worden, nachdem der blamirte Hercules entlassen war, und sie trug auch noch denselben rosenrothen Rock, tanzte aber leider nicht mehr. Dies hatte den Vortheil, daß um so bälder der Zwerg, der immer noch herumreisende„ Prinz Colobri“, erschien. Ueber diesen Zwerg erfuhr man aus der Erklärung, daß derselbe „ganz den Zweck eines Zwerges erfüllte“, indem seine Hände und Füße ganz proportionirt und nicht plump wie bei anderen verfehlten Zwergen seien.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_103.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)